# taz.de -- Bekleidungsindustrie leidet unter Corona: Das Elend der vollen Schr… | |
> In den Produzentenländern hungern Textilarbeiterinnen, hier drohen | |
> massenweise Insolvenzen – und Second-Hand-Klamotten in der | |
> Müllverbrennung. | |
Bild: Hinter Glas: Die Textilbranche sucht neue Wege | |
BERLIN taz | Seit Jahren diskutiert die Bekleidungsindustrie ergebnislos | |
über „Fast Fashion“: Gibt es zu viele Kollektionen im Jahr? Ist zu viel | |
billige Kleidung im Markt? Experten gehen von einer Überproduktion von 120 | |
bis 130 Prozent Kleidung im Jahr aus. [1][Und nun könnte ein Virus die | |
Branche binnen Wochen umkrempeln.] | |
Am Ende der Kette wird das Problem hierzulande am sichtbarsten: Die | |
Alttextilbranche steht [2][kurz vor einem Kollaps]. Davor warnten in den | |
vergangenen Tagen Branchenverbände wie der Verein „Fairwertung“ aus Essen | |
und die „Gemeinschaft für Textile Zukunft“. | |
Die Deutschen nutzen die Zeit zu Hause derweil zum Ausmisten und packen | |
ihre alten Klamotten in Tüten. „Macht Platz im Schrank“ steht auf | |
Altkleidercontainern etwa in Potsdam. Doch im Schrank ist derzeit mehr | |
Platz als in den Containern, vor ihnen stapeln sich die Säcke. In vielen | |
Kommunen rufen karitative Vereinigungen wie das Rote Kreuz dazu auf, | |
zurzeit auf Kleiderspenden zu verzichten. Die alten Textilien finden | |
nämlich keine KundInnen mehr. | |
Die wichtigste, weil lukrativste Absatzquelle, die Second-Hand-Shops, sind | |
geschlossen oder nicht erreichbar. Darum versinken Sammler und Sortierer in | |
Kleidung. „Wir haben noch Lagerkapazitäten für drei Wochen“, sagt Rainer | |
Binger, Geschäftsführer des Sammel-Unternehmens FWS mit Sitz in Bremen. | |
## Grenzen und Häfen geschlossen | |
FWS gehört als Teil der niederländischen Boer-Gruppe zu einem europaweit | |
tätigen Konzern und sammelt jährlich rund 80.000 Tonnen alte Kleider ein. | |
Die gute, tragbare Ware werde in Second-Hand-Shops in Osteuropa, Chile, | |
Angola, Kongo und Elfenbeinküste verkauft, so Binger, „doch dort sind jetzt | |
entweder die Läden zu oder die Grenzen dicht“. | |
Minderwertige Textilien, die zerrissen und zu Putzlumpen oder Dämmmaterial | |
verarbeitet werden, gehen in der Regel nach Pakistan oder Indien. Auch dort | |
sind die Grenzen und Häfen für Container aus Europa aber derzeit | |
geschlossen – wenn überhaupt Transportkapaziäten zur Verfügung stehen. „… | |
gesamte Markt ist außer Balance geraten“, sagt Binger. | |
Sabine Ferenschild forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bonner | |
Südwind-Institut zu Entwicklungsthemen. Sie sieht in der akuten Krise „die | |
Chance für die Alttextilbranche, regionale Kreisläufe aufzubauen“. Der | |
massenhafte Export gebrauchter Kleider in ärmere Länder sei eine | |
Fehlentwicklung, die verhindere, dass dort eine eigene, regionale | |
Bekleidungsindustrie wachsen könne, sagt Ferenschild. | |
## Alttextilsammler ohnehin in schwieriger Situation | |
Das allerdings ist Zukunftsmusik. Derzeit ruft die gebeutelte Branche nach | |
Unterstützung durch die Kommunen. Weil die Unmengen Stoff nur begrenzt | |
lagerfähig sind, könnte den Sammlern und Sortierern nichts anderes übrig | |
bleiben, als die Kleidung zu verbrennen. Weil das ein sehr teurer | |
Entsorgungsweg ist, fordern die Firmen dabei Unterstützung von den | |
Kommunen. | |
Die Coronakrise trifft die Alttextilsammler in einer ohnehin schwierigen | |
Situation. „Wir bekommen immer mehr Ware in immer schlechteren Qualitäten“, | |
sagt Ahlmann. Der Anteil an noch guter, tragbarer Kleidung sinke seit | |
Langem. Daher schauen die Mitglieder des Vereins Fairwertung durchaus mit | |
Interesse auf die riesige Menge an Kleidung, die demnächst auf den | |
Altkleidermarkt drängen dürfte. | |
Zwar beteuert beispielsweise der Handelskonzern H&M, „die Ware, die sich in | |
unseren derzeitig geschlossenen Geschäften befindet, bleibt dort und wird | |
bei einer Wiedereröffnung zum Verkauf erhältlich sein“. Nur – als die Lä… | |
geschlossen wurden, war es Anfang März. Wenn sie wieder öffnen, wird es | |
wahrscheinlich sommerlich warm sein. | |
Was mit der dann unverkäuflichen Übergangskleidung passiert, weiß niemand. | |
Die Modebranche debattiert darüber intensiv. Kurzfristig geht es darum, wer | |
die Kosten für bestellte, aber nun unverkäufliche Ware übernimmt. Sabine | |
Ferenschild bezeichnet das als eine „harte Probe der unternehmerischen | |
Sorgfaltspflicht“ der Unternehmen. Sie haben Kleidung geordert, die sie | |
jetzt nicht verkaufen können. | |
„Jetzt zeigt sich, ob Primark, H&M und Co wirklich Verantwortung | |
übernehmen, zu den Aufträgen stehen und sie auch bezahlen“, sagt | |
Ferendschild. Die Lage der ArbeiterInnen der stillstehenden Fabriken in | |
Bangladesch und Indien ist so prekär, dass die Entwicklungsorganisation | |
Femnet einen Nothilfefonds eingerichtet hat. | |
## Der nächste Trend: weniger | |
Langfristig könnte es um einen Weg zu mehr „Weniger“ gehen. So zitiert die | |
Fachzeitschrift Textilwirtschaft aus einem Brief des italienischen | |
Designers Georgio Armani, der bislang nicht für sein Interesse an | |
Nachhaltigkeitsthemen bekannt ist. Das ganze System stehe „vor einer | |
grundlegenden Entschleunigung“, schreibt Armani. Seine eigene | |
Frühjahrskollektion will er bis September in den Läden lassen. | |
Entwicklungsexpertin Sabine Ferenschild bezweifelt allerdings, dass die | |
Modeindustrie sich durch Corona nachhaltig wandelt. „Es ist eine radikale | |
Marktbereinigung absehbar“, sagt sie. Beobachten lasse sich das jetzt | |
schon: Fast täglich melden größere und kleine Unternehmen Insolvenz an, die | |
Unternehmensberatung McKinsey prophezeit in der Textilwirtschaft eine | |
„Konsolidierungswelle“. Nur die wettbewerbsfähigsten Unternehmen würden | |
bleiben, sagt Ferenschild. Und die könnten dann weitermachen wie zuvor. | |
9 Apr 2020 | |
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