# taz.de -- Indiens Wanderarbeiter zu Coronazeiten: Langer Marsch der Gestrande… | |
> In Indien dürfen Wanderarbeiter zu ihren Familien zurückkehren. Doch wer | |
> nach Hause will, braucht einen Gesundheitsnachweis. | |
Bild: Auf dem Weg nach Hause: Wanderarbeiter im indischen Uttar Pradesh | |
MUMBAI taz | Sie stehen dicht an dicht gedrängt vor der Polizeistation in | |
[1][Mumbais Slumviertel Dharavi], um sich für die Rückfahrt nach Hause zu | |
registrieren. Es sind vor allem junge Männer, die sich in die Schlange | |
pressen. Im [2][größten Slum der Stadt] leben laut Stadtverwaltung 200.000 | |
Wanderarbeiter, die keinen festen Wohnsitz haben, darunter der | |
Rikschafahrer Hemraj. | |
Ihre Kontaktdaten abzugeben ist nur ein Schritt für Tausende indische | |
Binnenmigranten, die sich nach über [3][40 Tagen Lockdown] nichts | |
sehnlicher wünschen, als ihre Familien wieder zu sehen. | |
Wer nach Hause fahren möchte, braucht aber das durch die Abstandsregelung | |
erhöhte Fahrtgeld plus Gesundheitsnachweis. So kommt es auch vor den | |
Arztpraxen in der Nähe des Slum zu großen Menschenansammlungen. | |
Ende April forderte Indiens Regierung die Bundesstaaten auf, gestrandeten | |
Wanderarbeitern ihre Heimreise zu organisieren. Doch haben viele | |
Unternehmen kein Interesse, günstige Arbeitskräfte ziehen zu lassen. | |
## Mehr Abstand, weniger Passagiere | |
Erst gab es als Transportmittel nur Busse, die aber nach den neuen | |
Coronaregelungen nur maximal 20 Personen transportieren sollten. Nach | |
Verhandlungen war schließlich auch die staatliche Eisenbahn zum Transport | |
bereit. Innerhalb der ersten fünf Tage brachten 70 Sonderzüge 80.000 | |
gestrandete Wanderarbeiter nach Hause. | |
Die Zugtickets sind rar, weil seit Wochen ohnehin kein regulärer Zug mehr | |
rollt und auch jetzt nur wenige Passagiere befördert werden dürfen. Die | |
Tickets kosten jetzt zum Teil mehrere Tageslöhne. | |
In den Zügen sollen mitfahrende Polizisten die Abstandsregeln durchsetzen. | |
[4][Manche Verzweifelte waren schon zu Fuß losgelaufen.] Über 300 | |
Todesfälle hatte es dabei allein durch Erschöpfung und Herzinfarkte | |
gegeben, sagt Nikhil Dey von der Arbeiter- und Bauernorganisation MKSS. | |
„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so hilflos sein würde“, sagt der | |
29-jährige Hemraj verzweifelt und hofft, dass er Mumbai endlich verlassen | |
kann. Denn seit Beginn der landesweiten Ausgangssperre am 25. März ist er | |
ohne Arbeit. | |
## Kritik am plöztlichen Lockdown | |
Die Wirtschaftsprofressorin Jayati Ghosh von der Jawaharlal Nehru | |
Universität in Neu-Delhi kritisiert, dass der plötzliche Lockdown den | |
Menschen keine mehr Zeit ließ, um nach Hause zu kommen. | |
„Indien hat sich für einen harten Weg entschieden“, sagt sie zur taz. Man | |
könne den Menschen nicht sagen, dass sie nicht arbeiten dürften, und sie | |
dann nicht finanziell unterstützen. Ghosh bemängelt, dass Tagelöhner, die | |
kaum genug zum Überleben haben, ihre Tickets selbst zahlen müssen. | |
Auch aus dem Ausland ist der Andrang groß. Ab diesem Donnerstag treffen die | |
ersten von ca. 15.000 in zwölf Ländern gestrandeten InderInnen mit | |
Flugzeugen ein. Sie erwartet zwei Wochen Quarantäne. In den Flugzeugen | |
selbst soll es freie Sitzreihen für Passagiere mit Coronasymptomen geben. | |
## 200.000 Rückkehrwillige InderInnen warten in den Emiraten | |
Und am Wochenende sollen bis zu 1.000 InderInnen mit vier Kriegsschiffen | |
von den Malediven und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten geholt | |
werden. Schon vor dem Lockdown wurden Tausende indischer Gastarbeiter aus | |
den Golfstaaten eingeflogen. Doch noch warten viel mehr. Allein in den | |
Emiraten meldeten sich 200.000 Ausreisewillige bei der Botschaft. | |
In Indien wurde die Ausgangsbeschränkung gerade bis Mitte Mai verlängert. | |
Laut dem Centre for Monitoring Indian Economy (CMIE) verloren im März und | |
April 114 Millionen Inderinnen ihre Jobs. Die oppositionelle | |
Kongress-Partei hat jetzt versprochen, den in ihre Dörfer zurückkehrenden | |
Wanderarbeitern Zugtickets zu zahlen. Für Hemraj ist erst mal nur wichtig, | |
seine Eltern wiederzusehen. | |
9 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Corona-Alarm-im-Slum-von-Mumbai/!5678557 | |
[2] /Bombay-Mumbai/!5162056 | |
[3] /Indien-versucht-das-Unmoegliche/!5670756 | |
[4] /Indiens-Tageloehner-in-der-Coronakrise/!5675061 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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