# taz.de -- Die Wahrheit: Sozusagensager | |
> Tagebuch einer Radiohörerin: Korrektes freies Sprechen im Rundfunk will | |
> gelernt. Vor allem Füllwörter sollten irgendwie vermieden werden quasi. | |
Bild: Die Autorin als New Mexican in Truth or Consequences, flankiert von traur… | |
Als leidenschaftliche Radiohörerin musste ich in letzter Zeit leider | |
feststellen, dass meine seit Langem währende Liebe wachsender Erschütterung | |
ausgesetzt ist. Ich mag nämlich besonders gern Sendungen, in denen viel | |
geredet und zum Beispiel von erstaunlichen Biografien und absonderlichen | |
Lebensmodellen berichtet wird. | |
Der Hörgenuss wird allerdings immer häufiger von sinnfrei eingestreuten | |
Füllwörtern getrübt, mittlerweile bin ich kurz davor, eine Petition an die | |
Rundfunkredaktionen zu richten, sie mögen doch bitte ihren geschätzten | |
Studiogästen den Gebrauch bestimmter Vokabeln verbieten. Ganz oben auf | |
meiner Streichliste stehen: Sozusagen, genau, tatsächlich, ein Stück weit, | |
zeitnah sowie bedürfnis-, werte-, und lösungsorientiert. Aus der beliebten | |
Reihe „Wichtigschissfloskeln im Konjunktiv“ lege ich hiermit einen | |
Bannfluch über „Ich würde sagen“ und einen Haufen anderen Blödsinn, die | |
Liste wird zu gegebener Zeit veröffentlicht. | |
In einer Sendung von [1][Deutschlandradio Kultur] hat es neulich ein | |
Interviewpartner geschafft, in einem einzigen Satz viermal „sozusagen“ | |
unterzubringen, ich habe penibel mitgezählt. Die wenigen Worte dazwischen | |
habe ich leider vergessen. Und das, obwohl ich „sozusagen“ schon vor Jahren | |
unter Androhung lebenslangen Sprechverbots für unsagbar erklärt habe! Aber | |
auf mich hört ja keiner. Peinlicherweise ist mir neulich selbst ein | |
„sozusagen“ über die Lippen gekommen, die Schamesröte in meinem Gesicht | |
hätte jedes Mohnfeld vor Neid erblassen lassen. So was passiert, wenn man | |
lange genug gewöhnungsorientiert beschallt wird. | |
Ich behaupte, es gibt bei der Wahl sinnloser Füllwörter | |
geschlechtsspezifische Unterschiede. „Tatsächlich“ und „genau“ werden | |
besonders gern von Frauen benutzt, meist stehen sie am Anfang eines Satzes, | |
ohne dass es nach dem zuvor Gesagten irgendwas zu bestätigen gibt. | |
Willkürliches Dialogbeispiel: „Und wie haben Sie sich dabei gefühlt?“ – | |
„Genau (Pause) … Ich war …“ Ja, was? Zu unentschlossen, unsicher oder | |
verpeilt, um zu wissen, was ich sagen will, bevor ich loslege? Chillt mal, | |
ist nix Besonderes! Früher hat man statt mit „genau“ einfach mit „öhm �… | |
Zeit geschunden; selbstverständlich könnte man auch „Keine Ahnung, muss mal | |
drüber nachdenken“ antworten. | |
## Die Zündkerzen, ich sag mal, sind kaputt quasi | |
Bei Männern sind „sozusagen“ und „ein Stück weit“ beliebt, so wie bei… | |
Typ, von dem ich am Ende eines Interviews, das ich gnädigerweise verpasst | |
hatte, im Schlusssatz noch erfahren durfte, er habe sich „sozusagen ein | |
Stück weit neu erfunden“. Hätte er noch ein paar Stücke draufgelegt, hätte | |
es möglicherweise für einen neuen Wortschatz gereicht. | |
Geschwurbelfreie Gespräche sind manchmal schwer zu finden, deshalb höre ich | |
mir jetzt alte Folgen von „[2][Car Talk]“ an. Darin geben zwei | |
durchgeknallte Brüder ratsuchenden Anrufern Ferndiagnosen für die | |
Zipperlein ihrer Autos. Brüllkomisch, garantiert füllwortfrei. | |
4 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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