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# taz.de -- Peking nach dem Coronavirus: Virus-Witze, bis die Polizei kommt
> In Pekings Kneipen feiern die Gäste wieder ausgelassen. Doch Bier
> bekommen nur jene, die sich ihre Körpertemperatur messen lassen.
Bild: Wer bereit ist, vor dem Restaurant einen QR-Code zu scannen, kann in Peki…
PEKING taz | Die Scheinwerfer zeigen auf die Bühne, als Tony, ein
Endzwanziger in rotem Shirt, zum Mikrofon greift. 50 Gäste, ein Mix aus
abgehalfterten Englischlehrern, jungen Chinesinnen in schicker Kleidung und
Volkswagen-Expats beim Feierabendbier, schauen erwartungsvoll auf den
Amateur-Komiker. „Früher dachte ich, sämtliche Spezies erwachen stets
dünner aus dem Winterschlaf“, sagt der US-Amerikaner leicht nervös und nach
einer Kunstpause: „Spätestens seit Ende des Lockdowns weiß ich: Der Mensch
gehört nicht dazu.“
Das skeptische Publikum goutiert die Pointe kaum, also legt Tony mit einem
Schenkelklopfer nach: „Wir hatten heute nur 17 neue Virusfälle! Nur 17!
Oder wie es übersetzt in chinesische Statistiken heißt: 2 neue Fälle“.
Bei der Stand-up-Nacht im Paddy O’Shea’s, einem Irish Pub beim Pekinger
Botschaftsviertel, kreisen zwar die Pointen über das Coronavirus. Doch
scheint die Pandemie hier so weit entfernt wie derzeit wohl an nur wenigen
Orten der Welt.
Ob die vertäfelten Wände, die Fußball-Schals britischer Clubs an der Decke
oder die Menschentraube, die am Tresen auf Fassbier und Whisky wartet:
Alles deutet auf eine Normalität hin, die in Chinas Hauptstadt längst
wieder eingekehrt ist.
## Bier nur gegen Scan, Temperatur, Handy- und Passnummer
Nur die Kellnerin am Eingang, die von jedem Gast die Körpertemperatur
misst, Handynummer und Passdaten notiert, erinnert daran, welche
Jahrhunderttragödie zu Jahresbeginn in China ihren Ausgang genommen hat.
„Vom normalen Umsatz sind wir noch weit entfernt“, murrt der Besitzer des
„Paddy’s“, ein Franzose Mitte vierzig mit Bierbauch. Ob er sich nicht
glücklich schätze, derzeit in Peking zu sein? [1][„Wir mussten immerhin
niemals schließen“, sagt er.]
Der Staat habe zudem die Steuern gesenkt und die Sozialabgabenpflicht
gestrichen. Überleben werde man, so viel sei sicher. Die undurchsichtigen
Regeln der chinesischen Bürokratie hingegen frustrieren den Gastronomen
jedoch sichtlich: „Das ist China. Wenn etwas heute o. k. ist, kann morgen
schon jemand kommen und dir sagen, das ist verboten.“
[2][Nach nun einem Monat ohne Covid-19-Neuinfektion] hat auch Pekings
Gastronomie das Gröbste der Viruskrise hinter sich gelassen. Im
Ausgehviertel Sanlitun konsumieren die Jungen und Gutbetuchten wieder wie
zuvor: Vorm Kleidungsriesen Uniqlo wartet eine Menschentraube auf Einlass
und durch die Gassen flanieren Pärchen in neonfarbenen Turnschuhen und
kurzen Röcken.
## Wieder volle Kneipen
„Bei den meisten Restaurants muss ich zwar einen QR-Code scannen, aber
eigentlich sehen die meisten Läden die Regeln mittlerweile recht locker“,
sagt die taiwanesische Kollegin beim Freitagabendbier, während sie ihr
Fahrrad entlang der Lokale in Jidianyuan schiebt, einem früheren
Fabrikgelände mit heute belgischen Craft-Beer-Kneipen und
Dachterrassen-Bars.
Die Lokale sind alle voll. Doch kommt niemand rein, der sich nicht zunächst
mit seinem Smartphone registriert, einen QR-Code scannt und an drei
Checkpoints mit schwarzuniformierten Nachbarschaftswächtern seine
Körpertemperatur misst.
Im Paddy O’Shea’s erinnert um 22.42 Uhr eine Patroullie aus vier Polizisten
in blauen Hemden daran, dass der Normalzustand noch weit entfernt ist. „Ist
das eine angemeldete Veranstaltung?“, möchte ein Beamter von einer
Kellnerin wissen.
## Polizeivorladung bei zu geringem Abstand der Kneipentische
Sein Kollege schießt mit dem Smartphone Fotos; wohl um sie seinem
Vorgesetzten weiterzuleiten. Die Polizisten sind freundlich, doch ihr
Urteil ist streng: Der Abend ist beendet, die Abstände der Tische sind zu
gering.
Der französische Besitzer, der am nächsten Tag auf die Polizeiwache
vorgeladen wird, nimmt es gelassen. Er weiß, dass in gut einer Woche der
Nationale Volkskongress in Peking tagt; eines der wichtigsten politischen
Ereignisse des Landes. Der Wirt will bis dahin nicht erneut in den Fokus
der Behörden gelangen.
Schon einmal hatten diese einen Polizisten eine Woche lang jeden Abend zur
Inspektion in den Pub abkommandiert. „Wir müssen jetzt aufhören, weil … n…
ja, es ist Corona“, sagt ein Mitarbeiter noch ins Mikrofon. Die Gäste
erheben sich enttäuscht. „Bitte vergesst nicht eure Maske zu tragen.“
15 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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