# taz.de -- Proteste in Litauen: Angst vor AKW in Belarus | |
> In Belarus geht bald der erste Meiler ans Netz – wenige Kilometer von der | |
> Grenze zu Litauen entfernt. Dort werden bereits Jodtabletten verteilt. | |
Bild: Sie rechnen mit dem Schlimmsten: Litauer dekontaminieren einen Bus bei ei… | |
ASTRAWETS taz | Im weißrussischen Städtchen Astrawets wird an der | |
Stadtausfahrt Richtung Vilnius ein komplett neues Viertel gebaut – mit | |
Wohnblocks, Spielplätzen und Supermärkten für Tausende AKW-Mitarbeiter. | |
Astrawets soll von 8.000 auf über 30.000 Einwohner wachsen. „Uns hat keiner | |
gefragt, ob wir das alles überhaupt wollen», klagt Iwan Krug. Der ehemalige | |
Lokalpolizist ist heute einer der bekanntesten AKW-Gegner vor Ort – und | |
einer der letzten. Der Autokrat [1][Alexander Lukaschenko] habe sich in | |
Astrawets durchgesetzt, wie er es immer mache, sagt Krug. „Einschüchtern | |
und isolieren, manchmal auch mit neuen Posten ködern“, sei die Strategie | |
des Mannes, der seit 1994 Präsident von Weißrussland ist. | |
Ausgerechnet Belarus, das größte Opfer des sowjetischen Super-GAUs von | |
Tschernobyl, will nun sein erstes eigenes AKW in Betrieb nehmen. Das Land | |
hat bis heute mit den Folgen der Explosion des vierten Blocks von | |
Tschernobyl zu kämpfen, der sich am Sonntag zum 34. Mal jährt: Ein Viertel | |
des Territoriums wurde damals verstrahlt, 140.000 Personen wurden | |
umgesiedelt. | |
Drohend erheben sich nun in Astrawets hinter drei Stacheldrahtzäunen die | |
Kühltürme des neuen AKWs. Die dazugehörigen Reaktorblöcke sind im dichten | |
Nebel kaum auszumachen. „Dieser Schrott bringt uns nur Unglück“, sagt Iwan, | |
der Fahrer startet einen rostigen Diesel-Audi durch. Wer hier langsam | |
unterwegs ist, fällt nur unnötig auf. Der Einheimische kennt sich in der | |
Gegend aus. Und er versteht die Mentalität im weissrussisch-litauischen | |
Grenzgebiet: „Sich ducken, ja nichts gegen die Macht sagen, das bringt nur | |
Unglück“, brummt der Fahrer. „Was sollen wir schon aufbegehren, nun wo das | |
AKW gebaut ist?“ | |
Acht Jahre lang wurden hier, 15 Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums von | |
Astravets, mit einem Moskauer 9-Milliarden-Euro-Kredit zwei | |
Druckwasserreaktoren des russischen Typs NPP-2006 gebaut. Bauherr ist der | |
staatliche russische Konzern Atomstroiexport, der gerade auch im Iran, | |
Indien und China AKWs baut. Der erste Reaktorblock soll im Juli in Betrieb | |
gehen und im September ans Netz. Von einem „Motor des Fortschritts“, | |
schwärmt Lukaschenko. Er hatte Astravets zur Chefsache erklärt, nachdem er | |
einst mit dem Versprechen, „nie ein AKW in Weißrussland zu bauen“ an die | |
Macht gekommen war. Nach dem GAU von Tschernobyl waren die Pläne für ein | |
weißrussisches AKW zunächst auf Eis gelegt worden. | |
## Haarsträubende Unfälle | |
Heute gehen über den Fortschritt die Meinungen in der Reaktorstadt weit | |
auseinander. Hinter vorgehaltener Hand erzählen Alteingesessene in | |
Astrawets von Bränden und haarsträubenden Unfällen. Mindestens 10 Tote soll | |
der Bau des Reaktors bisher laut der Minsker Umweltgruppe Ekodom gekostet | |
haben. 2016 war gar die Reaktorhülle aus Stahl vom Kran gefallen. | |
Angeblich, ohne dabei Schaden zu nehmen | |
„In unserm Werk ist alles absolut sicher“, sagt dagegen Edward Swirid, der | |
Chef des AKW-Informationszentrums in Astrawets. Und: „Wir Weißrussen haben | |
aus Tschernobyl und Fukushima gelernt.“ Swirid zeigt stylische Grafiken und | |
eine eindrückliche Unfallsimulation per Video, die das untermauern sollen. | |
Doch nicht nur wenige Oppositionelle, auch das benachbarte Litauen | |
protestiert seit Jahren gegen das auffallend grenznahe AKW. Gerade einmal | |
20 Kilometer sind es von den Reaktoren mit einer Leistung von je 1,2 | |
Megawatt in den Baltenstaat, nur 40 Kilometer entfernt ist die Hauptstadt | |
Vilnius. | |
Die Schweizer AKWs Gösgen, Beznau und Leibstadt seien schließlich auch nur | |
je etwa 30 Kilometer von der Großstadt Zürich entfernt, erklärt Swirid | |
lachend. Die Schweiz wird auf Infotafeln ausdrücklich als Vorbild zitiert, | |
natürlich ohne den per 2050 geplanten Atomausstieg zu erwähnen. Der | |
Atommüll werde direkt neben den Reaktoren gelagert, lobt Swirid das | |
Entsorgungskonzept in Astravets. „Hier haben wir nämlich die besten | |
Fachleute gleich alle versammelt“, sagt der Funktionär und versucht, | |
entwaffnend zu lächeln. Unter den Teppich gekehrt wird dagegen die | |
Tatsache, dass das AKW russischer Bauart natürlich nur auf russische | |
Uran-Brennstäbe ausgelegt ist. Dabei schwadroniert Lukaschenko im laufenden | |
Rohöllieferstreit mit Moskau gerade vermehrt von energetischer | |
Unabhängigkeit von Russland.Zum Schluss seiner Führung durch den | |
Infopavillion zieht Swirid sogar noch eine Raketenabwehrstaffel „zum Schutz | |
vor Terroristen“ aus dem Ärmel: „Wir sind auf alle Eventualitäten | |
vorbereitet.“ | |
Auch das litauische Vilnius rüstet derweil auf. Millionen von Jodtabletten | |
haben die Nachbarn bereits gekauft. Sobald der erste Reaktorblock in | |
Astravets ans Netz geht, sollen sie landesweit an die Bevölkerung verteilt | |
werden. Litauen und auch Polen haben bereits versprochen, keinen Atomstrom | |
aus Weißrussland kaufen zu wollen. Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda | |
fasst die Stimmung in seinem Lande so zusammen: „Wir fühlen uns bedroht.“ | |
24 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Paul Flückiger | |
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