# taz.de -- Polizeigewalt gegen Fans im Fußball: Ein Schlag ins Gesicht | |
> Ein Fan vom Fußballverein Babelsberg 03 wird beim Pokalspiel von | |
> Polizisten verletzt. Videos zeigen die Gewalt, die Beamten sehen sie als | |
> angemessen. | |
Bild: Die Polizei bearbeitet Babelsberger Fans nach dem Brandenburger Landespok… | |
Den 28. Mai 2016 beschreibt David Staschinski als „normalen Fußballtag“. | |
Der [1][SV Babelsberg] gewinnt das Landespokalfinale gegen den FSV | |
Luckenwalde mit 3:1, rund 1.000 mitgereiste Babelsberger Fans feiern, | |
darunter der Student Staschinski, Fan seit Kindertagen. Einige Anhänger | |
klettern mit Abpfiff über den Zaun auf den Rasen, auch David Staschinski. | |
Um mit den Spielern zu feiern, sagen die Babelsberger; um sich mit | |
gegnerischen Fans zu prügeln, vermuten im Nachgang die Polizei und | |
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter. | |
Auch ein „kommunikatives Missverständnis“, wann die Polizei eingreifen | |
solle, macht der Leiter der Polizeidirektion West später verantwortlich für | |
das, was dann passiert. [2][Videoaufnahmen dieses Missverständnisses] | |
stehen bis heute im Netz: Polizisten, die mit Schlagstöcken auf Fans | |
einprügeln, Anhänger mit Platzwunden, Bewusstlose auf dem Rasen, | |
Pfefferspray, das direkt in den Block gesprüht wird. Von etwa 150 | |
Verletzten, darunter 27 Schwerverletzten spricht das Fanprojekt Babelsberg | |
später. | |
Als die Gewalt losgeht, flüchtet David Staschinski zurück über den Zaun und | |
Richtung Ausgang, „mir wurde das alles zu krass“. An einer Hausecke filmt | |
er die Absperrungen der Polizei, die nach einem Streit mit Fans, so | |
schildert er es, ohne Vorwarnung angreift. „Drei oder vier Polizisten kamen | |
direkt auf mich zu. Sie haben mit Fäusten und Knüppeln geschlagen und mich | |
überrannt. Dann gingen bei mir die Lichter aus.“ Auf Staschinskis Video ist | |
die Situation festgehalten. Man sieht einen Mülleimer in Richtung Polizei | |
fliegen und Beamte, die losstürmen, dann fällt die Kamera zu Boden, sie | |
zeigt Blutflecken auf dem Untergrund. „Hört doch auf“, schreit eine | |
Frauenstimme im Off. | |
David Staschinski kommt mit zwei Platzwunden wieder zu Bewusstsein, von | |
Schlagstöcken, sagt er. Und er tut, was Fußballfans selten tun: Er | |
erstattet Anzeige. Er zweifelt. Er wisse, wie wenig Aussichten er hat. | |
„Aber ich war mir sicher, dass es diesmal funktioniert. Es gab Videos, es | |
gab Namen.“ | |
Die Aufarbeitung der Ereignissewird nicht nur die Fanszene über Monate | |
beschäftigen. Der Fanbeirat und die Initiative „nur 03“ veröffentlichen e… | |
Dossier, in dem man Zeugenaussagen lesen kann wie: „In diesem Moment sah | |
ich, wie einer meiner Freunde am Kopf stark blutend von zwei Beamten | |
einfach weggeschleift und auf dem Rücken liegengelassen wurde. | |
Er bewegte sich nicht mehr, war offensichtlich bewusstlos und musste immer | |
noch Schläge und Tritte erleiden. Es gelang mir unter Schlägen, zu ihm zu | |
gelangen, ich warf mich auf ihn und versuchte, ihn so schützend zu | |
stabilisieren. Bei dem ersten Versuch wurde mir von einem der Beamten | |
sofort ins Gesicht geschlagen.“ | |
Auch die Polizei will die Vorfälle aufarbeiten. Auf taz-Anfrage schreibt | |
die Polizei Brandenburg, eine unabhängige Untersuchungsgruppe habe den | |
Einsatz untersucht. Sie habe unter Einbeziehung der Veranstalter „die | |
Einsatzmaßnahmen insgesamt als geeignet, erforderlich und angemessen | |
bewertet“. | |
Die Pressestelle des Polizeipräsidiums Brandenburg zitiert außerdem das | |
Oberlandesgericht Brandenburg von 2018: Die „aufgeheizte Gesamtsituation | |
erforderte ein Einschreiten der Polizeibeamten“. Gegen fünf Polizisten gibt | |
es Verfahren wegen Verdachts der Körperverletzung im Dienst, in Teilen | |
wurden sie bereits eingestellt. Zwei ungekennzeichnete Beamte seien | |
namentlich bekannt gemacht worden, „und eine dienstinterne Auswertung ist | |
mit diesen Bediensteten erfolgt“. | |
Staschinskis Anwältin Anna Luczak, die auf Straf- und Polizeirecht | |
spezialisiert ist, sagt: „Viele Menschen nehmen nach der ersten Besprechung | |
Abstand von einer Anzeige, weil ich ihnen immer sagen muss: Es ist sehr | |
schwer, in Verfahren wegen Polizeigewalt etwas zu erreichen. Und es | |
entstehen Kosten, die oft niemand übernimmt. In der Regel werden die | |
Verfahren vorher eingestellt. Und wahrscheinlich 90 Prozent der Betroffenen | |
erstatten erst gar keine Anzeige.“ | |
## Einstellung der Verfahrens | |
Nach [3][Angaben des Kriminologen Tobias Singelnstein] wurde 2018 nur in | |
rund zwei Prozent der Verdachtsfälle auf Körperverletzung im Amt durch | |
PolizistInnen tatsächlich Anklage erhoben. Oft lässt sich Gewalt nicht | |
einem konkreten Beamten zuordnen, PolizistInnen belasten einander selten | |
und sowieso haben Betroffene häufig und teils begründet Angst vor | |
Gegenanzeigen. Auch viele Babelsberger, sagt Staschinski, klagten nicht. | |
Zugleich zeigen die Videos nach Abpfiff auf dem Rasen auch Fans, die Beamte | |
angreifen. „Die Gegengewalt kam erst in dem Moment, als Fans am Boden | |
lagen“, glaubt Staschinski. Diese Wut heiße er nicht gut, aber verstehe | |
sie. Es sei für ihn die erste derartige Begegnung mit der Polizei gewesen. | |
Seit August 2016 ist er wegen des Übergriffs in psychologischer Behandlung, | |
zu Risikospielen geht er nicht mehr. | |
Und sein Strafverfahren? Im Jahr 2019 wird es eingestellt, nach | |
Staschinskis Angaben ohne, dass er und seine Anwältin darüber informiert | |
wurden. Nach einer Odyssee aus Anzeige, eingestellten Ermittlungen, | |
Klageerzwingungsverfahren und weiteren Ermittlungen nach Einschreiten des | |
Oberlandesgerichts hat das Gericht eine Eröffnung des Verfahrens abgelehnt. | |
Wilfried Lehmann, Sprecher bei der Staatsanwaltschaft Potsdam, sagt: | |
„Natürlich ist es verboten, mit dem Schlagstock auf den Kopf zu schlagen, | |
aber es geht um die Frage der Beweisbarkeit. Wir haben ja Anklage erhoben, | |
doch dem Gericht reichten die Beweismittel nicht aus, um einer konkreten | |
Person die Straftat nachweisen zu können.“ Und: „Fehlende Zuordnung ist | |
beim Thema Polizeigewalt nicht untypisch.“ Wer genau geschlagen hat, kann | |
Staschinski nicht nachweisen. Seine Anwältin sagt, die anstürmenden vier | |
Polizisten, die sich aus der Reihe lösten und auf Staschinski zu rannten, | |
hätten alle seine Verletzung in Kauf genommen. Das reichte nicht. | |
## Kritikwürdiges Vorgehen | |
Es gibt vieles, was der Student und seine Anwältin am Verfahren | |
kritisieren. Einer der hauptbeschuldigten Polizisten ist aus dem Dienst | |
ausgetreten und unbekannt verzogen. Angeblich ist er unauffindbar. Man | |
könne schon aus personellen Gründen nicht bei jedem Verschwundenen eine | |
Zielfahndung ausrufen, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Lehmann. Das sei | |
in diesem Fall unverhältnismäßig. | |
Die Hinweise der Anwältin seien aufgegriffen worden. Die Polizei habe nicht | |
mal in seiner alten Dienststelle Kontaktinformationen ermittelt, sagt | |
Anwältin Luczak. Staschinski sagt: „Es ist wie ein schlechter Krimi.“ Anna | |
Luczak beklagt, dass sie oft spät oder gar nicht über Entwicklungen | |
informiert worden sei, dass ihrem Mandanten unterstellt worden sei, er wäre | |
einfach gefallen oder von anderen Fans geschlagen worden. | |
Auch das OLG Brandenburg kritisiert in einem Vermerk, der der taz als Scan | |
vorliegt, das Vorgehen gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg. | |
Es sei „nicht verständlich“, weshalb nur die Beschuldigten, aber nicht die | |
Opfer vernommen worden seien. Die Theorie, dass Staschinski selbst fiel, | |
sei „nicht plausibel“. | |
Ein rechtsmedizinisches Gutachten bestätigt, dass die Gesichtsverletzungen | |
„am ehesten zwei Schlägen mit einem Schlagstock“ zuzuordnen seien. Und das | |
OLG schreibt: „Die Aussagen der gehörten Polizeibeamten sind | |
widersprüchlich und teilweise unglaubhaft.“ „Das Hauptproblem ist, dass die | |
Ermittlungen einfach nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit geführt wurden“, | |
glaubt Anna Luczak. Doch die Krux bleibt: Das Video zeigt keine Tritte und | |
Schläge einer erkennbaren Person. | |
David Staschinski ist erschöpft. Er versucht es jetzt noch mit einer | |
Zivilklage, da muss kein Einzeltäter identifizierbar sein. Mit etwas Glück | |
bekäme er 1.000 Euro Schmerzensgeld, aber allein die Anwalts- und | |
Verfahrenskosten der vierjährigen Prozedur schätzt er auf 2.500 Euro. | |
Staschinski ist der Letzte der Babelsberger, der noch klagt. | |
Auf die Frage, ob er wieder Anzeige erstatten würde, zögert er. Bei einem | |
kleineren Fall von Polizeigewalt auf gar keinen Fall. Bei einem größeren – | |
Nein will er nicht sagen, aber auch nicht Ja. „Es demotiviert und | |
schockiert mich. Es stellt sich ein Ohnmachtsgefühl ein. Man merkt, man | |
kommt da nicht gegen an.“ Dabei sei er sich so sicher gewesen, Videos, | |
Namen, was brauche die Justiz denn noch? „Jetzt ist es wie ein zweiter | |
Schlag ins Gesicht.“ | |
22 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Regionalligen-und-Corona/!5684659 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=LO7Vi94X2Ak | |
[3] /Koerperverletzung-im-Amt/!5627186 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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