# taz.de -- Opposition in Zeiten der Pandemie: FDP in der Identitätskrise | |
> Die Liberalen verlieren in der Krise an Zustimmung. Während ihnen die SPD | |
> den Rang abläuft, übt sich Parteichef Lindner in schrillen Tönen. | |
Bild: Dürfte doppelt sehen, vor lauter strudeligem Absturz in den Umfragen –… | |
BERLIN taz | Ist es wirklich besser, nicht zu regieren? Die aktuellen | |
Krisenwochen dürften FDP-Chef Christian Lindner nachdenklich stimmen. | |
Während die Groko durch ihr Corona-Management so beliebt ist wie nie, | |
verliert seine Partei an Zustimmung. Im jüngsten ARD-Deutschlandtrend | |
stürzten die Liberalen sogar auf fünf Prozent ab – so schlecht standen sie | |
zuletzt Anfang 2017 da. | |
In einer Jamaika-Koalition hätte Lindner nun selbst Krisenmanager sein | |
können – wenn, ja wenn, er das Ganze damals nicht hätte platzen lassen. | |
Also bleibt Lindner nur, die aktuelle Krisenpolitik vom Spielfeldrand aus | |
zu verfolgen. Die [1][Kameras sind auf Kanzlerin, Minister und Länderchefs | |
gerichtet] – für den Chef der zweitgrößten Oppositionsfraktion ist da wenig | |
Platz. Um dennoch nicht unterzugehen, hat sich Lindner im rhetorischen | |
Werkzeugkasten zuletzt beim Vorschlaghammer bedient. Wieder einmal. | |
Über „Regieanweisungen von der Regierung“, sprach er jüngst, um auf ein | |
vermeintliches Diskussionsverbot in Sachen Corona-Lockerungen hinzuweisen. | |
„Schutzmasken sind sinnvoll, Maulkörbe nicht“, sagte er. | |
Droht eine „Radikalisierung der Mittelschicht“? | |
Starker Tobak ist das und weckt zwangsläufig Assoziationen zu Begriffen wie | |
„Meinungsdiktatur“, wie sie Rechte gernkrakeelen. Entsprechend groß war der | |
Shitstorm im Netz, den Lindner dafür erntete. Er selbst betonte daraufhin, | |
dass es ihm lediglich um eine „kontroverse Kommunikation und Debatte“ | |
gegangen sei. | |
Dabei ist Lindner nicht der einzige in der FDP, der zuletzt durch schrille | |
Töne aufgefallen ist. Marco Buschmann, Erster Parlamentarische | |
Geschäftsführer seiner Fraktion, schrieb im Spiegel neulich einen | |
[2][Gastbeitrag, der es ebenfalls in sich hatte.] Angesichts der | |
wirtschaftlichen Folgen von Corona warnte er vor einer „Radikalisierung der | |
Mittelschicht“ die zu einer „Revolution“ führen könnte. Er zog hier | |
Vergleiche zur Großen Depression in den 1930er-Jahren. | |
Macht die FDP auf AfD-light? Fest steht, dass sich die Liberalen in der | |
Abgrenzung nach Rechts zuletzt schwer taten, was sich vor allem bei der | |
Wahl vom FDP'ler Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten durch | |
die AfD zeigte. | |
Auch Parteichef Lindner verhielt sich hier zunächst ungeschickt, weshalb er | |
in seiner Partei die Vertrauensfrage stellte – und gewann. Andererseits | |
kann man Lindners schrille Töne auch als politisches Schattenboxen abtun – | |
Ausholen, um sich selbst zu stählern, nicht um andere zu treffen. | |
Wirtschaft und Bürgerrechte – eigentlich ist die FDP gefragt | |
Tatsächlich halten viele in der Partei solche Debattenbeiträge, wie sie in | |
der Coronakrise nun ständig kommen, für richtig. Nicht jeder würde jedoch | |
derart überspitzen. Konstantin Kuhle etwa, der innenpolitische Sprecher der | |
FDP im Bundestag, lässt im Gespräch mit der taz durchblicken, dass er weder | |
den Vorwurf, dass Debatten unterbunden würden, noch die Wortwahl so teilt. | |
„Das ist Geschmackssache“, sagt er salomonisch. Tatsächlich ist Kuhle kein | |
Mann der billigen Profilierung. Auch weil sie seiner Meinung nach in der | |
aktuellen Krise gar nicht nötig ist. | |
Eigentlich ist es paradox: Während das Virus fast die ganze Wirtschaft | |
lahmlegt und die Kontaktbeschränkungen grundlegende Freiheiten des | |
Einzelnen beschneiden, sind es Lindners Provokationen und sinkende | |
Zustimmungswerte, die aktuell von der FDP hängen bleiben. Dabei sind | |
Wirtschaft und Bürgerrechte doch die Brot-und-Butter-Themen der Liberalen. | |
Warum ist das so? | |
Konstantin Kuhle erklärt das mit der zu geringen Exekutivverantwortung der | |
Liberalen. „Es geht nur darum, wer der beste Krisenmanager ist“, sagt er. | |
Anders als etwa die Grünen, regiert die FDP nur in drei Ländern mit. „Da | |
fällt es uns schwer, durchzudringen.“ Nur: Bei Linken und der AfD ist das | |
ja nicht anders. | |
Das Dogma „Privat statt Staat“ hat in der Krise ausgedient | |
Die FDP im Frühjahr 2020 ist eine Partei, die ihren Kompass sucht – mehr | |
denn je. Als selbst erklärte Partei der Mitte ist sie innerhalb der | |
Opposition ohnehin eingekesselt zwischen Grünen und AfD. | |
Nicht zu viel Staat, aber auch nicht zu weit Rechts – das ist die | |
Gratwanderung. Durch Corona hinzugekommen ist für die Partei nun, dass | |
Abgrenzung zu Groko und Grünen einmal mehr schwieriger geworden ist. | |
Und das klassische liberale Dogma „Privat statt Staat“ gilt in der | |
Corona-Krise nicht mehr. Der Mittelstand als klassische FDP-Wählergruppe | |
registriert gerade aufmerksam, wie es Sozialdemokraten wie Finanzminister | |
Olaf Scholz sind, die sie durch [3][ein gewaltiges Rettungspaket] stützen. | |
Dabei wurde sogar die „Schwarze Null“ als Kernthema der FDP geschleift. Und | |
die Liberalen stimmten mit. Christian Lindner sprach selbst von der „Stunde | |
des Staats“. | |
Kuhle hält Demoverbot für „höchst problematisch“ | |
Und die Bürgerrechte? Die sind zwar gerade so eingeschränkt wie noch nie | |
seit Bestehen der Bundesrepublik, aber glaubt man den Umfragen, stört sich | |
ein überwiegender Teil der Bürger daran wenig. | |
Kuhle hofft, dass die FDP spätestens dann, wenn der Alltag allmählich | |
zurückkehrt, auch die FDP wieder punkten kann. Schon heute findet er: „Wir | |
sollten drauf achten, dass Schutz der Gesundheit und Einschränkung | |
bürgerlicher Freiheiten in angemessenem Maß stattfinden“. Er nennt es zum | |
Beispiel „höchst problematisch“, dass zurzeit [4][keine Demonstrationen | |
stattfinden können.] | |
Auch ökonomisch sieht er Handlungsbedarf. Die Leute wollten gerne arbeiten, | |
gerade die kleinen und familiengeführten Betriebe endlich wieder loslegen. | |
„Auf deren Seite sollte die FDP stehen“, sagt Kuhle. Sollte, Konjunktiv. Er | |
klingt so, dass er selbst nicht ganz glaubt, dass die Leute das momentan | |
auch so sehen. | |
17 Apr 2020 | |
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[1] /Kampf-gegen-Corona-Epidemie/!5676349 | |
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-krise-droht-eine-revoluti… | |
[3] /Bundestag-stimmt-fuer-Milliardenhilfen/!5674219 | |
[4] /Politische-Bewegungen-in-Corona-Zeiten/!5674569 | |
## AUTOREN | |
Daniel Godeck | |
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