# taz.de -- Doku „Tödliches Trinkwasser“: Der Killer aus dem Fluss | |
> Eine Dokumentation zeichnet die „Flint water crisis“ nach. Sie könnte | |
> tödlicher gewesen sein, als von offizieller Seite eingeräumt. | |
Bild: Das Wasserwerk wurde 50 Jahre lang nicht genutzt. Nun ist es ohne Moderni… | |
BERLIN taz | Die 100.000-Einwohner-Stadt Flint im US-Bundesstaat Michigan | |
kennt man hierzulande, wenn man sie denn kennt, wahrscheinlich über ihren | |
berühmtesten Sohn, den wahrscheinlich berühmtesten amerikanischen | |
Dokumentarfilmer [1][Michael Moore]. Berühmt wurde der einst (1989) mit dem | |
in seiner Heimatstadt gedrehten Film „Roger & Me“, der von ihrem Niedergang | |
handelte. Der größte örtliche Arbeitgeber, General Motors, machte damals | |
seine Fabriken trotz guter Wirtschaftlichkeit dicht und verlegte sie, der | |
billigeren Lohnkosten wegen, nach Mexiko. | |
Moores zentrales Narrativ, dass der GM-Chef ihm drei Jahre lang ein | |
Interview verweigert habe, war eine plakative Lüge – oder, höflicher | |
gesagt: Fiktionalisierung – und ließ manche Kritiker seiner radikal | |
polemischen Methode annehmen, er sei wohl doch eher ein Spiel- als ein | |
Dokumentarfilmer. Auf der anderen Seite ist es gerade die betont subjektive | |
Betrachtungsweise, die den Dokumentarfilm in seiner Variante des Essayfilms | |
von der skrupulösen, kreuzbraven – journalistischen – Dokumentation | |
unterscheidet. | |
Wie so eine Dokumentation ein Thema angeht, das im Grunde prädestiniert | |
wäre für einen Michael-Moore-Film (das der in seinem [2][Wahlkampf-Film | |
„Fahrenheit 11/9“] aber nur gestreift hat), das noch dazu seinen | |
Handlungsort in Flint, Michigan, hat, das kann man sich heute Abend auf dem | |
Spartenkanal ZDF Info angucken. | |
Das investigative Format „Frontline“ läuft seit 1983 beim amerikanischen | |
Sender PBS – die jüngste, 712. Folge hatte den Titel „Coronavirus | |
Pandemic“. Es ist aber die Folge 695, die das ZDF adaptiert und dabei um | |
gut 15 auf 45 Minuten gekürzt hat. Es geht um: „Flint’s Deadly Water“ – | |
„Tödliches Trinkwasser“. | |
Dreckiger Fluss und verrostetes Wasserwerk | |
„Eine neue Pipeline schafft wirtschaftliche Chancen, ermöglicht regionale | |
Kooperation und würde die Stadt günstig mit frischem Wasser versorgen“, | |
sagt am Anfang der ehemalige Bürgermeister von Flint, Dayne Walling, der | |
exakt so aussieht wie David Lynch in seinen mittleren Jahren, in typischem | |
Politikersprech. Bilder vom ersten Spatenstich am 28. Juni 2013: Krawatten | |
tragende Funktionäre mit Bauarbeiterhelmen. | |
Die am Ende nie fertiggestellte Pipeline zum Huronsee war auch gar nicht | |
das wirkliche Problem. Das resultierte wohl vielmehr daraus, dass während | |
der Bauzeit das Wasser für die Stadt Flint aus dem ziemlich dreckigen Fluss | |
entnommen werden sollte und dafür ein seit Jahrzehnten stillgelegtes | |
Wasserwerk reaktiviert wurde. Um die verrosteten Rohre scherte sich | |
niemand. Off-Text: „Das Wasser ist nicht nur braun. Es enthält giftiges | |
Blei.“ Verheerender noch waren die Legionellen im Wasser und die von ihnen | |
ausgelöste Legionärskrankheit. | |
„Das war der Killer“, sagt ein ehemaliger Stadtrat. „Wenige Wochen später | |
nimmt das Schicksal seinen Lauf …“, tönt es aus dem Off. | |
Fernsehjournalisten haben auch bei uns oft genug kein Problem mit – | |
unreflektierten – Floskeln. Es war kein Schicksal, sondern menschliches | |
Versagen, was an die 70 Menschen das Leben gekostet haben könnte. | |
Die Regisseurin Abby Ellis hat außer mit mehreren Epidemiologen unter | |
anderen auch mit zwei Journalisten, einem Staatsanwalt, einer | |
Oberstaatsanwältin und einem Sonderermittler gesprochen. Dessen Vorwürfe | |
direkt an das Gouverneursbüro: „Verschwörung. Fehlverhalten. | |
Pflichtversäumnis. Und Manipulation von Beweisen.“ | |
Der ehemalige Gouverneur Rick Snyder lehne eine Stellungnahme ab, heißt es | |
in der Doku. Bemerkenswerterweise tritt aber auch sonst nicht einer der | |
vielen Talking Heads als Advocatus Diaboli auf. Haben die Journalisten | |
keinen gefunden oder gar nicht erst gesucht? Weil er nicht ins Narrativ | |
gepasst hätte? Dann wäre diese Dokumentation aber kaum weniger selektiv als | |
die Filme eines Michael Moore. | |
18 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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