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# taz.de -- Klimaaktivistin über Inselleben: „Angst ist da nicht mein Gefüh…
> Sophie Backsen klagt gegen die Bundesregierung, weil sie ihre Zukunft
> bedroht sieht. Die Studentin über Klimaschutz, Landwirtschaft und
> Pellworm.
Bild: Sophie Backsen sorgt sich um die Zukunft ihrer Heimatinsel Pellworm
taz: Frau Backsen, wo sind Sie gerade?
Sophie Backsen: Ich bin auf Pellworm. Eigentlich wollte ich hier bei meinen
Eltern für Prüfungen lernen, aber die fallen jetzt wegen Corona aus.
[1][Wegen des Coronavirus ist Pellworm – wie auch die anderen
nordfriesischen Inseln – mittlerweile gesperrt.] Wie wirkt sich diese
Maßnahme auf Sie und die kleine Inselgemeinschaft aus?
Noch ist die Lage hier relativ entspannt. Natürlich geben sich alle Mühe,
ihr Sozialleben einzuschränken und so gut wie möglich zu Hause zu bleiben.
Das ist auf Pellworm aber deutlich entspannter als in einer Großstadt. Hier
ist viel mehr Platz und man begegnet ohnehin wenigen Menschen. Dass keine
Touristen da sind, ist trotzdem merkwürdig.
Machen Sie sich Sorgen um Ihre Insel, jetzt wo sie von der Außenwelt
abgeschnitten ist?
Pellworm ist ja nicht direkt von der Außenwelt abgeschnitten, die
Versorgung findet immer noch statt und die Fähre fährt auch jeden Tag
regelmäßig. Außerdem haben wir eine gute medizinische Versorgung, also
mache ich mir da keine Sorgen.
Eigentlich wollten wir ja gar nicht über Corona, sondern über Ihre Sorge um
den [2][Klimawandel] reden. Ist es nicht gruselig, auf einer Insel zu
wohnen, die einen Meter unter dem Meeresspiegel liegt?
Nein, ich bin ja damit aufgewachsen. Eine Lehrerin von mir kam aus
Rheinland-Pfalz, für die war es immer total schlimm, wenn keine Fähre fuhr.
Ich finde so Stürme gar nicht gruselig. Wenn es hart auf hart kommt, kommt
man schon irgendwie weg.
Also macht es Ihnen auch keine Angst, dass die Fähre in Zukunft vermutlich
öfter ausfallen wird, wenn die Extremwetterereignisse in Folge des
Klimawandels häufiger werden?
Nein, Angst ist da nicht mein Gefühl. [3][Mich nervt es einfach nur, dass
die Politik nichts tut]. Ich bin eher wütend als ängstlich. Das
[4][Klimaschutzgesetz] in der jetzigen Form ist ein Witz.
Was fehlt Ihnen?
Vor allem konkrete Maßnahmen, zum Beispiel im Mobilitätsbereich oder beim
Kohleausstieg. Stattdessen geht jetzt mit [5][Datteln 4 ein neues
Kohlekraftwerk] ans Netz. Das ist sehr widersprüchlich für mich.
Andere Menschen, die sich darüber ärgern, gehen gemeinsam demonstrieren,
also jedenfalls taten sie es vor der Ausbreitung des Coronavirus – oder sie
unterschreiben Petitionen. Sie haben die Bundesregierung verklagt. Wie kam
es dazu?
Ich bin auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen, meine Eltern
waren schon immer grün eingestellt. Voriges Jahr fragte Greenpeace unsere
Familie – also meine Eltern, meine drei Brüder und mich – ob wir zusammen
mit zwei anderen [6][Bauernfamilien eine Klage vor dem Verwaltungsgericht
in Berlin einreichen] würden. [7][Diese Klage wurde im Oktober 2019
abgelehnt.] Aber der Richter hat gesagt, man könne Klimaschutz durchaus als
Grundrecht ansehen und einklagen.
Daher die zweite Klage?
Genau, jetzt klagen nur noch die Kinder der Familien. Dazu noch ein Junge
aus Langeoog und [8][Luisa Neubauer] von [9][Fridays for Future]. Und
dieses Mal klagen wir vor dem Verfassungsgericht.
Wieso klagen jetzt nur die Kinder?
Das Argument in unserer Klage bezieht sich auf unsere Zukunft. Sie ist
durch den Klimawandel bedroht. Ich studiere Agrarwissenschaften und kann
mir gut vorstellen, mal den Hof meiner Eltern zu übernehmen, aber
ökologische Landwirtschaft ist durch den Klimawandel stark gefährdet. Und
zum anderen ist eben meine Heimat bedroht.
Inwiefern?
Auf Pellworm gibt es Entwässerungsgräben, die führen in Sielzüge und diese
wiederum ins Speicherbecken. Von da wird dann über eine Schleuse in die
Nordsee entwässert. Wenn der Meeresspiegel ansteigt, verkürzt das die
Zeiten, in denen entwässert werden kann. In Zukunft muss darüber
nachgedacht werden, wie sinnvoll und machbar große und teure Pumpsysteme
sind. Das ist ein Problem der ganzen Westküste und nicht nur von Pellworm.
Sie studieren in Kiel, langfristig möchten Sie aber wieder zurück auf die
Insel?
Ja, auf jeden Fall. Ich komme jetzt auch jedes Wochenende her, wie fast all
meine Freunde. Die Fahrt hierher dauert schon meistens so drei Stunden.
Aber ich habe einfach Sehnsucht nach der Insel. Ich brauche das: den Wind,
die Nordsee, die Weite. Das ist, glaube ich, schon etwas anderes, als wenn
man auf dem Festland von Zuhause wegzieht.
Seit wann wohnen Sie denn nicht mehr auf Pellworm?
Wir müssen ja schon in der Oberstufe aufs Festland ziehen unter der Woche,
weil es auf Pellworm kein Gymnasium gibt. Also habe ich mit meinem Cousin
in einer Wohnung in Husum gelebt, seit ich 16 Jahre alt bin. Ich fand es
immer super ätzend, Sonntagabend mit den anderen auf die Fähre zu steigen.
In Kiel lebe ich erst seit Oktober für mein Studium.
Der Hof Ihrer Eltern ist ökologisch bewirtet, im Studium treffen Sie
sicherlich auch einige konventionelle Landwirtkinder. Wie finden die es,
dass Sie für eine drastischere Klimapolitik klagen?
Da gab es bisher keine Konflikte. Manchmal Missverständnisse, aber wenn ich
den Sinn der Klage erklärt habe, haben es eigentlich alle verstanden.
Obwohl eine mögliche Maßnahme ja auch strengere Vorgaben für die
Landwirtschaft sein könnte?
Es ist schon ein Problem der aktuellen Agrarpolitik, dass den Landwirten
einfach irgendwelche Verordnungen um die Ohren gehauen werden. Das sehe ich
ähnlich wie die Leute, die auf die Bauernproteste gehen. Deswegen wäre das
auch nicht die Lösung in der Klimapolitik.
Aber gehören nicht genau solche Regeln dazu, wenn Klimapolitik wirksam
werden soll?
Es muss eben in Zusammenarbeit mit den Landwirten passieren. Und man muss
sie dabei unterstützen, die Vorgaben umzusetzen.
Ihre Eltern sind aber doch ein Beispiel, dass es gut möglich ist, einen Hof
ökologisch zu führen.
Schon, nur kann man nicht pauschal sagen, alle sollen auf bio umstellen.
Dafür gibt es gar nicht genug Abnehmer auf dem Markt. Grundsätzlich wäre
das wünschenswert, aber aktuell kommt es noch nicht bei dem Verbraucher an.
Das ist echt komplex.
Genau die Komplexität ist es ja, warum sich die Bundesregierung schwertut,
oder nicht?
In der Landwirtschaft auf jeden Fall. Und klar kann man auch nicht von
heute auf morgen alle Kohlekraftwerke abschalten, aber es ist schon so
lange klar, dass etwas getan werden muss. Die Bundesregierung hätte da
einfach früher etwas tun müssen. Dann wären wir heute deutlich weiter.
Die Klage wurde im Januar eingereicht, was ist denn der aktuelle Stand?
Wir warten noch darauf, ob sie angenommen wird.
Und was machen Sie, wenn sie scheitert?
Ich warte jetzt erst mal ab und gucke dann weiter. Wenn es nicht klappt,
muss ich überlegen, wie ich mich weiterhin für wirksame Klimapolitik
einsetzen kann.
Gibt es einen Ort, an den Sie ziehen würden, wenn man auf Pellworm nicht
mehr leben kann?
Das kann ich mir wirklich schlecht vorstellen. Wahrscheinlich würde ich
aufs Festland ziehen. Aber Nordfriesland müsste es bleiben.
23 Mar 2020
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## AUTOREN
Nele Spandick
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