# taz.de -- Corona und Klimaschutz: Keine Impfung gegen CO2 | |
> Warum greifen wir zu drastischen Maßnahmen gegen das Coronavirus, aber | |
> nicht in der Klimakrise? Weil das zwei ganz verschiedene Probleme sind. | |
Bild: Corona-Hotspot Heinsberg in NRW, hier wurde sofort gehandelt | |
In der Finanzkrise nach 2008 beschwerte sich die Umweltbewegung: „Wäre die | |
Welt eine Bank, hättet Ihr sie längst gerettet!“ In der Coronakrise heißt | |
es nun: Während der „extrem handlungsstarke“ Staat keine Rücksicht auf | |
„kurzfristige Wirtschaftsinteressen“ nehme und die Freiheit schnell und | |
drastisch einschränke, sei „in der Klimafrage seit 40 Jahren so gut wie | |
nichts passiert“, schrieb an dieser Stelle der Publizist [1][Fabian | |
Scheidler]. Die Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner hofft, dass „der | |
Umgang mit der Coronakrise uns viel über die Bewältigung der Klimakrise | |
lehren kann“. Und die Ökoszene schmollt: Warum wird gegen Corona so viel | |
entschlossener gehandelt als gegen die Erderhitzung? | |
Dafür gibt es einen Grund: Corona- und Klimakrise sind grundsätzlich | |
verschieden. Auch wenn die globale Temperatur steigt, hilft ein kühler | |
Kopf, um Unterschiede zu sehen: | |
Bei Corona gibt es ein „Nach der Krise“. Beim Klima nicht. Deshalb sind | |
harte Maßnahmen gegen das Virus leichter zu ertragen. Irgendwann wird es | |
einen Impfstoff gegen Covid-19 geben. Die erhöhten CO2-Werte in der | |
Atmosphäre werden uns dagegen noch Jahrhunderte begleiten. Die | |
Erderhitzung, nach geologischen Mustern rasend schnell, vollzieht sich für | |
uns Menschen in Zeitlupe. Deshalb reagieren wir mit Verzögerung. | |
Gegen ein Virus hilft eine Impfung – und das Problem zu Hause aussitzen. | |
Aber wer [2][klimaneutral leben] will, kann nicht auf Antikörper hoffen, | |
sondern muss komplett anders produzieren, heizen, essen und sich | |
fortbewegen. Das geht nicht in der Quarantäne, das erfordert viel Aufwand | |
und gemeinsame Organisation. | |
Der Feind namens Corona ist da draußen. Die Gegner beim Klimaschutz sind | |
der innere Schweinehund und die mächtigsten Lobbygruppen. Da sind wir | |
vorsichtiger mit rabiaten Maßnahmen. | |
Wissenschaft wird derzeit schnell zum Gesetz. Alle sind glücklich über die | |
seriösen VirologInnen. Die Daten der Klimawissenschaften werden dagegen | |
seit Jahrzehnten ignoriert, relativiert und beschimpft, weil sie die | |
Existenzberechtigung von Energiekonzernen, Agrar- und Autoindustrie und | |
ihre profitablen Verbindungen zu Politik und Gesellschaft untergraben. | |
Dabei wissen wir viel besser, was man gegen den Klimawandel zu tun hätte | |
als gegen das Virus. Aber der Kampf gegen Corona ist kein Angriff auf eine | |
billionenschwere Industrie – sondern kommt dem Geschäftsmodell der | |
Pharmaindustrie entgegen. | |
Wir sind hilflos gegen ein tückisches Virus. Aber gegen Umweltveränderungen | |
sind die meisten BewohnerInnen der Industrieländer relativ geschützt. Eine | |
verlängerte Badesaison erschüttert uns weniger als wochenlanges Homeoffice. | |
Die Beispiel zeigen: Die aktuelle und die latente Krise sind kaum zu | |
vergleichen, also auch die Gegenmaßnahmen nicht. Das Virus ist der | |
Wolkenbruch, gegen den man hektisch Dämme aufschaufelt. Klimawandel und | |
Artensterben sind der langsam und stetig steigende Wasserpegel, der | |
irgendwann die Dämme aufweicht. | |
Das bedeutet keineswegs, dass wir beim Klima ruhig bleiben können. Ganz im | |
Gegenteil müssen wir schnell und beherzt handeln. Aber wer etwa die | |
CO2-Emissionen weltweit im nächsten Jahrzehnt halbieren will – noch mal: In | |
zehn Jahren halbieren, was bisher praktisch immer gewachsen ist –, der muss | |
entschieden, aber auch sehr klug vorgehen. Der kann nicht darauf setzen, | |
dass ähnlich brachiale Methoden wie gegen Corona auch gegen CO2 | |
durchzusetzen und über Jahrzehnte durchzuhalten sind. Ausgangssperren für | |
ganze Regionen, der [3][Zusammenbruch des Flugverkehrs], die drohende | |
Pleite für Tausende von Unternehmen und Millionen von Existenzen dürfen bei | |
UmweltschützerInnen auch keine klammheimliche Freude aufkommen lassen. | |
Der Absturz der Volkswirtschaft und das seuchenbedingte Ende von Wachstum | |
und Konsum führen nicht zur ersehnten „großen ökologischen Transformation�… | |
der Industriegesellschaften, sondern zu einem Chaos, wo Mut und neue Ideen, | |
die wir dringend brauchen, keine Chance haben. Die Mittel der | |
Virus-Apokalypse sind keine Kur gegen die Klimakrise. | |
## Tagträume von einer Ökodiktatur | |
Diese Debatte ist sogar gefährlich. Denn wer Ausgangssperre, Hamsterkäufe, | |
Tausende von Toten und permanente Bedrohung kommunikativ mit dem Begriff | |
„Klimaschutz“ verbindet, ruiniert die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft. | |
Deren Bremsern, die das Rasen auf der Autobahn für den Inbegriff der | |
Menschenwürde halten, passen solche Tagträume einer Ökodiktatur nur zu gut | |
ins Konzept. Wer einen Ausnahmezustand für den Klimaschutz herbei | |
fantasiert, verdeckt auch Chancen für eine Kurswende. Es stimmt ja nicht, | |
dass „fast nichts passiert ist“. Im Gegensatz zur Finanzkrise nach 2008 | |
sind heute die erneuerbaren Energien nahezu weltweit die günstigste Form | |
der Energieerzeugung; die Folgen von Klimakrise und Artenverlust sind viel | |
deutlicher; der Druck aus der Wirtschaft, von Banken, Versicherungen, | |
Städten und der Zivilgesellschaft für Lösungen ist ungleich größer. | |
Sicher können wir aus der Coronakrise etwas für den Klimaschutz lernen: | |
Globale Kooperation ist besser als Abschottung, Solidarität und Vorsicht | |
sind überlebenswichtig, Entschleunigung macht zufriedener als Turbokonsum. | |
Und um die vielen Krisen zu lösen, haben wir jetzt zum ersten Mal die | |
Mittel: Wir haben das Wissen, die technischen Möglichkeiten, die | |
ExpertInnen und auch das Kapital. | |
Was fehlt, ist der politische Schwung und Druck, die notwendigen und | |
machbaren Veränderungen gegen alte Interessen durchzukämpfen. Dafür aber | |
braucht es breite gesellschaftliche Koalitionen, möglichst europa- oder | |
weltweit. Eine Transformation der Industriegesellschaften erreicht man | |
durch Aufklärung, politische Allianzen, den Appell an Eigeninteressen und | |
Verantwortung für die Zukunft. Aber nicht durch | |
Klima-Notstands-Gesetzgebung. | |
1 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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