# taz.de -- Die Geschichte von Knut: Das beste Jahr seines Lebens | |
> Knut ist ein Mensch, der funkelt. Er kann mit seiner ganzen Liebe und | |
> Hingabe einen anderen Menschen stärken. Und er wird dafür belohnt. | |
Bild: Nicht „Ich“ sondern „Wir“: Für manche Menschen ist das von vorne… | |
Es gibt Menschen, mit denen sich die Gedanken und Gefühle weiten. Mit denen | |
die Welt funkelt. So ein Mensch ist Knut. | |
Und das ist Knuts Geschichte: Vor fünf Jahren standen wir an der | |
Kunsthalle. Eine Gruppe schweigsamer Geflüchteter und Deutscher und Knut. | |
Ein großer Mann mit blondem Haar und blauen Augen. Ein Mann, der schnell | |
redet, der sich im Beruf um das Wohl von Menschen in Flugzeugen kümmert. | |
Für den das Leben wie aus Puzzleteilen zu bestehen scheint. Wenn er spürt, | |
dass etwas passt, führt er Menschen und Dinge zueinander, sodass neue | |
Muster entstehen. Er wollte an diesem Tag Geflüchtete und Deutsche | |
zusammenbringen. Manche aus der Gruppe kritisierten das, sie fragten: Was | |
interessiert die Männer kurz nach der Flucht unsere westliche Kunst? Knut | |
blieb unbeirrt. | |
Von diesem Tag ist mir kein Gemälde in Erinnerung geblieben. Ich erinnere | |
mich nur an die stillen Männer. Ein paar von ihnen erzählten lächelnd von | |
ihrer Flucht, als würde dieses Lächeln ein schwerer, sicherer Deckel sein, | |
mit dem sie etwas Dunkles versiegelten. Der Nachmittag war nicht leicht, | |
die Gespräche stockten oft und endeten mit einem Fragezeichen, das in der | |
Luft hing. Wir alle wussten nicht so recht, was wir voneinander wollen oder | |
wollen sollten. Knut stand in der Mitte und moderierte die Stille. | |
Knut kümmerte sich weiter um die syrischen Geflüchteten. Vor allem mit | |
Afrasiab, Mitte 20, verbrachte er viel Zeit. Knut lernte mit ihm Deutsch, | |
er fragte Freunde, ob sie mit Afrasiab lernen könnten. Menschen, die sich | |
nie zuvor mit der Grammatik ihrer Sprache auseinandergesetzt hatten, | |
paukten nun mit Afrasiab. Knut ging mit Afrasiab zu Ämtern, half ihm, eine | |
Wohnung zu finden, einen Job bei der Stadt Hamburg. In Syrien hatte er | |
einen besseren Beruf. Aber Knut sagte zu ihm: „Das ist nun anders. Du | |
fängst hier von vorne an.“ Und Afrasiab nahm einen Anfang nach dem anderen, | |
mit Knut im Rücken. | |
Jedes Mal, wenn ich Afrasiab erlebte, sprach er von seiner Mutter. Das war | |
sein Thema. Er war tieftraurig, weil ihm seine Mutter fehlte, die in die | |
Türkei geflüchtet war. | |
Ein Abend vor Monaten: Knut lädt Bekannte zu einem Abendessen ein. Er | |
möchte weitergeben, wie man Müll vermeiden, Waschmittel und Seife selbst | |
herstellen kann. Knut spricht wieder mit dieser Energie, mit der man das | |
Leben packen möchte und glaubt, es noch gar nicht im Vollen ausgeschöpft zu | |
haben. Vielleicht aber, denke ich zum ersten Mal, spricht er auch so viel, | |
um von etwas abzulenken, eine Stimme zu übertönen, die in ihm selbst kratzt | |
und gräbt? Aber selbst, wenn es so wäre, was spielte es für eine Rolle? | |
Seine Energie reißt uns alle mit. | |
Später am Abend erzählt Knut auch von Afrasiab. Er spricht immer von „Wir�… | |
„Wir versuchen, eine bessere Wohnung für ihn zu finden.“ Knut und Afrasiab | |
sind enge Freunde geworden. Sie züchten nun auch als Imker zusammen Bienen, | |
stellen Honig her. Die Probleme von Afrasiab sind auch Knuts Probleme. | |
„Das letzte Jahr war das beste Jahr meines Lebens“, erzählt Knut dann. Er | |
hat in diesem Jahr geheiratet. „Aber das Jahr war auch das schönste wegen | |
meiner Reise nach Gaziantep.“ Der türkisch-syrischen Grenzstadt. Die Reise | |
hat Knut mit Afrasiab unternommen. Afrasiab hat in Gaziantep das erste Mal | |
seit sechs Jahren seine Mutter wiedergesehen. Knut erzählt von Afrasiabs | |
Aufregung. Dem Flug. Wie sie die Mutter dann sahen und … Knut hält sich | |
plötzlich die Hände vors Gesicht, schluckt: „Ich kann nicht weitersprechen. | |
Nicht jetzt.“ | |
Er atmet aus, setzt wieder an: „Das alles hier“, er zeigt auf die | |
Einrichtung im Wohnzimmer. „Das ist alles nicht so viel wert wie das. Das | |
sind Gefühle.“ In seinen Augen stehen Tränen. Er wischt sich mit seinen | |
Händen übers Gesicht. „Ich kann das nicht beschreiben. Dieser Moment, als | |
Afrasiab seine Mutter wiedergesehen hat. Nach sechs Jahren. Man kann das | |
nicht beschreiben.“ Er atmet aus. „Afrasiab liebt seine Mutter sehr.“ Am | |
Tisch ist es nun still. | |
Seitdem denke ich daran, wie das alles begonnen hat. Die schweigsamen | |
Menschen an der Kunsthalle. Knut ist dran geblieben. Er hat mit seiner | |
ganzen Liebe und Hingabe an einen Menschen geglaubt, ihn gestärkt. Jetzt | |
hat Knut im Alter von 50 Jahren das schönste Jahr seines Lebens erlebt. Und | |
von hier geht er weiter in die Welt und funkelt. So ein Mensch ist Knut. | |
31 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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