# taz.de -- Schulleiterin über Schulstart in Bremen: „Personell ist es eng“ | |
> Schulleiterin Claudia Dreyer erklärt, was es heißt, Unterricht während | |
> der Pandemie zu planen und was sie vom Ausdruck Coronaferien hält. | |
Bild: Völlig neu lernen müssen SchülerInnen, wie sie künftig Freude artikul… | |
taz: Frau Dreyer, wie viele Lehrer und Lehrerinnen haben sich bei Ihnen für | |
den Präsenzunterricht abgemeldet, weil sie Angst vor einer Infektion haben? | |
Claudia Dreyer: Ich habe schon kurz nachdem die Schulen geschlossen wurden, | |
im März, eine Mail an die etwa 80 Kollegen und Kolleginnen des | |
Stammpersonals geschickt und gefragt, wie es aussieht. Da hat sich eine | |
Handvoll zurückgemeldet, einige gleich mit ärztlichem Attest, weil sie | |
vielleicht das Gefühl hatten, sich rechtfertigen zu müssen. Manche haben | |
auch gesagt, sie würden Unterricht geben, möchten aber keine Aufsicht | |
führen, weil ihnen das zu unübersichtlich wäre. Und bei manchen wusste ich, | |
dass sie zu Risikogruppen gehören. | |
Sie schicken Sie also nicht wie andere zum Amtsarzt? | |
Nein, wir versuchen, individuelle Lösungen zu finden. Ich hatte bei niemand | |
den Eindruck, dass er sich mit Ausreden aus der Affäre ziehen will. Wir | |
haben zwei Schwangere, die eine möchte kommen, die andere nicht, weil die | |
Schwangerschaften sehr unterschiedlich verlaufen, und das hat Auswirkungen | |
auf das Sicherheitsbedürfnis. Es gibt auch Leute, die sind chronisch krank, | |
sagen aber, sie wollen lieber unterrichten, da hätten sie etwas zu tun und | |
sitzen nicht grübelnd zu Hause herum. Und nur, weil jemand nicht im | |
Präsenzunterricht eingesetzt werden kann, heißt das ja nicht, dass er oder | |
sie zu Hause herumsitzt und Däumchen dreht! Weder die Lehrkräfte noch die | |
Schüler und Schülerinnen hatten „Corona-Ferien“, ich finde den Begriff | |
unsäglich. | |
Na ja, ich höre von Freundinnen, dass einige Kolleginnen das anders sehen. | |
Und beim Zentralelternbeirat sollen sich Eltern gemeldet haben, die haben | |
acht Wochen nichts vom Klassenlehrer ihrer Kinder gehört. | |
Klar, es gibt immer Leute, die Dienst nach Vorschrift und immer nur das | |
Minimum dessen machen, was sie müssen. Das fordere ich dann aber auch ein. | |
Ich glaube aber, dass zu wenig gesehen wird, was die Lehrkräfte alles | |
leisten, obwohl so wenig Unterricht in der Schule stattfindet. | |
Zum Beispiel? | |
Zum einen mussten sie sich überlegen, [1][wie sie den Stoff ohne den | |
Präsenzunterricht vermitteln], Videokonferenzen organisieren, Leistungen | |
kontrollieren, und jetzt geht es zunehmend auch darum, die eine Halbgruppe | |
zu Hause zu versorgen und die andere in der Schule, und das so, dass alle | |
auf demselben Stand sind. Einige mussten sich ziemlich ad hoc neue | |
Abituraufgaben ausdenken, weil es einen zusätzlichen Prüfungstermin gab, | |
das macht man auch nicht mal so nebenbei. | |
Während im Nebenzimmer die eigenen Kinder herumspringen. | |
Genau, viele Lehrer und Lehrer*innen haben auch Kinder und den Alltag in | |
Coronazeiten. Ich möchte die Lehrkräfte wirklich einmal in Schutz nehmen | |
und mich bedanken. Wir haben uns auch sehr viel über den Stoff abstimmen | |
müssen, was ist prüfungsrelevant, was können wir weglassen, wenn wir nur | |
geschätzte 60 bis 70 Prozent des Pensums schaffen. | |
Wir sprechen jetzt über die Lerninhalte. Aber wäre es nicht in den letzten | |
Wochen viel wichtiger gewesen, den Kontakt zu halten, regelmäßig Schüler | |
und Schülerinnen anzurufen? | |
Ja. Wir haben an unserer Schule eine sehr enge Klassenstruktur und die | |
Bindung an den Klassenlehrer hat eine besondere Funktion. Das haben viele | |
sehr ernst genommen und versucht, den sozialen Zusammenhalt der Klasse zu | |
stärken, wenn die sich die ganze Zeit nicht treffen können. In einer | |
fünften Klasse hat zum Beispiel ein Lehrer einen Satz aus 30 Wörtern | |
gebastelt und die an alle verschickt. Die Kinder sollten dann ihr Wort auf | |
Video aufnehmen und zurückschicken. So ein Produkt stärkt das | |
Gemeinschaftsgefühl der Klasse. | |
Nun liegt Ihre Schule in einem Einzugsgebiet, wo die meisten Eltern gut bis | |
sehr gut verdienen – da gibt es keine Probleme mit Zugang zu digitalen | |
Medien. | |
Moment, ich habe zehn Jahre in Blumenthal [2][im Brennpunkt gearbeitet] – | |
ein Smartphone haben wirklich alle Schüler und Schülerinnen ab einem | |
gewissen Alter. | |
Aber nicht unbedingt einen Laptop für das E-Learning. Diese Aufgaben kann | |
man auf dem Smartphone nicht machen, ohne irgendwann Kopfschmerzen zu | |
kriegen. | |
Ich sage nicht, dass es keine Probleme damit gibt – übrigens auch in | |
Mittelschichtsfamilien, wenn beide Eltern im Homeoffice sind und die | |
Kinder erst am Abend an den Computer können. Aber ich finde, dass das | |
überschätzt wird. Denn an vielen Stellen ist das ja gar kein E-Learning in | |
seiner originären Funktion, da läuft vieles über Lehrbücher und | |
Arbeitsblätter, die über die Lernplattform „It’s Learning“ eingestellt | |
werden – und für Familien ohne Drucker finden sich auch Lösungen. | |
Jetzt kommen die Schüler und Schülerinnen zurück in die Schulen, [3][vielen | |
geht das viel zu schnell]. Ihnen auch? | |
Als ich von den Plänen das erste Mal gehört habe, habe ich das auch | |
gedacht. Ich hätte es gut gefunden, immer nur wenige Jahrgänge zurück an | |
die Schulen zu führen, sodass man das langsam aufbauen und Erfahrungen | |
machen kann. Ich glaube, die Bildungssenatorin hätte das auch lieber so | |
gemacht. Sie ist sehr unter Druck gesetzt worden, unter anderem vom | |
Zentralelternbeirat. Wobei ich deren Beweggründe auch verstehen kann, | |
Eltern stehen ja auch unter Druck. | |
Und jetzt ist es Ihnen nicht mehr zu schnell? | |
Nein, wenn man das erst mal durchdenkt, wie es gehen kann, dann geht es | |
auch. Ich muss aber sagen, dass das Kollegium an meiner Schule wirklich | |
toll ist. Wir haben eine Mundschutzpflicht in den Bereichen, in denen man | |
einander nicht so gut ausweichen kann, im Gang und auf der Treppe, aber | |
auch in den Pausen. Das tragen alle mit, nachdem wir das in einer | |
Dienstbesprechung geklärt haben. | |
Und die Schüler und Schülerinnen? Das ist nicht so einfach, sich nicht um | |
den Hals zu fallen in einem bestimmten Alter. | |
Wir führen intensiv Aufsicht und müssen sie daran erinnern, aber im Großen | |
und Ganzen klappt das gut. Wir haben als Regel mitgegeben, dass jeder eine | |
Armlänge Abstand halten muss und dann noch ein kleines Stück dazwischen, | |
dann sind es 1,50 Meter. Das üben die richtig. Und wenn sich jemand nicht | |
dran hält, suchen wir das Gespräch. Hier wird niemand suspendiert. | |
Dann ist ja alles super … | |
Na ja, personell ist es schon eng, wir müssen auch auf Studierende für den | |
Präsenzunterricht zurückgreifen, obwohl wir ein eher junges Kollegium | |
haben. | |
Gibt es etwas, was Sie aus dieser Zeit mitnehmen werden? | |
Ja, wie wichtig der Präsenzunterricht ist. Die Motivation zum Lernen wird | |
im persönlichen Kontakt geweckt, dort erreicht man die Schüler und | |
Schülerinnen, da springt der Funke über. Das können digitale Medien nicht | |
ersetzen, da bleibt eine Distanz. | |
26 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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