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# taz.de -- Sport trotz Corona in Nicaragua: Meister ohne Massen
> In Nicaragua wird die Fußballmeisterschaft ohne Unterbrechung zu Ende
> gespielt. Der Sport ruht nicht. Beim Baseball dürfen auch Fans ins
> Stadion.
Bild: Sehr knapper Sicherheitsabstand: zwei Boxer beim offiziellen Wiegen vor d…
Der Meister steht fest. Mit einem 3:1 über den FC Managua hat sich Real
Estelí schon vor einer Woche zum Meister der Primera División von Nicaragua
gekrönt. Die Saison ist wie geplant zu Ende gegangen, kein Spiel musste
wegen der Coronapandemie verschoben oder gar abgesagt werden. [1][Nicaragua
gehört damit gemeinsam mit den autoritär geführten Staaten Turkmenistan,
Belarus] und Burundi zum exklusiven Klub von Ländern, die trotz akuter
Ansteckungsgefahr im Stadion die Saison durchspielen ließen.
Langzeitpräsident Daniel Ortega hatte erklärt: „Wenn man das Land zusperrt,
dann stirbt es.“ Die Grenzen zu den Nachbarländern Honduras und Costa Rica
bleiben offen, der Flugbetrieb ist nur deswegen reduziert, weil die meisten
Airlines ihre Flüge eingestellt haben. Während Privatschulen längst
geschlossen sind, geht in öffentlichen Schulen der Unterricht weiter.
Als in Nicaragua am 18. März der erste Coronafall offiziell gemeldet wurde,
befanden sich in Europa viele Länder bereits im Lockdown. Die Gefahr einer
exponentiellen Ausbreitung des Virus wird aber von offizieller Seite
bestritten. Bis heute werden nicht mehr als 25 Ansteckungsfälle zugegeben.
Alle seien „importiert“: aus Costa Rica, Panama, Kolumbien oder den USA.
Acht Todesfälle durch Covid-19 sind bislang anerkannt. Wenn diese Zahlen
stimmen, hätte Nicaragua mit über 30 Prozent die höchste Todesrate
weltweit.
Die Regierung hat kaum Sicherheitsmaßnahmen verhängt, vielmehr rief sie in
den Osterferien zum massenhaften Besuch der Strände und Restaurants auf und
ließ sogar Demonstrationen gegen das Virus veranstalten. Mediziner
bezweifeln die offiziellen Statistiken, eine von Wissenschaftlern
[2][gegründete Beobachtungsstelle] schätzt die Zahl der Infizierten auf
über 1.000, die der Todesopfer auf weit mehr als 100.
## Seltsames Massensterben
Das Wuhan von Nicaragua heißt Chinandega und liegt 130 Kilometer westlich
der Hauptstadt Managua. Dort starben mehr als hundert Menschen an
„atypischen Lungenleiden“. Männer in Seuchenschutzanzügen begruben sie im
Morgengrauen, noch bevor die Angehörigen verständigt wurden, erzählt der
Arzt Leonel Argüello in einer Videokonferenz. Journalisten, die dem
seltsamen Massensterben im Krankenhaus der Provinzstadt nachgehen wollten,
wurden von der Polizei festgenommen.
Während eine große Zahl von Staatsbürgern, die der Regierung misstrauen,
eigenständig Masken aufsetzen und ihre Sozialkontakte auf ein Minimum zu
reduzieren versuchen, berief der nationale Fußballverband eine
Krisensitzung ein. Bei einer Abstimmung Mitte März hätten neun der zehn
Vereine für die Fortsetzung der Saison votiert, schreibt der
Sportjournalist Nectali Mora Zeledón von der Tageszeitung La Prensa. Die
Spieler hätten vor der Wahl gestanden, ihre Gesundheit oder ihr Einkommen
aufs Spiel zu setzen, so Mora Zeledón [3][in einem salvadorianischen
Radiosender]: „Spielen sie nicht, dann bringen sie kein Essen mehr nach
Hause, spielen sie, dann setzen sie sich der Ansteckungsgefahr aus.“
Es wurde aber vereinbart, ohne Publikum, also bei verschlossenen
Stadiontoren, zu spielen. „Es ist nicht dasselbe, ohne den zwölften Mann zu
spielen, der dich antreibt und für Stimmung sorgt“, klagte Erick Téllez,
Kapitän der Mannschaft Diriangén aus der Stadt Diriamba. Sein Team, mit 27
Titeln der Rekordmeister von Nicaragua, war das einzige, das gegen eine
Fortsetzung der Liga gestimmt hatte. Die Spieler drückten anfangs ihren
Unmut aus, indem sie mit Mund-Nasen-Schutz aufliefen. Allerdings hielten
sie nicht lange durch. „Wir haben uns unwohl gefühlt, man kann nicht gut
atmen“, so Téllez.
Legionäre wie der Russe Nikita Solodschenko oder der Costa Ricaner
Sebastián Barquero zogen es vor, ihre Teams zu verlassen und nach Hause zu
reisen. Die anderen versuchten zumindest minimale Vorsichtsmaßnahmen zu
ergreifen, verzichteten auf Handschlag vor dem Spiel und Massenumarmungen
beim Torjubel. Bisher ist kein Fall einer Ansteckung bekannt geworden.
Allein das Stadion der Hauptstadt Managua, wo drei Klubs der obersten Liga
spielen, fasst 20.000 Fans. Alle anderen sind für weniger als 10.000
ausgelegt. Auch sie füllen sich schon in normalen Zeiten kaum, weil
Nicaragua auf keine Fußballtradition zurückblicken kann.
Die Nicaraguanische Fußballföderation (Fenafut) wurde zwar schon 1931
gegründet und seit 1933 gibt es nationale Meisterschaften. Doch erst in den
letzten Jahren konnte futbol, nicht zuletzt dank der Übertragung von
Spielen der Champions League und anderer europäischer Spitzenspiele,
größere Anhängerschaft gewinnen. So entstand dann im August 2016 die
e[4][rste Fußball-Liga] in ihrer derzeitigen Form. Gespielt wird anfangs
wie in Europa: jeder gegen jeden. Am Ende treten die vier besten
Mannschaften in Play-offs gegeneinander an. Nationalsport ist Baseball, das
die USA nach zwanzigjähriger Okkupation 1932 hinterlassen hatten. Auch die
Baseball-Liga, wo die Spieler ja mit wenig Körperkontakt auskommen, wurde
fortgesetzt – mit Zuschauern. Profi-Boxkämpfe werden teilweise sogar gratis
ausgetragen, damit das Publikum nicht ausbleibt.
19 May 2020
## LINKS
[1] /Fussball-in-Belarus/!5670982
[2] https://www.comitecientificomultidisciplinario.org/
[3] https://www.elsalvador.com/deportes/futbol/nicaragua-crisis-en/709821/2020/
[4] https://ligaprimera.com/
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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