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# taz.de -- Stadtbäume retten: Eine Runde Wasser aufs Haus
> Die neue Internet-Plattform „Gieß den Kiez“ verzeichnet den Wasserbedarf
> von 625.000 Straßen- und Anlagenbäumen in Berlin.
Bild: In der Friedrichshainer Wühlischstraße wird fleißig gegossen
Lukas Bezler hat einen Baum abonniert. Einen prächtigen Silberahorn, 124
Jahre alt. Von seinem Balkon aus bewundert Bezler diesen Baum schon, seit
er vor zwölf Jahren in die Wühlischstraße 33 in Friedrichshain gezogen ist.
Und wenn es zu lange trocken ist, gießt Bezler den Silberahorn. Deshalb hat
er ihn jetzt auch auf der Online-Plattform „Giess den Kiez“ abonniert, die
auf einer interaktiven Karte rund 625.000 Straßen- und Anlagenbäume in
Berlin verzeichnet. Nun können auf [1][www.giessdenkiez.de] alle sehen,
dass der Silberahorn vor der Wühlischstraße 33 versorgt wird.
„Ich habe das Gefühl, der Baum war früher voller. Jetzt hat er weniger
Blätter, und deswegen dachte ich, dass er etwas Wasser abkriegen sollte“,
sagt der 48-jährige Bezler. Er nimmt die beiden Eimer und geht runter auf
den Innenhof. Dort hat sich schon die Nachbarschaft der Wühlischstraße 33A
und B versammelt. Das neue Baum-Netzwerk hat es auf Anhieb vielen angetan.
Eine holt Gießkannen aus dem Keller, ein paar andere versuchen, den
Gartenschlauch am Hauswasserhahn im Hinterhof anzuschließen und durch den
Eingang bis auf die Straße zu legen.
Es ist Samstagabend. Den ganzen Tag über hat Berlin auf den ersehnten
[2][Regen] gewartet, doch bis zum Abend ist kein Tropfen gefallen. Nun
kümmern sich also die Nachbarinnen und Nachbarn für heute um Wasser für die
Bäume. „Berlin hätte weniger Lebensqualität, wenn es nicht so grün wäre.
Und wenn wir eine Kette bilden, bekommen die Bäume gegenüber auch mal etwas
ab“, sagt Lukas Bezler, der schon zum zweiten Mal mit vollen Wassereimern
die Straße Richtung Silberahorn überquert, der auf dem spanischen
Spielplatz „El Hispano“ steht. Dort spielen Kinder auf dem großen
Klettertier. Die Gegend belebt sich langsam wieder nach dem
Corona-Shutdown, viele Menschen sitzen auf den Bänken mit einem Bier oder
einem Eis in der Hand. Und die Nachbarschaft gießt.
Bewässerung ist in Berlin „smart“ geworden, dank Digitalisierung: Je nach
Alter, Standort und Baumart benötigen Bäume unterschiedlich viel Wasser,
und um darüber zielgenau zu informieren, hat das Berliner
Innovations-Netzwerk City Lab, in dem Kreative und Entwickler zusammen mit
Behörden und Bürgern an Projekten arbeiten, das Projekt „Giess den Kiez“
mit Unterstützung der Technologiestiftung Berlin und des Berliner Senats
ins Leben gerufen.
## Sie müssen sich kümmern
Und so gibt Dorothee Muschter den jüngeren Linden in der Straße heute mehr
Wasser, weil sie auf der „Giess den Kiez“-Internetseite für ihren hohen
Wasserbedarf hervorgehoben sind. Knapp 20 Jahre wohnt Muschter in der
Wühlischstraße 33. Als die Synchronregisseurin einzog, waren die zwei
Linden direkt vor ihrer Haustür noch ziemlich klein, erzählte sie. „Und nun
erfreuen sie mich vor meinem Fenster im dritten Stock“, sagt sie. „Es ist
nicht mehr selbstverständlich, dass jetzt alles grün ist, darum müssen wir
uns kümmern“.
Ob die Bewohnerinnen und Bewohner dafür mehr zahlen müssen? Vielleicht 50
Cent mehr pro Haushalt im Jahr, erklärt Muschter, falls die Gießaktion
regelmäßig sein muss. Keiner aus der Nachbarschaft habe gemeckert und auch
die Eigentümerin war einverstanden.
Etwa acht Bäume sind nun mit Wasser versorgt. Auf der „Giess den
Kiez“-Plattform wird abgebildet, wie viel Niederschlag in den vergangenen
30 Tagen am Standort jedes Baums gefallen ist, wie groß der Wasserbedarf
jedes Baums, und auch, ob ein Baum in der Zeit bereits gegossen worden ist.
Das ist praktisch, aber Lukas Bezler, Creative Director in einer
Digitalagentur, kann sich noch viel mehr vorstellen: „Wenn das eine
klassische App für Smartphones wäre, dann würde man eine Benachrichtigung
bekommen, wenn es irgendwo in der Nähe einen Baum gibt, der dringend Wasser
braucht oder nie gegossen wird.“ Da gebe es durchaus noch technisches
Potenzial, meint Bezler.
Aber immerhin, ein Anfang ist gemacht. Ab jetzt werden die Nachbarinnen und
Nachbarn aus der Wühlischstrasse 33 jeden Samstag um 17 Uhr mit Eimer und
Schlauch auf die Straße gehen. Ob aus einem Trend eine Tradition wird? Das
wird man auf www.giessdenkiez.de verfolgen können.
24 May 2020
## LINKS
[1] https://www.giessdenkiez.de/
[2] /Stadtbaeume-in-Berlin/!5606296&s=stadtb%C3%A4ume/
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Trockenheit
Stadtnatur
Regen
Digitalisierung
Stadtnatur
Bäume
Naturschutz
Hitze
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