# taz.de -- Bestatter fordern mehr Schutzausrüstung: Erhöhtes Infektionsrisiko | |
> Bei medizinischen Schutzmaterialien stehen Bestatter bisher hinten an. | |
> Ein Unternehmen bei Hannover hat deshalb Kurzarbeit angedroht. | |
Bild: Überall viele Tote: Ein Bestatter in Lausanne am 5. April beim Sortieren… | |
HANNOVER taz | Bernd Henschel denkt und plant gern weit im Voraus. Der | |
Bestatter aus Garbsen in der Region Hannover führt das größte | |
Beerdigungsinstitut im Ort, mit zwei Niederlassungen, zehn Angestellten und | |
einem Einzugsbereich, der auch die angrenzenden Ortschaften umfasst. | |
[1][Die Verhältnisse in Italien haben ihn aufgeschreckt], der Anblick von | |
Militärlastern, die nachts die Särge abtransportieren, weil die Krematorien | |
und Friedhöfe überlastet sind. Er wollte gewappnet sein. So hat er es | |
zumindest der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erzählt. | |
Frühzeitig bestellte er zusätzliche Särge, Schutzkleidung, | |
Desinfektionsmittel, Transportkapazitäten für die Überführung. Dann wollte | |
er mit der Stadtverwaltung, den Gemeinden, dem Ordnungsamt und weiteren ins | |
Gespräch kommen, wie es denn laufen soll, in Zeiten von steigenden | |
Corona-Totenzahlen. | |
Immerhin gibt es da eine ganze Reihe potenzieller Nadelöhre: Die | |
Kapazitäten bei Kühlräumen und Krematorien, aber auch bei Standesämtern und | |
Sozialämtern, wenn es darum geht, die notwendigen Bescheinigungen zu | |
erhalten oder Kostenübernahmen zu beantragen. Doch die zuständigen Stellen | |
winkten ab. | |
## Die Bedingungen sind überall unterschiedlich | |
Es sei möglicherweise auch einfach ein bisschen viel, von den Städten und | |
Gemeinden zu erwarten, dass sie für jedes mögliche Szenario jetzt schon | |
eine Antwort hätten, sagt der Sprecher des Niedersächsischen Städte- und | |
Gemeindebundes, Thorsten Bullerdiek, auf taz-Anfrage. Dazu kommt: Die | |
Bedingungen sind vor Ort extrem unterschiedlich, allgemeine Empfehlungen | |
kaum sinnvoll. | |
Dass Henschel seine Kritik öffentlich machte, sogar drohte, Kurzarbeit zu | |
beantragen, weil er es bald nicht mehr verantworten könne, seine | |
Mitarbeiter dem Infektionsrisiko auszusetzen, kam nicht überall gut an, | |
heißt es aus der Stadt. | |
Henschel selbst möchte sich am Montag auch nicht weiter dazu einlassen. | |
„Wir arbeiten so lange wir können und so lange das Material reicht“, lässt | |
das Familienunternehmen verlauten. | |
Die Kritik daran, dass die Bestatter bei der Beschaffung von | |
Desinfektionsmitteln, Masken und Schutzkleidung allein gelassen werden, | |
wiederholt der [2][Bundesverband der Deutschen Bestatter] allerdings schon | |
seit Wochen gebetsmühlenartig. Bei der derzeitigen Versorgungslage heißt | |
das vor allem, dass die – meist mittelständischen Unternehmen – horrende | |
Preise zahlen müssen und häufig leer ausgehen, weil staatliche Großabnehmer | |
die Bestände aufkaufen und bevorzugt an medizinische Einrichtungen | |
verteilen. | |
## Bestatter sind nicht „systemrelevant“ | |
Der Verband fordert deshalb, die Bestatter in allen Bundesländern zu den | |
systemrelevanten Berufen zu zählen – damit hätten sie Anspruch auf | |
Notbetreuung und würden bei der Zuteilung von Schutzmaterialien | |
berücksichtigt. Bisher ist das nur in Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, | |
Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen der Fall. | |
Auch mit den uneinheitlichen Regeln für Trauerfeiern und Beerdigungen je | |
nach Bundesland hadert die Vertretung der Bestatter. Zumal diese Regelungen | |
dann oft von den kirchlichen oder städtischen Friedhofsverwaltungen auch | |
noch unterschiedlich ausgelegt werden. | |
So variiert die Anzahl an Personen, die als „engster Familienkreis“ | |
überhaupt noch teilnehmen dürfen. Mancherorts sind die Kapellen offen, | |
solange die Trauernden weit genug auseinander sitzen, anderswo gibt es nur | |
noch Bestattungen unter freiem Himmel. | |
## Psychosoziale Schäden zählen nicht | |
Die Bremer Bestatterin Cordula Caspary glaubt, dass hier der viel größere | |
Schaden angerichtet wird: „Trauerprozesse lassen sich nicht einfach | |
aufschieben“, mahnt sie. Die [3][psychosozialen und wirtschaftlichen | |
Folgekosten] seien immens, nicht gelebte Trauer eine der Hauptursachen für | |
Depressionen. „Ich weiß nicht, wie wir das je wiedergutmachen wollen, was | |
wir hier gerade anrichten.“ Viele Detailvorschriften, wie etwa das Verbot, | |
die Urne oder den Sarg durch Angehörige tragen zu lassen, seien vollkommen | |
übertrieben und geradezu hysterisch, glaubt sie. | |
Immerhin wüsste man ja nicht einmal genau, wie lange der Virus in oder auf | |
dem Leichnam noch lebt. „Bei Lebenden geht man davon aus, dass so ab fünf | |
Minuten im direkten Gespräch eine Virenlast erreicht ist, die eine | |
Ansteckung wahrscheinlich macht. Aber beim Umbetten eines Verstorbenen soll | |
das minimale Entweichen von ein paar Gasen oder ein bisschen | |
Rachenflüssigkeit ausreichen?“ Nein, sagt sie, sie brauche nicht mehr | |
Schutz und Hygiene als sonst auch. Aber Trauernde bräuchten Mitgefühl und | |
eine Umarmung – Corona hin- oder her. | |
7 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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