# taz.de -- Biologin über Pandemien: „Auslöser sind Umweltveränderungen“ | |
> Die Corona-Pandemie wäre ohne den Menschen nicht entstanden, sagt die | |
> Biologin Simone Sommer. Naturschutz sei auch für unsere Gesundheit | |
> zentral. | |
Bild: Für Ökosysteme wichtig: Flughunde auf einem Markt in Brazzaville, Kongo | |
taz: Frau Sommer, das weltweit Chaos auslösende Virus Sars-CoV-2 [1][stammt | |
offenbar von Fledermäusen]. Diese gelten als besonders virenverseucht – | |
warum? | |
Simone Sommer: [2][Fledermäuse tragen oft Erreger], ohne selber krank zu | |
werden. Viele Arten leben in Gruppen eng beieinander, sind langlebig und | |
extrem mobil, kommen also mit vielen Krankheitserregern in Kontakt. Die | |
Fledermäuse standen evolutionär unter hohem Selektionsdruck und haben ein | |
sehr effizientes Immunsystem ausgebildet. All das macht sie zu perfekten | |
Viren-Reservoirs. | |
Warum wäre es trotzdem falsch, in Wildtieren die Schuldigen zu suchen – und | |
die aktuelle Pandemie als reines „Naturphänomen“ zu sehen? | |
Zunächst muss ich eine Lanze für Fledermäuse brechen: Sie sind sehr wichtig | |
für die Ökosysteme und spielen beispielsweise bei der Pflanzenbestäubung | |
eine große Rolle. Man sollte Wildtiere keinesfalls verteufeln. Außerdem | |
wurde diese Übertragung erst durch den Menschen ermöglicht. Auf Märkten wie | |
dem Huanan wet market in Wuhan treffen verschiedenste tote und lebendige | |
Tiere aufeinander, wie es in der Natur nicht passieren würde. Wenn man | |
illegalen Wildtierhandel und Bushmeat, also Fleisch von Tieren aus dem | |
Regenwald oder Savannen, dauerhaft verbieten würde, wäre das ein | |
wesentlicher Schritt. | |
Spielt auch die industrielle Tierzucht eine Rolle? | |
Es gibt im Zusammenhang mit der Massentierhaltung immer wieder Probleme mit | |
Schweine- und Vogelgrippe. Bei Covid-19 aber ist es anders – selbst | |
Pangoline, die als mögliche Zwischenwirte diskutiert werden, lassen sich | |
meines Wissens kaum züchten, das sind alles Wildfänge. Die meisten | |
zoonotischen, also zwischen Mensch und Tier übertragbaren Viruserkrankungen | |
wie Ebola, Sars und Mers kommen von Wildtieren. Aber Menschen können auch | |
Wildtiere infizieren, zum Beispiel mit Masern, die bei Menschenaffen meist | |
tödlich verlaufen. | |
Wie Ihre Untersuchungen zeigen, gibt es einen Zusammenhang zwischen der | |
Zerstörung von Ökosystemen, dem Verlust von Biodiversität und solchen | |
neuartigen Krankheiten. | |
Ja, wir konnten anhand systematischer Untersuchungen von Fledermäusen und | |
Nagetieren in Panama nachweisen, dass Umweltzerstörung die | |
Infektionswahrscheinlichkeit von Wildtieren mit potenziell auch Menschen | |
gefährdenden Krankheiten fördert. In intakten Ökosystemen leben viele | |
unterschiedlich stark spezialisierte Tiere. Sie reagieren ganz | |
unterschiedlich auf Veränderungen. Werden beispielsweise Wälder abgeholzt, | |
sterben einige Arten aus, die Biodiversität sinkt dann meist. Andere können | |
sich sehr gut anpassen. Derartige Generalisten besetzen frei gewordene | |
Ökosystemnischen und werden häufiger. | |
Und kränker? | |
Erreger wie Viren sind zwar ein natürlicher Bestandteil von Ökosystemen – | |
Tiere und Menschen sind in permanentem Kontakt mit ihnen. Sie mutieren | |
ständig und lösen schon immer Erkrankungen aus. Aber sie breiten sich in | |
intakten Lebensräumen nicht so flächendeckend aus, sondern bleiben eher in | |
einer Nische. Man nennt das Verdünnungseffekt – die Krankheit stirbt dann | |
wieder aus. In stark gestörten Ökosystemen mit geringer Biodiversität | |
hingegen wird eine Epidemie wahrscheinlicher – und damit auch eine | |
Mutation, durch die irgendwann mal plötzlich die Artgrenze überschritten | |
wird. Viele Generalisten, also Tiere wie Ratte oder Sperling, kommen zudem | |
gern in die Nähe menschlicher Behausungen – und in Kontakt mit Nutztieren | |
und mit uns. | |
Menschen und Wildtiere haben doch schon immer Lebensräume geteilt, | |
Wildtiere werden seit Langem gegessen. Was ist nun anders? | |
Traditionelle Jäger-und-Sammler-Gesellschaften gibt es kaum noch, das ist | |
auch etwas völlig anderes als ein Markt in Wuhan. Bei früheren | |
Übertragungen – über die wir nicht viel wissen – war die Wahrscheinlichke… | |
viel geringer, andere Gruppen anzustecken. Heute verbreiten sich | |
Krankheiten durch Bevölkerungsdichte und Globalisierung viel schneller – | |
das sieht man momentan. Neben unserer Forschung weisen auch andere Studien | |
darauf hin, dass die Auslöser zunehmend menschengemachte | |
Umweltveränderungen sind. | |
Intakte Natur und Artenvielfalt sind also ein Schutzpuffer gegen neue | |
Krankheiten wie Covid-19. | |
Vereinfacht gesagt, ja. Durch den Verlust natürlicher Lebensräume und | |
einhergehender drastischer Abnahmen der Populationen nimmt zudem die | |
genetische Vielfalt ab. Wird eine Tierart selten, sinkt mit dem | |
verringerten Genpool die Immunabwehr. Dabei spielt auch Stress eine Rolle. | |
Gestresste Wildtiere werden schneller krank? | |
Wie wir Menschen. Das zeigen unsere Untersuchungen von Nagern in Panama. In | |
gestörten Habitaten gibt es mehr Generalisten, sie sind aggressiver und | |
haben eine höhere Virenbelastung. Selbst die ruhigeren Weibchen beißen und | |
infizieren sich häufiger. | |
Wie sind Sie bei der Forschung vorgegangen? | |
Wir haben die Vielfalt der Immungene und Krankheitserreger von | |
Fledermäusen, Nagern und Beutlern aus drei unterschiedlich vom Menschen | |
beeinflussten Landschaftstypen statistisch verglichen. Bei der | |
Virenbestimmung arbeiten wir mit Christian Drosten von der Berliner Charité | |
zusammen, der auch die Bundesregierung berät. | |
Wie viele gefährliche Viren schlummern noch in der Natur? | |
Die genaue Zahl weiß keiner, sie dürfte aber hoch sein. Allein an | |
Coronaviren gibt es etliche. Sie existieren schon viel länger auf der Erde | |
als alle höheren Lebewesen. Es werden weitere kommen. | |
Was können wir tun? | |
Neben der Vermeidung unnatürlicher Kontakte auf Tiermärkten sollten wir | |
Rückzugsmöglichkeiten von Wildtieren und ihre Ökosysteme erhalten. Hoffen | |
wir, dass bei den ganzen schlimmen Auswirkungen der aktuellen Krise eines | |
klar wird: Arten-, Umwelt- und auch Klimaschutz brauchen einen höheren | |
Stellenwert – auch im Interesse unserer Gesundheit. | |
31 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Andrew Müller | |
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