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# taz.de -- Wie Corona Reisen verändert: Mehr Beinfreiheit
> Natürlich reisen wir weiter – aber teurer, pauschaler, überwachter und
> vielleicht auch etwas besonnener. Alternativen gibt es längst.
Bild: Länger, intensiver, weniger reisen
Wie werden wir nach Corona reisen? So selbstverständlich und unbeschwert
wie bislang? Oder läutet die Krise eine Zäsur im Tourismus ein? Ein
Innehalten bei der [1][klimaschädigenden Vielfliegerei], eine
Entschleunigung bei unserem rastlosen Surfen um die Welt? Sicher ist
bislang nur: Den [2][Sommerurlaub in diesem Jah]r können wir vergessen.
Zumindest den über die Landesgrenzen hinaus. Dass uneingeschränktes Reisen
wieder möglich ist, damit rechnen Experten bestenfalls ab Ende März 2021
und schlimmstenfalls ab Ende April 2022.
Entzug macht unruhig. Und unbegrenztes Reisen, Mobilität gehören zu unserem
Lebensstil. Wer sitzt nicht in den Startlöchern und wartet auf virusfreie
Zeiten, um wieder an der Amalfieküste Wein zu kosten, auf den Kanaren zu
wandern oder in der Karibik zu baden? Die Pandemie hat an den Grundfesten
des Tourismus gerüttelt: dem Versprechen maximaler Sicherheit und
Bequemlichkeit bei maximaler Welterfahrung. Nicht bloß die Erfüllung von
Sehnsüchten nach einer schönen Fremde machte diese Industrie so
erfolgreich, sondern nicht zuletzt die Eliminierung von Ungewissheit, die
seit jeher zu jeder Reise gehört.
Wer in früheren Zeiten auf Reisen ging oder pilgerte, machte vorher sein
Testament. Die Wahrscheinlichkeit, nicht mehr zurückzukehren, war immer
hoch. Der marktförmige Tourismus hat vielmehr noch jedes kleine Bedürfnis
nach Ferne und Fremde als Ware verpackt und als Sehnsuchtsziel zur Buchung
freigegeben. Das Virus erinnert uns daran, dass es gefährlich ist, sein
Haus zu verlassen.
## Reisen wird teurer werden
Zuletzt sprengte das marktförmige Reisen alle Dimensionen der Umwelt- und
Sozialverträglichkeit. Im letzten Sommer wurde Overtourism zu einem
vieldiskutierten Phänomen an altbekannten touristischen Highlights wie etwa
Venedig, aber auch an neuen Instagram-Hits. Das Virus wird unsere
überhitzte Reiseaktivität nur vorübergehend bremsen. Nicht nur unser
Lebensstil steht dem entgegen, sondern die Dynamik unserer Gesellschaft,
vor allem ökonomischer Druck: Mit weltweit rund 100 Millionen Beschäftigten
gilt der Tourismus als einer der bedeutendsten Arbeitgeber.
Grenzüberschreitende Reisen machen 25 bis 30 Prozent des Welthandels aus.
Das internationale Bremsmanöver bringt die Wirtschaft vieler Länder ins
Schlingern. Der Wissenschaftler Hartmut Rosa, der die Beschleunigung der
modernen Zivilisation erforscht hat, benutzt das Bild vom Fahrrad, das
umkippt, wenn man es stoppt. Man müsse weiterfahren, um in der Balance zu
bleiben.
Pauschalreiseveranstalter werden ihr Geschäftsmodell, das aus immer
individuelleren Bausteinen besteht, weiter ausbauen können, denn sie waren
die Helfer in der Krise, die sich im Gegensatz zu anonymen Internetportalen
um ihre Kunden kümmerten. Sie werden sich auch weiterhin als Garanten für
Sicherheit empfehlen. Und wenn es knirscht im Getriebe, dann gibt es das
vertragliche Recht auf Entschädigung bei nicht perfekter Erfüllung
zugesicherter Leistungen. Im Notfall bürgt der Staat, dank der mächtigen
Lobby der Reiseindustrie.
[3][Airlines sind durch das Virus stark getroffen]. Sie sind eine
systemrelevante Branche, so gesehen werden Staaten sie nicht fallen lassen,
zumindest nicht die „National Carriers“. Bei den kleineren Airlines
hingegen könnte es zu einer starken Konsolidierung kommen. Zudem wollen
Fluggäste in der Zukunft mehr Abstand zu anderen. Die größere Beinfreiheit
wird zur Kaufentscheidung, der Mittelsitz ein Relikt verstaubter Flugzeuge.
Das alles könnte das Billigfliegermodell infrage stellen. Der Wunsch, mehr
Abstand zu anderen zu haben, wird Business- und First-Class-Flüge zum
Gewinner der Krise machen.
Reisen wird teurer werden. Und möglicherweise zum Schrittmacher eines von
vielen gefürchteten Überwachungsregimes, wo neben die aufwendigen
Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen wegen Terrorismus nun die individuelle
Überwachung zur Virusbekämpfung durch Big Data tritt.
Das Virus sei ein „Terror aus der Luft“, meint der Philosoph Byung-Chul Han
und beschwört autoritäre Verhältnisse. Das Smartphone könnte wichtiger als
der Reisepass werden. Optimistisch gesehen wird der Mundschutz keine
Pflicht, sondern er avanciert zum modischen Accessoire, so fundamental wie
die Sonnenbrille. An den Flughäfen wird sich dies zeigen.
## Mehr Eigeninitiative gefragt
Kreuzfahrten, bislang die absolute Boomindustrie, werden um ihr Image
kämpfen müssen, [4][seit sie zum Virengefängnis wurden]. Ihre katastrophale
Umweltbilanz hat kaum jemanden gestört. Was jedoch in der Zukunft viele
stören könnte, ist die Tatsache, dass man auf einem Kreuzfahrtschiff für
viele Tage oder gar Wochen, mit teilweise Tausenden von anderen Menschen
auf engem Raum lebt. Social Distancing könnte zum neuen Distinktionsmerkmal
werden. Wer es sich leisten kann, wird in der Zukunft Individualität noch
mehr fordern, aber trotzdem pauschal buchen. Und vielleicht wird selbst im
Club wieder gesiezt.
Und die Utopie? Die Hoffnung auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit? Der
Gegentrend zum bequemen Konsumismus der meisten Touristen und der
Rücksichtslosigkeit touristischer Expansion hat bereits vor Jahrzehnten
einen „alternativen“ Reisesektor von kleinen Anbietern hervorgebracht, der
nachhaltig wirtschaftet, nun allerdings besonders bedroht ist.
Das Virus wird nichts richten, im Gegenteil, es wird etliche kleine
Projekte, neue Ansätze und Alternativen im Tourismus wirtschaftlich
ruinieren. Nach dem globalen Reisestillstand braucht es mehr denn je
Eigeninitiative von Kunden, Veranstaltern und NGOs und staatliche Förderung
nachhaltiger Projekte. Jenseits der Marktförmigkeit und vor allem in
Hinblick auf die Klimabilanz.
Die gute Nachricht: Es gibt diese Alternativen, es gibt neue Trends:
Länger, intensiver, weniger empfehlen tourismuskritische Portale längst bei
Fernreisen. Und wer hätte je gedacht, dass sich heute an praktisch jedem
Flüsschen ein gut ausgebauter Radweg für Tourenradler findet und dass die
hiesige Restnatur mit attraktiven „Toptrails“ für Wanderer brilliert? Wer
geht, macht sich widerstandfähiger – auch gegen den Trend des Höher,
Schneller, Weiter. Und solange wir gezwungenermaßen unsere Entdeckerlust in
der Nähe ausleben, entdecken wir vielleicht auch ein anderes,
unaufgeregteres Reisen.
3 May 2020
## LINKS
[1] /Luftnummer-CO2-Kompensation/!5616282
[2] /Entscheidung-der-Bundesregierung/!5682068
[3] /Petition-von-Klimaaktivisten/!5682255
[4] /Coronavirus-breitet-sich-aus/!5662041
## AUTOREN
Edith Kresta
Christel Burghoff
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