Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Präsidentschaftskandidat Joe Biden: Kandidat Kellerkind
> Dank Corona kann Joe Biden keinen Wahlkampf führen, sondern sitzt zu
> Hause. Und jetzt gibt es neue Indizien für frühere sexuelle Übergriffe.
Bild: Wo Biden eigentlich gerade wäre: auf den ganz großen Bühnen
In normalen Zeiten wäre [1][Joe Biden, der designierte Kandidat der
US-Demokrat*innen] für die Präsidentschaftswahl Anfang November, jetzt auf
Wahlkampftour. Er würde nach dem Verzicht seines letzten verbliebenen
Kontrahenten, [2][Bernie Sanders], eine Siegesrunde durch verschiedene
Bundesstaaten drehen und Spenden einsammeln. Er würde so viele Hände
schütteln wie möglich. Er würde auf großen Bühnen unter lautem Jubel die
Unterstützung ehemaliger Konkurrent*innen entgegennehmen.
Vielleicht würde er einige europäische Hauptstädte besuchen, um sich auf
internationalem Parkett als Staatsmann zu präsentieren. Und er würde sich
genau überlegen, wie die Nominierung einer Vizepräsidentschaftskandidatin –
Biden hat schon vor Wochen angekündigt, es werde eine Frau – möglichst
spektakulär zu inszenieren wäre, um so viel Fernsehberichterstattung zu
generieren wie irgend möglich.
Aber nichts ist normal. Joe Biden, 77, zur Risikogruppe für die
Covid-19-Krankheit gehörend, geht nirgendwo hin. Er sitzt im Keller seines
Landhauses, den er leidlich als Studio für Interviews und Videokonferenzen
hergerichtet hat. Zwei seiner Enkelkinder, die nicht weit weg wohnen,
kommen ab und an vorbei und er unterhält sich von der Veranda aus mit
ihnen, auf Abstand.
In der Berichterstattung der Medien taucht Biden fast überhaupt nicht auf.
[3][Die Coronakrise ist die Zeit der Exekutive], und im direkten Vergleich
mit dem US-Präsidenten ist der Anteil an Sendeminuten derzeit 9:1 für
Donald Trump. Mit dem für Biden nicht wirklich schmeichelhaften Ergebnis,
dass er in den Umfragen in wichtigen Swing States wie Pennsylvania,
Michigan und Florida eine deutliche Führung vor Trump aufgebaut hat. Wenn
Biden still ist, kann er gewinnen.
## Bedrängt und zwischen die Beine gefasst
Da kommt die Nachricht davon, dass sich Berichte über sexuelle Übergriffe
des damaligen Senators Biden im Jahr 1993 erhärten, nicht so gut. Tara
Reade, damals 29, hatte zwischen 1992 und 1993 im Stab des damaligen
Senators Joe Biden in Kalifornien gearbeitet. Im März dieses Jahres
berichtete sie, Biden habe sie damals bedrängt, sich an ihr gerieben, sie
zwischen die Beine gefasst. Schließlich wurde sie gefeuert. Bidens
Wahlkampfteam wies die Vorwürfe rundheraus zurück – nichts von alldem sei
wahr. Biden selbst hat sich bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen
geäußert.
Aber zumindest für Tara Reade – bis heute Mitglied der Demokratischen
Partei, aktiv in verschiedenen NGOs und Expertin für häusliche Gewalt –
waren die Ereignisse real. Sie sagt jetzt, unmittelbar danach ihrer Mutter
davon erzählt zu haben. Die, eine engagierte Feministin, habe ihr geraten,
zur Polizei zu gehen, was Reade aber nicht wollte. Und auch an die Presse
wollte sie sich nicht wenden. Die Geschichte konnte zunächst nicht
bestätigt werden: Reades Mutter starb vor einigen Jahren.
Jetzt aber tauchte, angeregt durch Reades Erinnerungen und [4][nach
Recherchen des Enthüllungsmagazins The Intercept], ein Video aus der damals
auf CNN ausgestrahlten „Larry King Show“ auf. Eine anonyme Anruferin
berichtet in der Sendung mit dem Thema „Grausames Washington“ über das
Dilemma ihrer Tochter, der im Büro eines prominenten Senators Schlimmes
widerfahren sei. Was man denn anderes tun könne, als zur Presse zu gehen,
wollte die Frau wissen. Es war Tara Reades Mutter. Und auch eine ehemalige
Nachbarin erinnert sich jetzt, 1995, zwei Jahre nach den Ereignissen,
darüber mit Reade gesprochen zu haben.
Unter normalen Umständen wäre das jetzt ein Riesenthema. Die Biden-Kampagne
würde alles daran setzen, den Vorwurf schnell vom Tisch zu bekommen, damit
er schon zum Nominierungsparteitag (vermutlich) im August, erst recht aber
im November, kein Thema mehr ist. Die Republikaner, ausgerechnet mit einem
Kandidaten Trump, dem selbst sexuelle Übergriffe in viel größerem Maßstab
zugeschrieben werden, würden die Grenzen testen, bis zu denen sie die
Geschichte ausnutzen können.
Aber nichts ist normal in diesem Zeiten. Biden sitzt weiter in seinem
Keller. Und Trump redet sich um Kopf und Kragen.
28 Apr 2020
## LINKS
[1] /Entscheidung-im-US-Vorwahlkampf/!5668288
[2] /Bernie-Sanders-schmeisst-Kandidatur-hin/!5677749
[3] /Die-US-Metropole-im-Griff-des-Virus/!5678693
[4] https://theintercept.com/2020/04/24/new-evidence-tara-reade-joe-biden/
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
US-Wahl 2024
USA
Joe Biden
US-Demokraten
Sexuelle Übergriffe
Schwerpunkt Coronavirus
Kolumne Macht
US-Wahl 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
US-Kandidat Joe Biden unter Druck: „Das ist nie passiert“
Der designierte demokratische Kandidat für die US-Präsidentschaft, Joe
Biden, weist erstmals persönlich Vorwürfe sexueller Übergriffe zurück.
Vorwürfe gegen US-Kandidat Joe Biden: Besser wär's, er ginge
Die Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen gegen US-Präsidentschaftsanwärter Joe
Biden verdichten sich. Kann er sie nicht entkräften, wird er gehen müssen.
Corona-Virus in New York: Tauge ich zur Einsiedlerin?
New York ist das Epizentrum der Corona-Pandemie in den USA. Alle huschen
wie Schatten aneinander vorbei, die Straßen sind wie leergefegt.
Epochale Krise der USA: Vom Ende einer Weltmacht
Die USA zeigen sich überfordert mit der Pandemie. Und im
Präsidentschaftswahlkampf werden zwei Kandidaten antreten, die keine
Mehrheit haben.
US-Präsidentschaftswahlkampf: Bernie Sanders gibt auf
Der linke Senator will nicht mehr Präsidentschaftskandidat der Demokraten
werden. Damit steht quasi fest: Joe Biden tritt gegen Donald Trump an.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.