# taz.de -- Bombay (Mumbai): Bei den "Slumdogs" | |
> Ein engagiertes Reisebüro führt Touristen durch das indische | |
> Armutsviertel Dharavi | |
Bild: Im Armutsviertel Dharavi | |
Zwischen Bombays noblem Taj-Mahal-Hotel und dem Touristencafé Leopold, die | |
im November Ziel eines Terrorangriffs waren, liegt im zentralen Viertel | |
Colaba das Büro von Reality Tours and Travel. Wer dem Schild "Slum Tours - | |
this way" in einer Seitenstraße folgt, landet in einem vier Quadratmeter | |
kleinen Büro. Hier empfängt Krishna Poojari Kunden, koordiniert Touren und | |
wird laufend vom Klingeln seines Handys unterbrochen. | |
"Seit dem Erfolg von 'Slumdog Millionär' rufen mich täglich zehn | |
Journalisten an", stöhnt er. Der in Dharavi gedrehte Film zeigt Leben und | |
Aufstieg eines Slumjungen mittels einer Quizshow. Erst kürzlich macht der | |
Abriss der Slumhütten zweier Kinderstars des Films wieder Schlagzeigen. | |
Poojari und seine Mitarbeiter führen Touristen durch diesen größten Slum | |
der Welt. "Bisher ist die Zahl unserer Kunden durch den Film jedoch nur | |
leicht gestiegen", sagt er. | |
Poojari, der wie viele Menschen in Dharavi den Titel "Slumdog" entwürdigend | |
findet, will eigentlich nicht von dem Streifen profitieren. Dabei könnte es | |
sein 2005 gegründetes Reisebürogut gebrauchen. Denn es machte in den | |
letzten zwei Jahren Verlust - weil es 80 Prozent seiner Einnahmen einer | |
Hilfsorganisation und einer Schule in Dharavi spendet. | |
Ab 500 Rupien pro Person, das sind 7,50 Euro, werden Besucher in Gruppen | |
mit maximal sechs Personen von Poojari und seinen Mitarbeitern für | |
mindestens 2,5 Stunden durch Dharavi geführt. Dort leben bis zu eine | |
Million Menschen. Der nur 1,75 Quadratkilometer große Slum, einer von rund | |
2.000 in Bombay, liegt 30 Minuten Bahn- oder mindestens eine Stunde | |
Autofahrt nördlich vom Touristenzentrum Colaba. Statt der dortigen mondänen | |
Kolonialbauten passieren die Besucher vor Betreten des Slums | |
heruntergekommene Wohnblocks. | |
"Das Ziel der Touren ist es, den Mythos von Dharavi als bloßem Ort des | |
Elends und der Armut zu zerstören", sagt Poojari. Damit aus dem Slumbesuch | |
keine voyeuristische Armutssafari wird, erfolgen die Touren zu Fuß, und es | |
gilt die Regel: Keine Fotos! | |
Der Weg führt durch dunkle, schmale Gassen, in die keine zwei Personen | |
nebeneinander passen. Man besucht nach Plastik stinkende | |
Recyclingwerkstätten, schaut verschmierten Lederfärbern bei der Arbeit zu, | |
besichtigt eine Textilfabrik und klettert auf heiße Blechdächer. Man steigt | |
in eine Bäckerei im Souterrain herab, besichtigt eine Töpferei, schaut | |
Frauen beim Zubereiten von Papadam über die Schulter und besucht einen | |
Schulhof mit qualmendem Müll. | |
Das Gefühl, den Bewohnern in ihrer Armut auf die Pelle zu rücken, | |
verflüchtigt sich schnell. Sie sind nicht nur an Besucher gewöhnt, sondern | |
oft auch viel zu beschäftigt, um von diesen Notiz zu nehmen. Und wenn, | |
beantworten sie freundlich Fragen. Die Mitarbeiter der Bäckerei, die ganz | |
Bombay mit ihrem Blätterteigteilchen beliefert, laden gar zum Probieren | |
ein. | |
Die Besucher erleben Dharavi zwar als schmutziges und stinkendes | |
Slumviertel, in dem Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards nicht | |
gelten und dessen Hauptindustrie das Recycling von Müll aller Art ist. Für | |
die meisten dürften die Umstände schockierend sein. Doch lernen die | |
Besucher das Viertel nicht als Ort der Depression, sondern als quirliges | |
Industrieviertel mit 10.000 Hinterhofbetrieben kennen, das den Menschen ein | |
Auskommen ermöglicht. Tourteilnehmer berichten, dies sei der einzige Ort in | |
Indien gewesen, an dem sie nicht von Bettlern belästigt worden seien. | |
Die Tour vermittelt, was hier unter schwierigsten Umständen geleistet wird, | |
oder wie es ein Teilnehmer im Onlineforum von Reality Tours and Travel | |
ausdrückt: "Bei der Tour geht es nicht um Armut, sondern um Menschen, die | |
für ein besseres Leben kämpfen." | |
In Dharavi hat nur ein Prozent der Bewohner eine eigene Toilette. Doch | |
immerhin gibt es hier elektrischen Strom, Wasseranschluss, und fast jeder | |
Erwachsene hat inzwischen ein Handy. Im Vergleich zu anderen indischen | |
Slums ist Dharavi besser und gut organisiert. Die Tour endet mit dem Besuch | |
der kleinen informellen Schule, die von Reality Tours and Travel | |
unterstützt wird. Sie vermittelt Jugendlichen aus Dharavi Computer- und | |
Englischkenntnisse. Der Unterricht ist kostenlos, doch wird eine | |
Anmeldegebühr verlangt, die am Kursende nach regelmäßiger Teilnahme | |
erstattet wird. | |
In Bombay lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Slums. Dennoch | |
dürften die meisten Touristen, die wegen Tempeln, Tadsch Mahal, Gurus und | |
Ayurveda nach Indien kommen, diese Realität kaum erfahren. Gerade deshalb | |
hilft ein Dharavi-Besuch, die Komplexität der gegensätzlichen Realitäten zu | |
verstehen. "Es war definitiv eine meiner unvergesslichsten Erlebnisse in | |
Indien", so ein Tourgast. | |
[1][www.realitytoursandtravel.com] | |
3 Jun 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.realitytoursandtravel.com | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
## TAGS | |
Reiseland Indien | |
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