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# taz.de -- Corona-Virus in New York: Tauge ich zur Einsiedlerin?
> New York ist das Epizentrum der Corona-Pandemie in den USA. Alle huschen
> wie Schatten aneinander vorbei, die Straßen sind wie leergefegt.
Bild: New York im Ausnahmezustand: Fast alle sind vermummt
New York taz | Mein Lieblingsbriefträger trägt endlich Handschuhe. Bloß
sein rechter Zeigefinger schaut nackt aus dem blauen Latex hervor. „Sie
geben uns nur zwei Paar pro Tag“, sagt er. Hunderte seiner Kollegen [1][in
New York sind mit dem Virus infiziert]. Manche Straßen kriegen seit Tagen
keine Post mehr.
Ich brauche allmählich meine Essenreserven auf. Ersetze Butter durch
Kokosöl. Nähe Masken aus alten taz-T-Shirts. Mache Sport im Wohnzimmer.
Beruhige meine Freunde, die sich nach Horrormeldungen aus New York in
Wellen melden. Recherchiere per Telefon und Computer. Und bin erstaunt über
meine Selbstgenügsamkeit. Vielleicht tauge ich für das Leben als
Einsiedlerin?
Die Wohnung verlasse ich nur noch am Mittwoch. Dann hole ich frisches
Gemüse, das direkt vom Bauernhof kommt. Es wird an einem Tisch unter einer
Zeltplane an einer der lautesten Kreuzungen von Harlem verteilt. Gewöhnlich
hallen dort das Bremsenquietschen der Vorstadtbahn und das Hupen von Autos
auf der 125th Street durcheinander. Jetzt ist selbst der Himmel still, weil
kaum noch ein Flugzeug La Guardia anfliegt.
Jemand hat mit Kreide regenbogenfarbene Markierungen auf den Asphalt
gemalt, damit wir sechs Fuß Abstand halten. Sobald ich mein Gemüse bezahlt
habe – mit Kreditkarte, Bargeld ist zu gefährlich –, werde ich weggewunken.
Wir sind fast alle vermummt, manche tragen zusätzlich ein Schutzvisier.
„Hast du einen Quarter?“, fragt ein junger Mann. Wovon leben die Bettler
jetzt?
In meinem Block (zwischen Malcolm X und der Fifth Avenue) gibt es
Vorgärten, Mäuerchen und Stufen zu den Hauseingängen, wo Nachbarn
zusammenkommen. Aber jetzt huschen sie wie Schatten durch. Nur die
Obdachlosen halten sich noch auf der Straße auf. „Alles okay?“, ruft mir am
Morgenmorgen einer von ihnen zu, wenn ich mein Fenster hochschiebe. Im
Epizentrum der Pandemie ist ein Fenster, das sich öffnet, ein Ereignis. Ich
bin ihm dankbar, wenn er mir einen „gesegneten Tag“ wünscht. Ich weiß, da…
ich bis zum Abend, wenn ich um 19 Uhr für ein paar Minuten lang Lärm mit
Nachbarn mache, nur am Telefon kommunizieren werde.
Als Trump Europäern die Einreise verboten hat, weil das angeblich hilfreich
bei der Bekämpfung des Virus ist, war ich persönlich gekränkt. Und jedes
Mal, wenn er von einem „ausländischen Virus“ redet, denke ich daran
abzuhauen. Als es schien, [2][dass er diesen Bundesstaat vom Rest der USA
abriegeln könnte], habe ich mein Rad vorsichtshalber fertig gemacht und
Fluchtrouten aus Manhattan ausgedruckt. Aber ich habe hier einen Job, einen
Alltag, Freunde und eine unverstellte Sicht aus dem zweiten Stock auf eine
kleine Straße, auf der das Leben irgendwie weitergeht.
26 Apr 2020
## LINKS
[1] /Coronakrise-in-USA/!5670798
[2] /Coronavirus-Pandemie-in-den-USA/!5671727
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
New York
Alltag
Lesestück Recherche und Reportage
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