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# taz.de -- „Land des Honigs“ auf DVD: Fifty-fifty ist ein Gleichgewicht
> Globalisierungsdrama auf kleinstem Raum: Der Dokumentarfilm „Land des
> Honigs“ über die letzte Wildimkerin Nordmazedoniens ist auf DVD
> erschienen.
Bild: Hatidze Muratova inspiziert ihre Bienenvölker
Auf dem Papier klingt die Sache womöglich etwas schrullig: ein Film über
den Alltag einer Frau, die in einer fast menschenleeren Region nach alter
Tradition Honig gewinnt, mit ihrer bettlägerigen Mutter in einer primitiven
Hütte lebt und irgendwann Gesellschaft von Nomaden bekommt, die ihre ganz
eigenen Vorstellungen von Landwirtschaft und Imkerei haben. Muss man sich
das anschauen?
Nun, immerhin hat „Land des Honigs“, so der Titel dieses Dokumentarfilms
von Ljubomir Stefanov und Tamara Kotevska, rund 30 Preise gewonnen,
darunter allein drei beim renommierten Sundance-Festival, und war bei der
[1][Oscarverleihung dieses Jahr] nominiert als bester Dokumentar- und als
bester internationaler Film.
Die Begeisterung, die der Film hervorgerufen hat, ist dabei bloß im Ansatz
schriftlich zu vermitteln. Seine vielen Auszeichnungen hat er jedenfalls zu
Recht erhalten. Und: Er ist schrullig. Das ist eine seiner Stärken. Rund
400 Stunden Material, über drei Jahre hinweg gedreht, verdichteten die
Filmemacher zu 86 Minuten. Nachdem er im November in den Kinos angelaufen
war, kann man ihn jetzt auf DVD oder Video-on-Demand nachsehen.
Hatidze Muratova ist die Protagonistin des Films. Sie ist zugleich sein
Star. Die Mittfünfzigerin mit durchfurchtem Gesicht, stets ein Kopftuch
tragend, beherrscht die Leinwand von der ersten Szene an. Etwa wenn man sie
mit der größten Selbstverständlichkeit einen schmalen Grat an einem steilen
Abhang entlanggehen sieht, um hinter einer Steinplatte ihre Bienenvölker zu
inspizieren. Sie singt dazu, greift mit bloßen Händen eine Wabe heraus,
schneidet ein Stück ab, probiert.
## Bienen bauen ihre Waben selbst
Diese Waben, die von der Kamera immer wieder in appetitanregenden
Großaufnahmen erkundet werden, sind nicht diese Gebilde mit Holzrahmen, die
man nebeneinander in Kästen hängt. Vielmehr sind es von den Bienen komplett
selbst gebaute Strukturen, die Hatidze weitgehend sich selbst überlässt.
Wenn es so weit ist, nimmt sie sich die Hälfte des Honigs, der Rest ist für
die Bienen. „Wildimkerin“ nennt man ihren Beruf. Hatidze ist die letzte
ihrer Art in Nordmazedonien. Sie und ihre 85-jährigen Mutter wohnen
zusammen in einem Raum, Strom und fließendes Wasser gibt es allem Anschein
nach nicht. Wärme spendet im Winter ein Ofen.
Wenn Hatidze geerntet hat, fährt sie mit ihren Honiggläsern nach Skopje, um
sie auf dem Markt zu verkaufen. Zu den Händlern hat sie, wie die Bilder
vermitteln, einen guten Draht. Fast irritiert die Geschäftigkeit der
Stadtaufnahmen. Denn viele Szenen in „Land des Honigs“ zeigen bevorzugt
Hatidze in karger Landschaft, ihr Gesicht bei der Arbeit, beim Essen, beim
Sitzen mit ihrer Mutter. Eine Frau, die einem in ihrer Lebensweise fremd
bleibt und die doch mit ihrer Geschichte und ihrer scheinbar unbekümmerten
Art berührt.
## Nomaden siedeln sich an in der Nachbarschaft
Dynamik entfaltet der Film, als Nomaden sich neben Hatidze auf einem
verlassenen Hof ansiedeln. Mit einem Wohnwagen, sieben Kindern und 150
Rindern. Sie sprechen Türkisch, Hatidzes Sprache, was sie freut, auch die
Gesellschaft. Hussein, der Vater, interessiert sich vor allem für Hatidzes
Imkerei.
Als er selbst beginnt, Bienenstöcke aufzustellen und im großen Stil Völker
einzusammeln, warnt Hatidze ihn, er solle nicht zu viel und nicht zu früh
ernten. Sonst würden seine Bienen die ihren angreifen. Da Hussein eine Art
„Investor“ im Hintergrund hat, ein Verwandter oder Bekannter, der möglichst
viel aus der Imkerei herausschlagen will, hört er nicht auf den Rat.
„Land des Honigs“ wird mit seinen schlichten, dankenswerterweise nicht von
stimmungsinduzierender Musik unterlegten Bildern und der auf ein Minimum an
handelnden Personen beschränkten Geschichte so unversehens zu einer weit
größeren Erzählung.
## Ökologisches Gleichgewicht
Einer über die Frage nach der Möglichkeit eines ökologischen Gleichgewichts
– Hatidze kann ihrer schonenden Methode ja unter anderem deshalb nachgehen,
weil sie außer ihrer Mutter und sich selbst sonst niemanden versorgen muss.
Das Vorgehen des Großfamilienvaters Hussein macht ihn andererseits zum
Repräsentanten von Profitmaximierung ohne Rücksicht auf ökologische Folgen.
Oder soziale: Für Hatidze, deren Bienen irgendwann tot unter ihren Waben
liegen, wird Husseins Wirtschaften zunehmend existenzbedrohend. Die
Schrulligkeit ist spätestens dann zur Nebensache geworden.
12 Apr 2020
## LINKS
[1] /Parasite-bester-Film-bei-Oscars-2020/!5663223
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Dokumentarfilm
Natur
Ökologie
Bayrischer Wald
Imker
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