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# taz.de -- Ethische Fragen bei Corona-Behandlung: Auswahl anhand „Erfolgsaus…
> Grünes Licht vom Ethikrat: Würden Beatmungsgeräte knapp, dürften
> behandelnde Ärzte die Erfolgsaussichten von Patienten vergleichen.
Bild: Ein Arzt bedient eine Beatmungsmaschine auf einer Intensivstation
Freiburg taz | Wer darf leben, wer muss sterben? Vor solchen Entscheidungen
werden Ärzte möglicherweise bald stehen, wenn die [1][Corona-Epidemie] zu
einer Überforderung des Gesundheitssystems [2][wie in Italien] führt. Noch
ist es in Deutschland nicht so weit – aber die Regeln, die dann gelten
sollen, werden jetzt schon intensiv diskutiert. Am Dienstag hat der
Deutsche Ethikrat vor Journalisten seinen Ansatz erläutert.
Befürchtet wird, dass es trotz der geplanten Verdopplung der Kapazitäten
für Intensivmedizin am Ende an Betten mit Beatmungsgeräten mangelt. Ärzte
müssten dann entscheiden, wer die lebensrettende Beatmung erhält und wer
nur noch schmerzmildernd behandelt wird. Mediziner nennen diesen Vorgang
„Triage“, es ist das französische Wort für Auswahl.
Vor der Bundespressekonferenz erläuterte der Gießener Rechtsprofessor
Steffen Augsberg die Position des Ethikrats zur Triage. Der Ethikrat ist
ein staatliches Beratungsgremium, das 2001 eingerichtet wurde und aus
Naturwissenschaftlern, Theologen und Juristen besteht. „Jedes Leben ist
gleich viel wert“, betonte Augsberg die Grundposition des Ethikrats. Dies
folge aus der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. Der Staat dürfe
deshalb keine Vorgaben machen, wer im Knappheitsfall gerettet wird. Jede
Klassifizierung, zum Beispiel anhand Alter, Beruf oder prognostizierter
Lebensdauer, müsse „seitens des Staates“ unterbleiben.
Etwas anderes sei es jedoch, wenn ärztliche Fachgesellschaften Empfehlungen
zur Auswahl in dieser Situation abgeben. Deren Überlegungen seien nicht nur
zulässig, sondern sogar „geboten“, so Augsberg, um in den Kliniken eine
Gleichbehandlung nach einheitlichen Kriterien sicherzustellen.
## „Erhöhte Gebrechlichkeit“
Bisher liegt vor allem ein Vorschlag auf dem Tisch, den die Deutsche
Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften vorgelegt hat. Auch die DIVI will
niemand generell von der Beatmung ausschließen, es soll also zum Beispiel
keine Altersgrenzen geben. Die Fachgesellschaft propagiert dann aber die
Auswahl anhand der „Erfolgsaussicht“ der Behandlung. Dabei sei etwa zu
berücksichtigen, wie schwer die Personen jeweils erkrankt sind, welche
Begleiterkrankungen sie haben und nicht zuletzt, wie ihr allgemeiner
Gesundheitszustand („Gebrechlichkeit“) ist. Der Ethikrat hat gegen die
Anwendung dieser Kriterien keine Bedenken.
Es gibt aber auch einen Dissens zwischen Ethikrat und DIVI. So wollen die
Intensivmediziner ihre Kriterien auch dann anlegen, wenn schon alle
Beatmungsgeräte belegt sind und nun ein neuer Patient hinzukommt. Auch hier
solle es auf die Erfolgsaussichten ankommen. Wenn es die Auswahl ergibt,
müsste also ein bereits künstlich beatmeter Patient auf sein Gerät
verzichten und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben. Für DIVI wäre
dieser Auswahlprozess genauso rechtmäßig, wie wenn zwei neu ankommende
Patienten um ein freies Beatmungsgerät konkurrieren.
Der Deutsche Ethikrat macht zwischen beiden Konstellationen dagegen einen
Unterschied. Wenn die Beatmung eines Patienten beendet werde, müsse dies
als rechtswidrig eingestuft werden. Strafrechtlich würde der Arzt dabei
einen „Totschlag“ begehen. Der Ethikrat will Ärzte dann zwar nicht ins
Gefängnis stecken. „Das Rechtssystem ist flexibel genug, um die Tragik zu
berücksichtigen“, sagte Augsberg. Die Tat sollte dann als „schuldlos“
behandelt werden. Praktischer Unterschied: Die Angehörigen dürften hier mit
Gewalt verhindern, dass der Arzt das Gerät abschaltet.
Es gibt aber auch generelle Kritik an den DIVI-Kriterien. „Die Prüfung der
Erfolgsaussicht diskriminiert Behinderte“, sagt die
Grünen-Sozialpolitikerin Katrin Langensiepen, einzige weibliche
Europaabgeordnete mit sichtbarer Behinderung. Die negative Berücksichtigung
von „erhöhter Gebrechlichkeit“ verringere die Chancen auf eine
lebensrettende Behandlung. Langensiepen fordert DIVI auf, ihre Empfehlung
zurückzuziehen.
7 Apr 2020
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## AUTOREN
Christian Rath
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