# taz.de -- Flüchtlings-Türsteher in Hamburg: „Mit Politik hat das nichts z… | |
> Horst „Hotte“ Kriegel beschützt die Flüchtlinge in der St. Pauli-Kirc… | |
> Mit ihm, sagt er, werde es garantiert kein zweites Mölln geben. | |
Bild: Sichert die Nachtruhe seiner Gäste: Hotte vor der Tür der St. Pauli-Kir… | |
taz: Herr Kriegel, Sie werden „der Türsteher Gottes“ genannt. | |
Horst „Hotte“ Kriegel: Ach, das ist ein Ausdruck, den die Medien geschaffen | |
haben. Das sollte man nicht an die große Glocke hängen, es ist alles nicht | |
so wichtig, was wir hier machen. | |
Nicht wichtig? | |
Ich will nur sagen, dass man hier keinen Helden glorifizieren sollte. | |
Wichtig ist die Arbeit natürlich schon. | |
Das Hamburger Abendblatt, die Zeit, die Mopo, alle haben über Ihre | |
ehrenamtliche Arbeit berichtet. Gefällt Ihnen das? | |
Ich finde es eine traurige Form von Berühmtheit. Bedauerlich ist, dass | |
Leute wie ich hier sitzen müssen. | |
Warum müssen Sie jetzt hier sitzen? | |
Ich habe in den Medien mitbekommen, dass rechte Burschenschaftler die | |
Kirche ausgekundschaftet haben, und war entsetzt, dass sie sich hierhin | |
trauen. Das war der Tropfen, der das Fass bei mir zum Überlaufen gebracht | |
hat. Ich kann nicht akzeptieren, dass in der Kirche, in der ich getauft | |
worden bin – hier nebenan bin ich in den Kindergarten gegangen – | |
irgendwelche Nazis irgendwelche Menschen bedrohen. Die haben sowieso schon | |
genug durchgemacht. | |
Und dann? | |
Bin ich zum Pastor gegangen und hab’ gesagt: „Hallo erstmal; ich bin zwar | |
nicht in der Kirche, aber ich glaube Sie brauchen Hilfe.“ | |
Aber im Endeffekt mussten Sie bisher nicht eingreifen. | |
Ja, aber wir haben andere Betätigungsfelder. Sie dürfen nicht vergessen, | |
dass wir hier auf St. Pauli sind und der Park Fiction nebenan ein Hotspot | |
ist. Die Kirche steht an der Verbindungsstraße zur Reeperbahn. | |
Was sind denn die Betätigungsfelder? | |
Ich habe koksende Menschen aus dem Zelt geschmissen, hier waren Leute auf | |
dem Hof, die nur zum Pinkeln über den Zaun geklettert sind, ich habe | |
Pfandsammler gehabt, die uns um zehn Kisten beklaut haben – all solche | |
Geschichten. Wir haben hier morgens Leute mit zwei, drei Promille stehen, | |
die einfach nur noch „Toilette“ sagen. | |
Also weniger Tätigkeiten gegen die Flüchtlinge. | |
Erstmal: Wir nennen sie unsere Gäste und nicht „die Flüchtlinge“. Dadurch, | |
dass wir sie hier haben und sie schon genug drangsaliert wurden, müssen sie | |
auch in Ruhe schlafen können. Nun muss ich noch dazu sagen, dass ich nicht | |
alleine bin, sondern mir Bekannte aus dem FC St. Pauli-Umfeld helfen. Die | |
Ultras haben mir sogar in einer Dreitagesaktion diese Holzhütte gebaut, in | |
der wir gerade sitzen. Wir alle lieben unseren Stadtteil und sind der | |
Meinung, dass es hier anders laufen muss als beispielsweise in | |
Berlin-Hellersdorf. | |
Und warum sind dann nur Sie im Mittelpunkt der Berichterstattung? | |
Die anderen haben da keine Lust drauf. | |
Haben Sie auch schon bei einem Fußballspiel des FC St. Pauli Tür gestanden? | |
Nein, nein. Ich habe früher Clubs und Großveranstaltungen gemacht. Aber ich | |
war nicht nur Türsteher. Ich habe Autos, Schmuck und Herrenkonfektion | |
verkauft, einen Kunstverein gegründet, bin DJ und war Betreiber eine Cafés. | |
Würde Sie Ihre Tätigkeit hier jemals gegen Geld machen? | |
Ich habe kein Problem damit, wenn mir Leute Spenden geben; so toll geht’s | |
mir auch nicht. Aber wenn mir jemand anbietet, ich solle alternativ | |
irgendein Objekt bewachen, würde ich definitiv Nein sagen. Das ist mir zu | |
langweilig, ich passe auf Menschen auf. Vor ein paar Jahren habe ich noch | |
eine Sicherheitsausbildung gemacht und kann ganz andere Sachen machen als | |
bloßen Objektschutz. Das hier ist eine besondere Tür für mich und extrem | |
sensibel. Emotional gesehen ist es seit jeher meine härteste Tür. | |
Und wie lange sind Sie immer hier? | |
Das sage ich nicht. Und zwar aus demselben Grund, warum du niemandem sagst, | |
was du für Waffen bei dir trägst: Weil du kein Idiot bist. Deswegen mache | |
ich auch niemals geregelte Rundgänge. | |
Was war Ihr brenzligster Fall? | |
Was heißt denn bitteschön brenzlig? Wenn du da oben zwei Kokser im Zelt | |
hast, die der Meinung sind, ich störe sie bei ihrer Wohnzimmertätigkeit und | |
ich erst einmal einen Plastikstuhl gegen die Decke schmeißen muss, bis sie | |
merken, dass Feierabend ist – na, dann stell dir mal vor, solche Jungs | |
gehen einfach so in die Kirche. | |
Ihre Aufgabe besteht also darin, dass die Gäste in Ruhe schlafen können? | |
Genau. Und das hat für mich mit Politik überhaupt nichts zu tun, das ist | |
eine Sache von Zivilcourage. Solange ich hier bin, wird es garantiert kein | |
zweites Mölln geben. Davor habe ich nämlich am meisten Angst. Als ich das | |
damals gesehen habe, habe ich mir auch gesagt: Hätten wir da mal was getan. | |
Ich stehe schon darauf, nicht im Nachhinein hinterher zu jammern, sondern | |
im Vorhinein etwas zu tun. | |
Wie kommen Sie jetzt auf die Brandanschläge von Mölln? | |
Das war ein Impuls von früher. Als ich die Berichte über die | |
Auskundschaftung der Burschenschaftler in der Kirche gehört habe, musste | |
ich denken: Mölln. Ich stehe einfach nicht auf diese scheiß Denke, dass | |
immer erst etwas passieren muss, bevor man Geld ausgibt. | |
Die Medien stellen Sie als großen, gut gebauten Beschützer der Flüchtlinge | |
dar. In welcher Rolle sehen Sie sich? | |
In derselben Rolle. | |
Gibt es mit den Gästen eine Zusammenarbeit in Sachen Schutz oder machen Sie | |
das alleine mit Ihren Kollegen? | |
Meine Kollegen haben am Wochenende wenig Zeit. Agyei, der sowieso schon den | |
Nachtblues am Laufen hat, hilft mir dabei. Wir lieben beide Reggae, haben | |
ein gutes Verständnis zueinander und ich kenne seine gesamte Story. Er hat | |
sich dazu bereit erklärt, seine Landsleute zusammen mit mir zu beschützen. | |
In welchem Verhältnis sehen Sie sich zu den Gästen? | |
Ich habe zu den Gästen ein freundschaftliches Verhältnis und bin dennoch | |
eine Art neutrale Instanz. Zu mir kann man mit seinen Problemen | |
herantreten. Dass ich hier niemanden bevorzuge, haben sie ganz schnell | |
gemerkt. Ich behandle jeden mit Respekt und Zuneigung – das steht im | |
Gegensatz zu ihrem Alltag auf der Straße. Verlassen sie das Kirchengelände, | |
verhalten sie sich wie Schattenkrieger und werden nicht wahrgenommen. Dem | |
möchte ich mit meiner Hilfe etwas entgegensetzen. | |
Können Sie uns von einem Schicksal der Gäste erzählen, das die Tür für Sie | |
außergewöhnlich macht? | |
Agyei hat mir ein Video vom sogenannten Sahara-Express gezeigt. Damit | |
wurden sie zur Arbeit gefahren, knapp vier Wochen durch die Wüste. Ich | |
brauchte erstmal 30 Sekunden, um zu merken, dass das ein LKW ist. An den | |
Seiten nur mit Säcken beladen und oben drauf 350 Menschen. Davon kommen | |
etwa 150 an, die meisten sind runtergefallen. Und wer runterfällt, der hat | |
verloren, denn es wird nicht gebremst. Da gibt es noch viel mehr Storys, da | |
fällt dir gar nichts mehr ein. Jeder Tag, den ich hier verbringe, ist eine | |
absolute Lektion in Sachen Demut. Zuhause habe ich meine Dusche, mein | |
Bettchen, mein Fernsehen und hier liegen 80 Jungs auf dem Fußboden. | |
Was sagen Sie zur Diskussion, ob im Zuge des Winters Wohncontainer | |
aufgestellt werden dürfen? | |
Ich kann diesen Herren Politikern einfach nur empfehlen, sich auf so eine | |
Isomatte in einem nicht beheizten Raum zu legen, das zwei Tage zu machen, | |
und dann kann man mal weiterreden. Wir nehmen es hin, dass die | |
Elbphilharmonie – ein Götzenbild vor dem Herrn – jeden Monat 10.000 Euro | |
teurer wird, und auf der anderen Seite geht jedes fünfte Kind mit Hunger in | |
den Kindergarten. Wir haben hier 80 Flüchtlinge in der Kirche, deren | |
Integration verhindert wird, obwohl sie locker zu integrieren wären. Das | |
ist eine Frechheit und liegt an einer falschen Form der Umverteilung oder | |
was auch immer. Das ist einer der Gründe, warum ich der Politik schon lange | |
nicht mehr glaube. | |
Sie wollten den taz-Lesern noch was sagen. | |
Ja: Es wäre doch mal interessant, herauszufinden, wer sich von den | |
taz-Lesern bereit erklären würde, eine Patenschaft mit einem Flüchtling | |
einzugehen, ein Zimmer zur Verfügung zu stellen oder was auch immer. | |
20 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Carsten Bisping | |
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Flüchtlingspolitik | |
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