# taz.de -- Coach über Kirche in der Coronakrise: „Auf dem Sofa predigen“ | |
> PastorInnen mussten im Virtuellen das Gemeinschaftsgefühl stärken. | |
> Kirchen-Coach Felix Ritter hat Ideen, was die Kirche daraus lernen kann. | |
Bild: Ohgottohgott – Bis vor kurzem konnten Gottesdienste nur online stattfin… | |
taz am wochenende: Herr Ritter, Sie geben Coachings für Gottesdienste. Wie | |
gehen Sie dabei vor? | |
Felix Ritter: Als Allererstes übe ich mit den Leuten, wie sie damit | |
aufhören können, Kirche zu spielen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Nicht nur [1][in der Kirche] ist es so, dass Menschen nicht authentisch | |
wirken: Man glaubt ihnen nicht ganz, was sie sagen. Das liegt an einer | |
Kultur der Ernsthaftigkeit. Viele glauben, besonders wichtige Informationen | |
müssten ernst und seriös kommuniziert werden. | |
Ist Ernsthaftigkeit negativ? | |
In Zeiten von Youtube scheint das nicht mehr attraktiv, da hört niemand | |
gern zu. Ich versuche also ein Bewusstsein zu schaffen, dass man auch in | |
der Kirche ganz normal reden kann, dass die Zuhörenden gern angeschaut | |
werden – und dass Menschen dann am interessanten sind, wenn sie sagen, was | |
ihnen auf der Seele brennt. | |
Ist gefühlsbetont denn besser als ernsthaft? | |
Effizienter. Wenn ich etwas ernst und reserviert präsentiere, hat mein | |
Publikum die Chance, sich etwa 25 Prozent der Informationen zu merken. Wenn | |
ich den gleichen Vortrag mit emotionaler Begeisterung vermittle, können die | |
Zuhörer und Zuhörerinnen etwa 45 Prozent des Vermittelten abspeichern. | |
Zuletzt stieg die Nachfrage [2][nach Online-Formaten für den Gottesdienst]. | |
Ist das eine Chance für mehr Gefühl? | |
Normalerweise versucht die Kirche zu kontrollieren, welche Beiträge in | |
ihrem Namen in die Öffentlichkeit kommen. In der Coronakrise ist das | |
schwierig geworden und es wurden beinahe guerilla-mäßig neue Formen | |
ausprobiert. Das ist gut. Denn es glauben heute mehr Menschen an etwas | |
Übernatürliches als 1950, aber die Kirchen sind trotzdem leerer. Durch das | |
Feedback von Menschen, die nun online teilnehmen, davor aber noch nie in | |
einem Gottesdienst waren, wird jetzt sichtbarer, woran es liegt. | |
Warum ist Gemeinschaft für Gottesdienste wichtig? Reicht das persönliche | |
Gebet nicht? | |
Gottesdienst hat die Funktion, Gott mit mir ins Gespräch zu bringen. Dank | |
der Gemeinschaft bin ich nicht allein. Die Teilnahme an einem Gottesdienst | |
bewirkt auch, dass ich mir eine bewusste Auszeit nehme – zwischen meinen | |
Alltagssorgen und dem Stress, den viele Menschen gerade in der jetzigen | |
Zeit empfinden. | |
Und wie ersetzt ein Online-Gottesdienst die Gemeinde? | |
Natürlich kann man diese nicht ersetzen, aber es gibt Möglichkeiten, anders | |
mit der virtuellen Gemeinde umzugehen. Meine erste Idee war, vom Sofa aus | |
zu predigen. Indem ich meine Alltagswelt zeige, vielleicht einen Kaffee | |
trinke und versuche, so natürlich wie möglich zu reden, sogar zu plaudern, | |
schaffe ich einen gemeinsamen Raum und Moment mit denen, die zuschauen. | |
Dabei ist es wichtig, mit der Kamera zu interagieren. Ich darf sie mir | |
nicht als abstraktes Objekt vorstellen, sondern als Freund, zu dem ich | |
spreche. Vielleicht kann man dann auch versuchen, ein wenig mit der Kamera | |
zu flirten. | |
Zu flirten? | |
Flirten heißt, dass du für mich interessant bist. Ich bin neugierig auf | |
dich. Oft fühlen sich Menschen, die allein vor anderen sprechen, einsam. | |
Doch wenn sie flirten, flirtet die Gemeinde irgendwann auch zurück und es | |
entsteht eine Beziehung. Natürlich ist das ein längerer Prozess. | |
Der Gottesdienst – ein Unterhaltungsformat: Wie spielt da der Glaube rein? | |
Es gibt eigentlich nur wenige, die an gar nichts glauben – was es auch sein | |
mag, woran die glauben, die glauben. Ich würde nicht sagen, dass man | |
gottgläubig sein muss, um teilzunehmen, aber ich fände es auch komisch, | |
wenn Gott im Gottesdienst gar nicht vorkäme. Gerade in Zeiten von Corona | |
stelle ich fest, dass Kirche wieder attraktiver wird für viele, weil sie | |
Leerstellen bemerken und irgendeine Art Halt suchen. Wenn jemand, der nicht | |
glaubt, einen Gottesdienst anschaut und danach sagt: „Das hat mir | |
gutgetan“, dann ist das doch etwas sehr Positives. | |
Sie coachen Pastoren und Pastorinnen etwa für den ZDF-Fernsehgottesdienst. | |
Daneben werden Sie zu Predigtseminaren oder Pfarrkonventen geladen. Was | |
machen die, die predigen, denn falsch? | |
Ich weiß nicht, ob es wirklich um richtig oder falsch geht. Einige feiern | |
wunderschöne Gottesdienste, das kriegen wenige mit. Andere machen, wenn sie | |
etwa „Wir feiern diesen Gottesdienst“ sagen, unnatürliche Pausen. Dadurch | |
klingt das wie ein Problem. Dabei sollte das Feiern doch als etwas | |
wahrgenommen werden, was Spaß machen kann. Viele sprechen aus einem | |
Amtsverständnis heraus so, wie ich es beschrieben habe, weil auch ihre | |
Vorgänger und Vorgängerinnen das gemacht haben und die, die sie ausgebildet | |
haben, es vermutlich auch so taten. Das wird heute aber nicht mehr wirklich | |
geglaubt. Menschen erwarten, dass Pastorinnen und Pastoren mitfeiern. | |
Wie reagieren die Kirchenleute, wenn Sie ihnen das so sagen? | |
Sehr positiv. Oft kann es eine große Befreiung sein. Wenn Pastoren und | |
Pastorinnen anfangen, die Gottesdienste zu feiern, die ihnen persönlich | |
guttun, ist die Chance viel größer, dass sie der Gemeinde auch Spaß machen. | |
Und dass sie auch Leute attraktiv finden, die es sonst nicht gewohnt sind, | |
in den Gottesdienst zu gehen. | |
Woher kommt das Sprachproblem in der Kirche eigentlich? | |
Ich glaube, die Postmoderne hat uns gesellschaftlich dazu erzogen – | |
überspitzt gedacht –, nichts zu sagen. Das erlebe ich oft in meinem Alltag: | |
Wir sind alle geschützt in unserer Subjektivität und unterhalten uns, ohne | |
wirklich aufeinander einzugehen. In der Kirche wird oft sehr lange über | |
Themen gesprochen, die als sehr wichtig empfunden werden, die den meisten | |
aber bereits bewusst sind. Sowohl die Pastoren und Pastorinnen als auch die | |
Gemeinde scheinen sich dann gar nicht wirklich dafür zu interessieren, weil | |
es oft dieselben schweren Reden sind. | |
Deshalb schlage ich für den Gottesdienst eine Orientierung am TED-Talk vor. | |
Das heißt, ich rede nicht einfach über ein Thema, sondern ich mache einen | |
Vorschlag, gebe eine Idee mit, biete etwas an – gewissermaßen | |
lösungsorientiert. Ist es für mich selbst als Pastor oder Pastorin klar, | |
welche Botschaft ich vermitteln will, dann kann ich auch lang und frei | |
darüber reden, weil ich als Redende interessant werde. | |
Ist Lösungsorientierung bei Fragen zu Gott das, was man braucht? | |
Ich möchte mit klaren Ideen überrascht und nicht belehrt werden. Wenn ich | |
belehrt werde, entsteht eine Hierarchie. Oder es entwickelt sich ein | |
Gefühl, dass das, was gesagt wird, gar nicht das eigene Anliegen ist. Im | |
Coaching gibt es dazu eine Übung: Versuchen Sie mal, jedes Wir in den | |
eigenen Reden durch ein Ich zu ersetzen. | |
Obwohl weiterhin das Gleiche gesagt wird, entsteht eine andere Perspektive: | |
Es ist ein Unterschied, ob ich sage: „Bei allem, was uns in den letzten | |
Wochen so niedergedrückt hat, dürfen wir noch hoffen.“ Oder: „Bei allem, | |
was mich in den letzten Wochen so niedergedrückt hat, darf ich noch | |
hoffen.“ Man muss nicht davon ausgehen, dass alle die gleichen Erfahrungen | |
machen, dafür erleben wir zu viel Verschiedenes. | |
Sie meinen also, so wie in der Kirche gesprochen wird, verstehen es viele | |
nicht. | |
Natürlich sind das auch meine Erfahrungen. Aber ich habe das Gefühl, dass | |
es vielen ähnlich geht: Sie werden in der Kirche angesprochen, als wäre | |
gerade ein Angehöriger verstorben. Und dann haben sie das Gefühl, sie | |
dürften hier nur hingehen, wenn es ihnen schlecht geht. Dabei kann der | |
Glaube doch auch ganz anders wirken. Er kann mir im Alltag helfen, mich | |
stärken. Dieses positive Gefühl möchte ich auch vermittelt bekommen – und | |
nicht, dass davon ausgegangen wird, dass es uns schlecht geht. | |
Was also ist das Wichtigste, um es besser zu machen? | |
Vertrauen. Das entsteht über Ehrlichkeit, Integrität, Authentizität – und, | |
am wichtigsten, Liebe. Menschen hören einfach nicht gern zu, wenn sie nicht | |
geliebt werden. Ich muss meinem Gegenüber vermitteln: „Du bist der Grund, | |
warum ich spreche. Für dich mache ich das.“ | |
3 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Felix Lorber | |
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