# taz.de -- Immer mehr Coronainfektionen in Indien: Intensivbetten werden knapp | |
> Seit die Anti-Corona-Maßnahmen gelockert wurden, steigt die Zahl der | |
> Neuinfektionen wieder. Am Mittwoch gab es in Indien knapp 10.000 neue | |
> Fälle. | |
Bild: Steigende Zahlen in Indien: Wanderarbeiter_innen warten hier auf die Mess… | |
MUMBAI taz | Bei lauem Wind laufen in Süd-Mumbai seit Montag wieder | |
Spaziergänger und Familien dicht gedrängt entlang der Westküstenpromenade. | |
Dabei hat die Stadt, die derzeit in Indien am schwersten vom Coronavirus | |
betroffen ist, die Marke von 50.000 registrierten Infektionsfällen längst | |
überschritten. Es sind Szenen, über die in den sozialen Netzwerken sich | |
viele verwunderten. Denn immer wieder sind auch Meldungen zu lesen, dass | |
die Metropole nicht genügend Intensivbetten hat. | |
Nach knapp drei Monaten Lockdown [1][waren Anfang Juni in ganz Indien die | |
zunächst strengen Ausgangsbeschränkungen stark gelockert worden]. Auch | |
wurden die Grenzen zwischen Bundesstaaten geöffnet, der Zug- und | |
Linienflugverkehr wurde teilweise schon wieder aufgenommen. Sich die Beine | |
zu vertreten, ist nun in Mumbai offiziell wieder erlaubt. | |
In anderen Teilen des Landes dürfen gar Gotteshäuser wieder öffnen. Die | |
Schulen bleiben zunächst noch geschlossen. Dabei hat nicht nur Mumbai mit | |
den Infektionen zu kämpfen, auch in der Hauptstadt Delhi oder anderen | |
Teilen des Landes wurden PatientInnen von überforderten Krankenhäusern | |
abgewiesen. Immer wieder sterben Menschen, kurz nachdem sie in Kliniken | |
aufgenommen wurden oder während sie auf eine Behandlung warten – und das zu | |
einer Zeit, in der sich das Land wirtschaftlich wieder öffnet. | |
Denn mit dem landesweiten Lockdown Ende März verloren Millionen InderInnen | |
ihre Arbeit. [2][Hunderttausende Wanderarbeiter und Tagelöhner zogen | |
teilweise zu Fuß hunderte Kilometer in ihre Heimatdörfer]. | |
## Werben um Arbeitskräfte | |
Nachdem Hunderte dabei auf dem Weg starben, erklärte nun am Dienstag das | |
oberste Gericht: Die Binnenmigranten haben ein Anrecht darauf, dass die | |
Regierung ihnen spätestens innerhalb von zwei Wochen den Transport nach | |
Hause ermöglicht. | |
Das wirkt paradox angesichts der Öffnung. Denn inzwischen sind Arbeitgeber | |
schon wieder dabei, ihre verlorenen Arbeitskräfte anzuwerben – mit | |
Flugreisen und bis zu dreimal höheren Löhnen. Die Regierung des südlichen | |
Bundesstaats Kerala bietet etwa jetzt beispielsweise eine | |
Krankenversicherung an. Und Bauherren in Mumbai werben mit Sicherheit und | |
Schutz am Arbeitsplatz. | |
Ram, der bisher als Büroassistent in Mumbai arbeitet, bekam zwar während | |
des Lockdowns weiter seinen Lohn gezahlt. Doch auch er machte sich auf den | |
Weg in sein 1.800 Kilometer entferntes Heimatdorf im nördlichen Bihar. | |
„Viele meiner Bekannten mussten in Mumbai bleiben, weil sie sich die Reise | |
nicht leisten konnten“, sagt er am Telefon. Nach zwei Wochen Quarantäne war | |
er wieder bei seiner Familie. | |
Selbst wenn Ram in Mumbai eine kostenfreie Unterkunft hatte, blieb die | |
Angst, wie er den Lockdown ohne Familie überstehen sollte. Er machte sich | |
deshalb auf die unsichere Reise. Dafür musste er umgerechnet 160 Euro, fast | |
seinen ganzen Monatslohn, bezahlen. | |
Ram, der seinen Arbeitsplatz als Bürogehilfe in einem Filmstudio schätzt, | |
möchte auch gern wieder zurückkehren. Doch erst müsse er sich von den | |
letzten Wochen erholen. | |
## Der Höhepunkt wird erst noch erwartet | |
Anders als zunächst erwartet wird der Höhepunkt der Coronainfektionen in | |
Indien nicht wie vermutet im Juni und Juli sein, sondern sich nach hinten | |
verschieben. Der Gesundheitsexperte Anant Bhan geht davon aus, dass es | |
mehrere Höhepunkte geben könnte. Denn die Ausbreitung des Virus verläuft im | |
Land unterschiedlich: „Es hängt davon ab, wie viele Kontrollmaßnahmen | |
ergriffen werden und ob diese funktionieren oder nicht“, sagt er der taz. | |
Eine Verlängerung des wirtschaftlichen Lockdowns hätte er dagegen nicht für | |
sinnvoll gefunden. „Wir brauchen für Indien eine stärker lokal | |
ausgerichtete und datenorientierte Strategie, die sich auf Fakten und die | |
Beteiligung der Öffentlichkeit stützt“, so Bhan. | |
## Gotteshäuser zu früh geöffnet | |
„Die Eröffnung religiöser Stätten hätte im öffentlichen Interesse aber | |
verschoben werden sollen“, meint Bhan. In Indiens größter Moschee, der Jama | |
Masjid in Delhi, wird denn auch überlegt, die Türen wieder zu schließen. In | |
Mumbai blieben Gotteshäuser geschlossen. | |
Zu dem überlasteten Gesundheitssystem in den Städten kommt jetzt eine | |
Belastungsprobe für die ländlichen Gebiete hinzu. Delhis Regierungschef | |
wollte zunächst die Krankenhäuser der Stadt nur für BewohnerInnen der | |
Hauptstadt reservieren. Doch er stieß auf großen Widerstand. Die Zahl der | |
registrierten Coronainfektionen im Land ist seit Ende Januar auf über | |
287.000 gestiegen. | |
Auch in den Nachbarländern stieg mit den Lockerungen die Zahl der | |
Infizierten: in Pakistan auf über 119.000, in Bangladesch auf 78.000. Laut | |
der Johns-Hopkins-Universität verdoppelt sich die Zahl in Pakistan und | |
Bangladesch alle 14 und in Indien fast alle 16 Tage. Unter den zehn am | |
schwersten betroffenen Ländern verzeichne nur Brasilien ein schnelleres | |
Voranschreiten des Virus als Indien. | |
11 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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