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# taz.de -- Indiens Tagelöhner in der Coronakrise: Flucht zurück aufs Land
> Ohne Arbeit können sie sich das Stadtleben nicht leisten. Viele sehen
> ihre einzige Überlebenschance im Heimatdorf. Doch es fehlt an
> Transportmitteln.
Bild: Abstand halten? Vergiss es! Massenflucht am Busbahnhof in Delhi am Samstag
MUMBAI taz | Der Zeitungshändler Yadav wäre wie viele andere auch gern in
seine Heimat Uttar Pradesh gereist. Denn seit über einer Woche ist sein
Geschäft zusammengebrochen: In der westindischen Metropole Mumbai wird
keine Zeitung mehr gedruckt.
Durch die [1][Maßnahmen der Regierung zur Unterdrückung des Coronavirus in
Indien] haben Tausende ihre Jobs verloren, die in den Großstädten auf
Baustellen, Märkten oder in Imbissen als Tagelöhner arbeiten.
Doch der Mitfünfziger Yadav war zu spät dran. Es gab für ihn keine
Möglichkeit mehr, in seine 1.500 Kilometer entfernte Heimat in Nordindien
zu kommen. Er sitzt jetzt in Mumbai fest.
Viele andere trifft es dagegen noch härter. Sie haben nicht nur keine
Arbeit mehr wie Yadav, der noch gelegentlich als Rikscha-Fahrer etwas
verdienen kann. Sie haben auch keine Bleibe mehr und nichts mehr zu essen.
## Viele sind jetzt zu Fuß unterwegs
Die Verkündung des „[2][Lockdown]“ zum 25. März löste in Indien eine
massive Rückwanderung von Arbeitskräften aufs Land aus. Die meisten sind
nun zu Fuß unterwegs, da der Verkehr mit Bus, Bahn und mit den für die
meisten ohnehin unerschwinglichen Flugzeugen ausgesetzt wurde.
„Räumliche Abgrenzung ist ein Privileg, das sich diese Lohnarbeiter nicht
leisten können“, schrieb die Journalistin Rana Ayyub auf Twitter. Auch aus
der Opposition kam Kritik.
Viele Wanderarbeiter können sich das Leben in Indiens Großstädten nicht
mehr leisten. An der Grenze der Hauptstadt Delhi stehen sie zu Tausenden an
der Straße. Sie hoffen, doch noch Platz in einem Bus zu bekommen. Andere
machten sich schon vor Tagen auf den Fußweg und legten auf Landstraßen samt
Hab und Gut Hunderte Kilometer zurück.
Landesweit stecken an vielen Orten verzweifelte Menschen fest. Der
westindische Bundesstaat Maharashtra versucht derzeit, seine
SaisonarbeiterInnen aus dem südlicher gelegenen Andhra Pradesh zu holen.
25.000 waren dort zur Chilli-Ernte mit der ganzen Familie angerückt. Eine
Arbeit, die mit knapp 9 Euro am Tag sonst lukrativ ist. Doch die Sorge vor
Corona treibt die Menschen jetzt wieder nach Hause.
## Auch Bauern fehlen Tagelöhner zur Ernte
Viele Bauern haben derweil nun das Problem, wie sie ohne Arbeitskräfte ihre
Felder abernten sollen, bevor alles verdirbt. Es ist nicht nur die
eingeschränkte Bewegungsfreiheit, sondern viele wollen jetzt auch lieber
nicht zur Ernte kommen.
Generell sind in Indien günstige Transportmittel wie Bus und Bahn ohnehin
stets sehr voll. Jetzt hat die Regierung verkannt, welche Dynamik sie
auslösen würde. Premierminister Narendra Modi, der die strikten Maßnahmen
landesweit angeordnet hatte, entschuldigte sich am Sonntag in seinem
Podcast bei den „Armen“, denen er Schwierigkeiten bereitet habe.
Die Meinungen sind derzeit noch geteilt, wie weit sich das Coronavirus
schon im Land verbreitet hat. Die Massenflucht in die Dörfer dürfte
allerdings jetzt auch dort das Virus verbreiten. Auch die Überfüllung in
den wenigen Bussen, die einige Landesregierungen jetzt den Wanderarbeitern
für den Transport zur Verfügung stellen, dürfte ein Nährboden für das Virus
sein.
## Ausgangssperre wird mit Polizeiknüppeln durchgesetzt
Vielerorts wird die Ausgangssperre, die eigentlich explizit erlaubt, sich
mit dem Nötigsten wie Lebensmitteln zu versorgen, von der Polizei mit
Gewalt durchgesetzt. In den sozialen Medien kursieren Bilder, wie
Polizisten mit Knüppeln auf Menschen einschlagen, die auf der Straße
unterwegs sind.
Im Bundesstaat West-Bengalen soll so ein Mann ums Leben gekommen sein. Auch
Mitarbeiter von Lieferdiensten und Krankenhäusern beschwerten sich auf
Twitter über Schläge der Polizei. Doch gab es auch Meldungen, dass
Polizisten angegriffen wurden.
Inzwischen zählt Indien mehr als 1.000 Coronafälle. Rund 35.000 Test wurden
bisher durchgeführt. Indien produziert derzeit allerdings keine eigenen
Tests, sondern ist auf Importe, etwa aus Deutschland, angewiesen. Das
Gleiche gilt für Beatmungsgeräte.
30 Mar 2020
## LINKS
[1] /Indien-schliesst-wegen-Corona-die-Grenzen/!5672929
[2] /Indien-versucht-das-Unmoegliche/!5670756
## AUTOREN
Natalie Mayroth
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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