# taz.de -- Livestreaming-Shopping boomt: Chinas neue Shootingstars | |
> Livestreaming revolutioniert in der Volksrepublik den Onlinehandel. Die | |
> Viruskrise verleiht der Branche einen zusätzlichen Schub. | |
Bild: Stationärer Einzelhandel in China ist unter jungen Leuten out: Sie leben… | |
PEKING taz | Mit perfekt sitzendem Make-up tritt Chen Jie vor ihr Publikum. | |
556.000 Nutzer*innen schauen ihr live zu. Chens Bühne ist ein hell | |
ausgeleuchteter Garderobenraum in der ostchinesischen Stadt Hangzhou. Zum | |
Filmen benötigt die Livestreamerin nur ein Smartphone und ein Stativ. Sie | |
hält eine weiße Bluse in die Kamera: „Wenn ihr nicht dick aussehen wollt, | |
dann nehmt ihr diese Größe.“ Dann beginnt die quirlige Unternehmerin einen | |
Countdown: „Drei, zwei, eins!“ | |
Im selben Moment taucht die weiße Bluse auf dem Handy-Display von Ying Yue | |
auf, die vom fernen Peking aus zuschaut. „Man muss schnell reagieren“, sagt | |
die 28-Jährige. Doch dieses Mal entscheidet sie sich dagegen: Bei der | |
Konkurrenz bekäme sie ein ähnliches Hemd günstiger. | |
Livestreaming-Shopping in China funktioniert in etwa wie einst in den | |
neunziger Jahren das in Deutschland beliebte Teleshopping, bei dem | |
FernsehmoderatorInnen Haushaltsgeräte und Kosmetikprodukte anpriesen. Die | |
ZuschauerInnen konnten dann zum Hörer greifen und die Ware bestellen. | |
Beim Livestreaming heutzutage in China läuft alles wesentlich authentischer | |
ab und mit Do-it-yourself-Charme. Die meisten Kunden schauen auf mobilen | |
Endgeräten zu, Käufe können mit einem Wisch am Handydisplay getätigt | |
werden. Junge „opinion leaders“, meist ganz gewöhnliche Durchschnittstypen | |
mit Hang zum Extrovertierten, preisen Produkte an, für die sie mit ihren | |
Namen bürgen. | |
## 15.000 verkaufte Lippenstifte in nur fünf Minuten | |
Einer der erfolgreichsten ist Li Jiaqi. Der 27-Jährige mit der hohen Stimme | |
hat stets rund 4 Millionen Zuschauer*innen in seinem Streamingkanal. | |
Bekannt ist der Multimillionär dafür, einmal 15.000 Lippenstifte in nur | |
fünf Minuten verkauft zu haben. | |
Nach Angaben des Staatsrats nutzen mit Stand März 2020 rund 560 Millionen | |
Chinesen Livestreaming-Dienste, ein knappes Drittel fällt auf den | |
E-Commerce-Sektor. 2019 wurden über Online-Übertragungen Verkäufe in Höhe | |
von 61 Milliarden Dollar abgewickelt, im Jahr 2020 wird sich der Markt mehr | |
als verdoppeln. | |
Verstärkt wird diese Entwicklung durch die Viruskrise: [1][Ende Februar | |
waren rund die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen von Quarantänemaßnahmen | |
betroffen.] Seither ist Livestreaming einer der wirtschaftlichen | |
Lichtblicke. Bei Taobao haben sich die Zuschauer im Februar verdoppelt. Der | |
Tech-Riese aus Hangzhou ist mit weitem Abstand Marktführer. Über 60.000 | |
Livestreaming-Shows hat die Einkaufsplattform allein 2019 übertragen. | |
Für die Zentralregierung in Peking bildet das Livestreaming-Shopping auch | |
ein massives Vehikel zur Armutsbekämpfung: Bauern aus unterentwickelten | |
Regionen können mithilfe von Livestreaming direkt Zugang zu ihrer | |
Kundschaft bekommen. „Während das Land seine Netzwerkverbindungen | |
verbessert, bieten Livestreaming-Dienste neue Möglichkeiten in China, | |
landwirtschaftliche Produkte zu verkaufen“, vermeldete die staatliche | |
Nachrichtenagentur Xinhua. | |
[2][Der Markt ist gigantisch,] hat allerdings noch viel Luft nach oben: | |
China hat 904 Millionen Onlinenutzer, die Internet-Penetrationsrate liegt | |
bislang bei nur 64,5 Prozent. | |
11 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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