# taz.de -- Nach dem Rauswurf von Andreas Kalbitz: Neuer Machtkampf in der AfD | |
> Für den „Flügel“ ist der Ausschluss ihres Anführers eine Kampfansage. … | |
> politisch überlebt und wie weit rechts die Partei am Ende steht, ist | |
> offen. | |
Bild: Das Ende einer Parteimitgliedschaft: AfD jetzt ohne Andreas Kalbitz | |
Stephan Brandner war einer der Ersten, die am frühen Freitagabend eine | |
Kampfansage machten. „7:5:1“, twitterte Brandner, der stellvertretender | |
AfD-Vorsitzender und Bundestagstagsabgeordneter aus Thüringen ist. „Ich | |
meine, wir brauchen nun dringend und kurzfristig einen Bundesparteitag, in | |
denen jedes BuVo-Mitglied seine Gründe für die Entscheidung darlegen kann.“ | |
Und er fügte hinzu, er sei „übrigens bei den Fünfen“ gewesen. | |
Brandner hat dagegen gestimmt, Andreas Kalbitz, bislang Landes- und | |
Fraktionschef in Brandenburg, neben Björn Höcke zweiter „Flügel“-Anführ… | |
und wie Brandner Mitglied im Bundesvorstand, die AfD-Mitgliedschaft mit | |
sofortiger Wirkung zu entziehen. Genau das aber hatte der Bundesvorstand | |
der Partei, kurz BuVo genannt, am frühen Freitagabend nach kontroverser | |
Debatte auf Antrag von Parteichef Jörg Meuthen mit knapper Mehrheit von | |
sieben Stimmen beschlossen. Ein Paukenschlag. Und ein Affront für die | |
Rechtsaußen in der Partei. | |
Der formale Grund: Kalbitz hatte bei seinem Parteieintritt 2013 | |
verschwiegen, dass er [1][Mitglied in der inzwischen verbotenen | |
Neonazi-Organisation Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ)] und auch bei den | |
damals vom Verfassungsschutz beobachteten „Republikanern“ gewesen ist. | |
Während er die Mitgliedschaft bei den Reps seit langem zugibt, sie findet | |
sich sogar auf der offiziellen Website des Brandenburger Landtags, | |
[2][streitet Kalbitz die HDJ-Mitgliedschaft weiter ab]. Dem | |
Verfassungsschutz aber liegt nach Angaben der Behörden ein Mitgliedseintrag | |
der „Familie Andreas Kalbitz“ vor. | |
## Tweet als Drohung an Meuthen | |
Brandners Tweet kann man durchaus als Drohung an Parteichef Meuthen und die | |
anderen verstehen, die für Kalbitz' Rauswurf stimmten – darunter nach | |
Informationen der taz auch die stellvertretende Parteichefin Beatrix von | |
Storch und alle Beisitzer mit Ausnahme des bayerischen | |
Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka. Denn wer sich rechtfertigen soll, | |
dem drohen meist auch Konsequenzen. | |
Und Brandner blieb nicht allein: Die Landesvorsitzenden aus Sachsen und | |
Sachsen-Anhalt sprachen sich umgehend öffentlich für Kalbitz' Verbleib in | |
der AfD aus, Torben Braga, Landtagsabgeordneter in Thüringen und | |
Höcke-Vertrauter, beurteilte die Entscheidung als „unfassbar“ und „nicht | |
nachvollziehbar“, und Thorsten Weiß, Abgeordneter in Berlin, der jüngst von | |
Höcke noch ein „Flügel“-Abzeichen für besonderen Einsatz verliehen bekom… | |
hatte, sprach von „Kamikaze Meuthen“ und drohte ganz offen: „Wir sehen uns | |
auf dem nächsten Bundesparteitag!“ Und im Internet kursiert bereits ein | |
Aufruf, Meuthen nicht nur abzuwählen, sondern wegen parteischädigenden | |
Verhaltens gleich aus der Partei zu schmeißen. | |
Nun wird es in Corona-Zeiten sobald nicht zu einem Parteitag kommen, doch | |
in der AfD ist erneut der Machtkampf ausgebrochen. Wie er ausgeht, ist | |
offen. Meuthen hat zwar eine Schlacht gewonnen und das auch nur knapp, den | |
Sieg davongetragen aber hat noch lange nicht. | |
Der „Flügel“, der offiziell zwar aufgelöst ist, als Netzwerk aber weiter | |
besteht und die ostdeutschen Landesverbände weitgehend dominiert, versteht | |
den Rauswurf Kalbitz' als Kampfansage – und so ist er von Meuthen wohl auch | |
gemeint. Meuthen hat sich zwar vom „Flügel“ ins Amt wählen lassen, sich i… | |
angedient und lange mit ihm paktiert, auch hat er noch vor einigen Monaten | |
abgestritten, dass Kalbitz ein Rechtsextremist sei. So hat er nicht nur | |
seinen Job an der Spitze der AfD gesichert, sondern auch die Einheit der | |
Partei – und damit wiederum zweistellige Wahlergebnisse möglich gemacht. In | |
den ostdeutschen Bundesländern hat bei den Landtagswahlen im vergangenen | |
Herbst fast jeder Vierte für die AfD gestimmt – in Brandenburg waren es, | |
mit Kalbitz an der Spitze, 23,5 Prozent der WählerInnen. | |
## Verfassungsschutz stuft Kalbitz als Rechtsextremisten ein | |
Doch zuletzt reichte es Meuthen, weil der „Flügel“ immer mächtiger wurde, | |
gemäßigtere Parteifunktionäre aus dem Westen ihm Druck machten, vor allem | |
aber wohl wegen des Bundesamts für Verfassungsschutz. Dieses hat das | |
Netzwerk als erwiesen rechtsextrem und volles Beobachtungsobjekt | |
eingestuft, Kalbitz und Höcke als „Rechtsextremisten“. Und damit schwebt | |
über der gesamten AfD die Drohung, auch zumindest als „Verdachtsfall“ | |
eingestuft zu werden. Was möglicherweise zur Abwendung von eher | |
gemäßigteren WählerInnen besonders im bevölkerungsreichen Westen und zum | |
Austritt von BeamtInnen führen würde, die um ihre Jobs und Pensionen | |
bangen. Einige Abgeordnete haben der Partei bereits den Rücken gekehrt. Das | |
Ziel, Volkspartei zu werden, könnte man abhaken. Deshalb hat Meuthen im | |
Bundesvorstand zunächst durchgesetzt, dass sich der „Flügel“ auflösen mu… | |
jetzt hat er eine Mehrheit für Kalbitz' Rauschmiss hinter sich gebracht. | |
Nun [3][ist die rechtsextreme Biografie von Kalbitz seit langem bekannt], | |
Recherchen von antifaschistischen Gruppen und JournalistInnen haben immer | |
wieder neue Details veröffentlicht, darunter auch die taz, die gemeinsam | |
mit anderen das Video publik machte, das Kalbitz' Anwesenheit bei einem | |
HDJ-Zeltlager zeigt. Meuthen und Co. haben sich damit lange arrangiert; | |
Kalbitz war erfolgreich und dazu ein mächtiger Strippenzieher, der mit dem | |
„Flügel“ im Rücken Mehrheiten organisieren konnte und seinen Landesverband | |
auf Linie gebracht hatte – wozu die Gegenseite in der Partei bislang nicht | |
in der Lage war. | |
Es waren also wohl weniger neue Erkenntnisse oder Einsichten, die Meuthen | |
jetzt zu seinem Vorstoß gegen Kalbitz brachten, als der Druck des | |
Verfassungsschutzes und der Hebel, dem die Behörde ihm in die Hand gegeben | |
hatte: Die bei Parteieintritt verschwiegene HDJ-Mitgliedschaft bot laut | |
Satzung die Möglichkeit, Kalbitz mit einfacher Mehrheit im Bundesvorstand | |
die Parteimitgliedschaft sofort zu entziehen. Für ein | |
Parteiausschlussverfahren, das langwierig und im Ausgang ungewiss ist, | |
hätte die Mehrheit im Bundesvorstand nicht gereicht. Und Meuthen weiß | |
natürlich auch, dass zwei seiner VorgängerInnen, Bernd Lucke und Frauke | |
Petry, mit dem Versuch gescheitert sind, Höcke aus der Partei | |
auszuschließen, am Ende im parteiinternen Machtkampf unterlagen und mit | |
Splitterparteien politisch scheiterten. | |
Er habe keinen Anlass, [4][nun auch gegen Höcke vorzugehen,] sagte Meuthen | |
denn auch am Samstag in verschiedenen Interviews und zog sich bei der | |
Begründung von Kalbitz' Rausschmiss stets auf die formale Ebene zurück. Und | |
dennoch sollte man die Bedeutung der Causa Kalbitz nicht unterschätzen: | |
Meuthen hat den einflussreichsten Mann des „Flügels“ gestürzt, der zudem | |
neben Höcke dessen größte Symbolfigur ist. Allerdings bleibt auch hier ein | |
gehöriges Restrisiko: Sollte Kalbitz den Rausschmiss erfolgreich anfechten, | |
was er versuchen will, kann der Parteichef abtreten. | |
Alexander Gauland, der als Ehrenvorsitzender im Bundesvorstand zwar kein | |
Stimmrecht, aber in der AfD weiterhin viel Einfluss hat, hat sich am | |
Freitag schon einmal offen gegen Meuthen gestellt. Der Beschluss sei | |
„falsch und gefährlich für die Partei“, sagte er, nachdem er die Sitzung | |
verlassen hatte. Meuthens Co-Chef Tino Chrupalla und Alice Weidel, | |
Vizechefin der Partei und Vorsitzende der Bundestagsfraktion, haben beide | |
gegen den Antrag votiert. Während sich Chrupalla noch nicht öffentlich | |
geäußert hat, hat Weidel rein formal argumentiert – vor einer Entscheidung | |
sei eine weitere juristische Prüfung des Sachverhalt vonnöten gewesen. So | |
hieß es auch in dem Antrag, den sie und Chrupalla im Bundesvorstand | |
eingebracht hatten. Zu dessen Abstimmung aber kam es nicht mehr. | |
Chrupalla, der aus Sachsen kommt, gilt ohnehin als flügelkompatibel, Weidel | |
hat zuletzt eine Art Deal mit dem Netzwerk gemacht. Deshalb ist sie auf dem | |
letzten Parteitag auch als erste AfD-Vize ohne Gegenkandidaten gewählt | |
worden. Wo Weidel inhaltlich steht, ist inzwischen schwer zu sagen; | |
womöglich will sie jetzt erst mal abwarten, wie sich die Machtverhältnisse | |
in der Partei entwickeln. Allerdings steht sie zu Meuthen auch in einer | |
besonderen Konkurrenz: Dieser hat Ambitionen, wie man hört, bei der | |
kommenden Bundestagswahl als Spitzenkandidat anzutreten und Gauland als | |
Fraktionsvorsitzenden zu beerben. Auch Weidel will wieder kandidieren – | |
doch ein Spitzenteam aus zwei Baden-WürttembergerInnen, denen parteiintern | |
weiterhin ein wirtschaftsliberales Label anhaftet, scheint ausgeschlossen | |
zu sein. | |
Während die anderen Parteien versuchen, Wege aus der Coronakrise zu finden, | |
beschäftigt sich die AfD – die in den Umfragen ohnehin eingebrochen ist – | |
jetzt also wohl erst einmal mit sich selbst. Ob Meuthen den Machtkampf | |
politisch überlebt oder ob er wie Lucke und Petry endet, ist derzeit schwer | |
abschätzbar. Das Gleiche gilt für die Frage, wie extrem weit rechts die AfD | |
als Gesamtpartei am Ende steht. Auch eine Spaltung samt Entstehung einer | |
„Lega Ost“ scheint nicht mehr ausgeschlossen. Genau dieses Szenario hatte | |
Meuthen jüngst in die Diskussion geworfen – war dafür aber vom | |
Bundesvorstand noch abgestraft worden. | |
16 May 2020 | |
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