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# taz.de -- Corona und Nordkaukasus: Medizinische Katastrophe
> In der russischen Teilrepublik Dagestan explodieren die
> Infiziertenzahlen. Regeln werden nicht beachtet. Jetzt kommt Hilfe aus
> Moskau
Bild: Sendet Hilfe nach Dagestan: Russlands Präsident Wladimir Putin
Moskau taz | Abdul Nurmagomedow wurde Hals über Kopf aus Dagestan in ein
Moskauer Militärkrankenhaus überführt. Medizinische Betreuung konnte in der
Nordkaukasusrepublik nicht mehr gewährleistet werden. Abdul Nurmagomedow
ist kein einfacher Dagestani. Er ist Vater und Trainer von Habib
Nurmagomedow, dem Martial–Arts-Kämpfer und Leichtgewichtschampion. 21
Millionen folgen Sohn Habib auf Instagram.
Wäre Vater Abdul nicht vom Coronavirus angesteckt worden, hätte die
Republik an der Ostflanke des kaukasischen Gebirgszugs wohl noch länger um
Moskaus Gehör buhlen müssen. [1][Russlands Präsident Wladimir Putin] zählt
auch zu den Anhängern des Kampfsports und kennt Habib persönlich. Dem Sohn
ist es zu verdanken, dass die Hilfe für die Republik von der Größe
Niedersachsens zur Ehrensache wurde.
Anfang der Woche schickte der Kremlchef einen Vortrupp des
Katastrophenministeriums zur Desinfektion in den Süden. Auch eine
Infektionsklinik vor Ort soll entstehen. Jede erforderliche Hilfe werde die
Republik erhalten, versicherte der Präsident. An Tests und Labors habe es
gemangelt. Zuletzt sei das regionale Gesundheitssystem überlastet gewesen,
räumte Putin ein.
Offiziell sind rund 3.600 Einwohner infiziert, 32 starben an dem Virus und
4.500 befinden sich in Quarantäne (Stand 19. Mai). Laut örtlicher
Gesundheitsbehörde sind jedoch fast 14.000 Bürger registriert – Corona- und
Lungenentzündungspatienten zusammengenommen. Meist werden sie getrennt
aufgeführt.
## Großes Misstrauen
Das [2][Misstrauen gegenüber offiziellen Angaben in Russland] ist groß.
„20-mal mehr Menschen sterben an Lungenentzündung als am Coronavirus“,
meint Said Ninalalow. Er ist Schriftsteller, Wissenschaftler und ein
aktiver Zivilgesellschafter. „Ob du an Lungenentzündung oder an Pneumonie
aufgrund von Corona stirbst, spielt das für einen Sterbenden noch eine
Rolle?“, fragt Said beiläufig.
Neben materiellen Engpässen versagte auch die Informationspolitik. Denn
kaum jemand blieb zu Hause und hielt sich an die Anweisungen zur
Selbstisolation. Daran sei auch die Mentalität der Bevölkerung schuld.
Viele besuchen weiter die Moschee und nehmen an großen Familienfeiern und
Beerdigungen teil – trotz Warnungen, meint Said Ninalalow. 3,1 Millionen
Einwohner leben zwischen der Bergregion und dem Kaspischen Meer.
In den Bergdörfern und Siedlungen (Auls) spiele sich eine Tragödie ab.
Verwandte hätten das Virus unter der alten Bevölkerung verbreitet, ergänzt
Natalja Sacharowa von der Universität Dagestan in der Hauptstadt
Machatschkala. „Viele Kranke liegen zu Hause in den Bergen im Sterben“,
sagt sie. Obwohl inzwischen jeder verstünde, wie gefährlich das Virus sei.
Auch 40 Mediziner seien bereits unter den Opfern. Auf eine solche
Katastrophe sei die Republik nicht vorbereitet gewesen, sagt Sacharowa.
## Hälfte der Bewohner erkrankt
Anfang der Woche teilte auch Habib mit, dass es dem Vater noch nicht besser
ginge. Viele seiner Verwandten seien bereits in Behandlung, meinte der
Champion und appellierte an die Instagram-Gemeinde: Alle sollten sich an
die Vorgaben der Ärzte halten und Menschenansammlungen fernbleiben.
Der Vorsitzende der NGO „Monitor Pazienta“, Sijautdin Uwaisow, beobachtete
überdies, dass in einigen Dörfern fast die Hälfte der Bewohner krank sei.
Dort stürben täglich drei bis vier Menschen.
Auch der Bürgermeister von Tebekmachi bestätigte dies. Von 2.000
Aul-Bewohnern seien mehr als 1.000 infiziert. Im April starben zwölf
Menschen. Früher waren es in Tebekmachi allenfalls 15 Todesfälle im Jahr.
Zurzeit rangiert die Republik auf Platz 5 unter allen vom Virus Befallenen
Regionen Russlands.
Für Natalja Sacharowa gleicht dies einer medizinischen Katastrophe. Noch im
Schnellverfahren werden an der Universität Mediziner auf den Umgang mit
Corona-Patienten vorbereitet.
## Gewöhnliche Praxis
Russlands Gesundheitsministerium räumte Anfang der Woche ein, dass die
Verbreitung des Virus in Dagestan eine größere Gefahr bedeute als in
anderen Regionen des Landes.
Moskau hatte mit Wladimir Wassiljew Dagestan einen „Fremdherrscher“ als
Republikchef vor die Nase gesetzt. Keine ungewöhnliche Praxis. Er sollte
über Clan- und ethnischen Zwistigkeiten in dem Vielvölkerstaat stehen.
„Ordnung und Effektivität bleiben jedoch eine Illusion“, meint der
russische Politikwissenschaftler Kirill Rogow.
20 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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