| # taz.de -- Vertrauensstiftende Konsumenten: Im Reich der Luxusgüter-Träume | |
| > In China boomt die „Rent-a-Foreigner“-Industrie. Die Fotografin Joyce | |
| > Rohrmoser war Teil davon und warb für den ehemals familieneigenen | |
| > Pelzhandel. | |
| Bild: Joyce Rohrmoser, Morgenzeremonie, Tianjin 2016 | |
| Tianjin ist kaum sichtbar. Der Smog hängt in den Straßen der großen | |
| Hafenstadt im Nordosten Chinas so dicht, dass die Gebäude nur ein Schemen | |
| sind. Die Parkgarage aber sieht aus wie überall auf der Welt – nur ist sie | |
| komplett leer. Steigt man dann nach oben, blickt man noch einmal auf die | |
| Straßenkreuzung, die zuvor im Smog versank, und landet schließlich in den | |
| Büros der Chic Outlet Company in Tianjin. | |
| Die Bilder hat die Österreicherin Joyce Fischer Rohrmoser von ihrem | |
| Arbeitsplatz im Jahr 2016 gemacht. Joyce Rohrmoser wuchs in Italien auf. | |
| Dahin war ihr in Leipzig geborener Vater Heinz „Henry“ Fischer nach 1945 | |
| gegangen, nachdem er als Einziger der Familie den Holocaust überlebt hatte. | |
| In Mailand kam er dann als Pelzhändler und Kürschner zu Wohlstand. Nach | |
| seinem Tod geriet sein Unternehmen in die Krise. Pelz zu tragen war nicht | |
| mehr mondän, sondern kaltherzig und grausam. | |
| Wie viele andere Eigentümer krisengeschüttelter Unternehmen der | |
| italienischen Textil- und Modeindustrie sahen auch Joyce Rohrmoser und ihr | |
| Bruder Charles Fischer die einzige Überlebenschance in der Übernahme durch | |
| chinesische Investoren. Diese heuerten die Geschwister gleich an, bei | |
| entsprechenden Events als „Iaowei“ Tradition und einstige Größe von „He… | |
| Fischer“ zu repräsentieren. | |
| ## Europas Luxusgüterindustrie braucht China | |
| Auch ohne direkten Einstieg chinesischer Investoren könnte die europäische | |
| Luxusgüterindustrie nicht überleben. China ist ihr wichtigster Markt. | |
| Täglich werden dort neue Einkaufszentren eröffnet, die echte, aber eben | |
| auch gefälschte Markenartikel aus Europa anbieten. | |
| Um nun unter den sündteuren It-Bags und anderer Musts die echten von den | |
| falschen zu scheiden, verfielen die Firmen und großen Eventagenturen | |
| darauf, mit sogenannten Iaoweis zu arbeiten, Ausländer*innen mit ausgeprägt | |
| europäischer Physiognomie, die im Reich der Mitte für besonders vornehm, | |
| kulturell überlegen und folglich äußerst glaubwürdig gelten. | |
| Anders als andere mittellose Nachfahren einst berühmter europäischer | |
| Familienunternehmen, die nun als Darsteller ihres nach China verlustig | |
| gegangenen besseren Selbst im Reich der Mitte touren, spielte Joyce | |
| Rohrmoser nicht nur diese Rolle, sondern betätigte sich auch als | |
| Fotografin. Und in dieser Funktion konnte sie sich selbst beobachten, wie | |
| sie – als Joyce Fischer angekündigt – am Rednerpult steht und davor „The | |
| global supply chain Signing Ceremony“ absolviert. | |
| ## Registrieren statt kritisieren, gar denunzieren | |
| Ja, Joyce Rohrmoser ist involviert und sie sieht sich involviert, genauso | |
| wie die anderen Personen, die in den Bildern ihrer Chinatour auftreten. | |
| Genau das macht ihren Bildband so spannend. Sie bezeugt ihre Bilder gerade | |
| so, wie sie die Echtheit der Labels Miu Miu. Bottega Veneta, Ermenegildo | |
| Zegna etc. bezeugt, deren Markenlogos in einem trostlosen Rechteck an der | |
| sterilen, holzvertäftelten Wand des Shopping-Centers angebracht sind. | |
| Sie registriert, statt dass sie kritisiert oder gar denunziert. Eine | |
| gewisse Trostlosigkeit, die in den Aufnahmen der riesigen, dem Kommerz | |
| geweihten Hallen mit ihrem Marmor, ihren Spiegeln, ihren Vergoldungen und | |
| ihrem wohl dressierten Personal lauert, wirkt daher umso nachhaltiger. | |
| Rohrmoser knöpft sich diese jungen Mitarbeiter*innen vor, macht ihr | |
| individuelles Porträt und fragt sie nach ihren Träumen. Die scheinen dann | |
| allerdings durchaus individuell zu sein: Einer will als Jazzmusiker | |
| reüssieren, ein anderer will ein einfaches Leben führen, als exzellenter | |
| Architekt, und ein dritter will einfach frei sein. | |
| 29 Dec 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
| ## TAGS | |
| China | |
| zeitgenössische Fotografie | |
| Konsum | |
| Globalisierung | |
| Mode | |
| Mode | |
| Mode | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Begegnung während der Modewoche: Das Modell, das spricht | |
| Sie war das Chanel-Gesicht schlechthin: In den 1980ern war sie sogar in | |
| einer Moskauer Datscha ein Star. Und heute? Eine Begegnung. | |
| Aufstieg der Luxusmarke Bulgari: Ein glänzendes Geschäft | |
| Krieg, Hippies, Tourismus: Eine Ausstellung zeigt, wie sich auch kulturelle | |
| Phänomene in der Ästhetik des italienischen Nobellabels niederschlagen. | |
| Modedesigner-Nachwuchs im Wettbewerb: Privilegierte Perspektive | |
| Der International Talent Support in Triest ist Seismograf für kommende | |
| Karrieren und Themen. Großes Potenzial hat die Frage des Upcycling. |