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# taz.de -- Pärchenleben in der Krise: Zu zweit im Corona-Koller
> Wie kommt man als Paar mit der virusbedingten Zweisamkeit klar? Tipps aus
> dem Friseursalon, der Raumfahrt und dem Kloster.
Bild: Diego Fernandes, 46, and Deni Salgado, 30, heiraten in Neapel – allein …
Kontakte auf das Allernötigste beschränken, zu Hause bleiben – das ist
nötig, um die Mitmenschen und sich selbst vor Covid-19 zu schützen. Aber
wie überlebt man als Paar, zusammen mit dem Liebsten fast eingeschlossen in
der Wohnung, den Corona-Koller? Wenn beide Tag und Nacht zusammenglucken
und bitte möglichst nicht rausgehen sollen?
„Eine solche Krise wie jetzt durch Corona haben wir alle noch nicht
erlebt“, sagt Paartherapeutin Angelika Kaddik aus Potsdam, „das kann auch
für Paare, die schon lange zusammen sind, eine Herausforderung sein, wenn
man jetzt sehr eng aufeinandersitzt, wenn vielleicht auch noch beide
Homeoffice machen. Da müssen Nähe und Distanz erst mal wieder verhandelt
werden.“
Bei manchem wird danach der Wunsch nach Distanz übermächtig. In China haben
sich nach dem Ende der Isolationsmaßnahmen in den betroffenen Städten lange
Schlangen vor den Behörden gebildet. Viel mehr Verheiratete als sonst
wollten die [1][Scheidung] beantragen, was in China schneller geht als in
Deutschland. Angeblich haben viele Paare später dann versucht, das
Scheidungsbegehren wieder rückgängig zu machen. Sorry, Liebster, war alles
nicht so gemeint. Es war Corona!
So weit muss es nicht kommen. Lebenshilfen aus dem Kloster, dem
Friseursalon und der Paartherapie können dazu beitragen, die unfreiwillige
Selbstisolation durchzustehen, ohne sich am Ende zu hassen. Der Stress
beginnt im Kopf – Sie können dagegenhalten!
1. Es ist okay, wenn Sie jetzt nicht mehr Sex haben, obwohl Sie gerade so
viel Zeit miteinander verbringen
Eins der Corona-Gerüchte lautet, plötzlich hätten die Paare ein heißes
Liebesleben, weil man doch so viel Zeit hat und so eng aneinandergeschweißt
ist in der privaten Quarantäne. Der Beweis: Onlinehändler wie
[2][erotik.com] berichten, die Bestellungen von Pornos, ob gestreamt,
downgeloaded oder als DVD, explodierten. Kondome und Sexspielzeug finden
reißenden Absatz.
Dann müssten wir in neun Monaten einen Babyboom haben. So wie es angeblich
damals war, neun Monate nach dem großen Stromausfall in New York im Jahre
1965. Damals wurde die Geschichte vom Stromausfall und den heißen
Liebensnächten geboren. Super Geschichte, aber eben nicht wahr. Die
gestiegenen Geburtenziffern einiger Kliniken wurden Jahre später als ein
[3][statistisches Phänomen] erklärt.
Die Idee, dass es eine total sexy Zeit sein könnte für Paare, wo man im
gemeinsamen Homeoffice zusammensitzt und sich in der Mittagspause
aufeinander stürzt, dürfte für so manch sensible Natur nicht funktionieren.
Denn die derzeit überall verbreitete Psychologie des Infektionsschutzes ist
eine Psychologie des Ekels: Man soll sich dauernd die Hände waschen, als
hätte man einen Waschzwang, man soll einen Abstand von anderthalb Metern zu
den Mitmenschen bewahren, als wären wir alle in Hundekot gefallen. Die
Abstandsregel gilt zwar nicht für den oder die LebenspartnerIn. Aber ein
Unbehagen bleibt, zumal der Partner das Virus ja noch einschleppen könnte
vom Einkauf im Supermarkt. Erzwungene Nähe schafft eher den Wunsch nach
Distanz, man sucht nach Techniken, sich aus dem Weg gehen zu können.
2. Distanz trotz räumlicher Nähe ist möglich: Nonnen, BergsteigerInnen,
FriseurInnen machen es vor
Aus dem Bergsport kennt man das: Die Gruppe hat eine Woche im Schlaflager
auf der Hütte vor sich und nur Anfänger erzählen gleich am ersten Abend
alles aus ihrem Leben. Der Profi hingegen schweigt oder spricht nur über
das Wetter. Die verbalen Kommunikationseinheiten pro Stunde einzuschränken,
wenn man viel Zeit miteinander verbringt, ist okay. Es hat seinen Grund,
warum in vielen klösterlichen Ordensgemeinschaften, wo man in immer
gleicher Besetzung jahrzehntelang zusammen lebt, Schweigegebote herrschen.
Es mag Menschen geben, die die häusliche Zweisamkeit dank Corona nutzen
wollen, endlich mal die alten Probleme der Partnerschaft mit dem oder der
Liebsten auszudiskutieren. Aber vielleicht ist das keine gute Idee.
„Probleme aus der Vergangenheit wieder hochzuholen, bedeutet ja auch, die
negativen Gefühle wieder zu wecken, die damit verbunden sind“, sagt
Paartherapeutin Kaddik. Negative Gefühle aus der Vergangenheit plus die
aktuelle Beklemmung durch Corona: Das ist eine schlechte Grundlage für
Partnerschaftsdebatten.
Die Erlaubnis zum Monolog hingegen kann hilfreich sein, um Dampf
abzulassen. Friseure machen daraus ein Geschäftsmodell. Wenn die KundIn
vor sich hin monologisiert, reichen Einwürfe des Friseurs wie „ach was“,
„kann ich verstehen“ „tatsächlich?“, um ein Gefühl von Harmonie und
Geborgenheit aufkommen zu lassen. Niemals würde der Friseur stöhnen: „Das
habe ich doch schon x-mal gehört!“
In manchen Paartherapien praktiziert man eine Technik, wobei jeder mal zehn
Minuten nur von sich reden darf, ohne Unterbrechung und ohne eine Bewertung
durch das Gegenüber. Dann wechseln die Rollen. Das Verfahren soll sehr
wirksam sein – und das gibt zu denken.
3. Sie brauchen zwei Paar On-Ear-Kopfhörer
Logisch, dass in der Coronakrise forschende PsychologInnen unterwegs
sind. Die Universität Hildesheim zum Beispiel startet gerade eine
[4][Online-Befragung] zu sozialen Beziehungen in Zeiten von Covid-19. Im
Internet kursieren [5][Tipps] zur Tagesgestaltung im Homeoffice. Nicht nach
8 Uhr aufstehen! Regelmäßig arbeiten, viel Gemüse essen! Gymnastik! Bloß
nicht in Jogginghosen am Rechner sitzen! Entdecken Sie unbekannte Ecken in
der Wohnung, als wären sie Neuland! Die Tipps kann man befolgen, muss es
aber nicht.
Wichtig ist die innere Einstellung. Vielleicht fällt es Ihnen auf: Die
Enge, der Stress verändern Ihre Wahrnehmung. Sie nehmen schnell mal nur das
Negative an der Partnerin oder dem Partner wahr, den Hang zum
Besserwisserischen oder zum Vorwurfsvollen und dann das Herumgeputze in der
Wohnung, es kann zu viel sein oder auch zu wenig.
In einem von der Raumfahrtbehörde Nasa finanzierten Experiment lebte ein
Team ein Jahr lang in einer in sich geschlossenen Anlage auf Hawaii
zusammen, um zu erkunden, was jahrelange Isolation einer Gruppe auf einer
potenziellen Reise zum Mars psychologisch bedeuten würde. Die Physikerin
Christiane [6][Heinicke] berichtete später, dass Konflikte unvermeidlich
waren, und sei es über herumstehende leere Kaffeetassen. Was aber ein gutes
von einem schlechtem Team unterscheide, sei, dass das gute Team „sich
schnell von Streitigkeiten erholt und weiter gut zusammenarbeiten kann“.
Nicht nachtragend zu sein, großzügig zu werden, das ist ein schönes Ziel,
und jetzt haben Sie die Gelegenheit, sich dem in Hörweite zu nähern. Dabei
helfen ein paar Basics: Jeder darf eine Tür hinter sich schließen, zu jedem
Zeitpunkt. In der Küche wird nicht lange telefoniert, wenn der andere auch
darin sitzt. Man muss nicht jede Mahlzeit gemeinsam einnehmen. Zwei große
On-Ear-Kopfhörer liegen immer griffbereit herum, die man sich jederzeit
über den Kopf stülpen kann. Diese Dinger plus iPad mit YouTube, Spotify,
Facebook und Twitter erlauben uns eine individuelle Abschottung, von der
zerstrittene Bergbauernfamilien vor 100 Jahren auf ihrem Hof nur träumen
konnten.
4. Nichtstun in der Isolation ist dank Covid-19 schon ein Projekt an sich
Um glücklich zu sein, brauche man einen Menschen, den man liebt, und eine
Aufgabe und eine Hoffnung, schrieb die Schriftstellerin Ricarda Huch.
Voilà, bei Ihnen ist alles vorhanden, wenn Sie den Partner oder die
Partnerin nicht zwischenzeitlich in der Badewanne ertränkt haben. Der
manchmal durchaus geliebte Mensch ist vorhanden, die Hoffnung auf ein Ende
der Coronakrise auch, und die Aufgabe ist klar: Mit Ihrer Zweierisolation
helfen Sie, Covid-19 zu stoppen.
Ungewöhnliche Aufgaben erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Humor hilft bei
Stress in der Ehe, betont der Paartherapeut [7][Arnold Retzer.] Wenn es zu
eng werde zu zweit, könne man sich, gewissermaßen als „Ekelprophylaxe“, am
Küchentisch eine Clownsnase aufsetzen, schlug Retzer einmal vor.
Clownsnasen sind im Versandhandel billig zu haben. Auch jetzt noch, in der
Coronakrise.
24 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.businessinsider.de/international/covid-19-peak-divorce-rate-chi…
[2] https://www.presseportal.de/pm/66736/4544157
[3] https://www.snopes.com/fact-check/from-here-to-maternity/
[4] https://idw-online.de/de/news743519
[5] https://drive.google.com/file/d/1DXzCQXPs-5oAcFtsHEWfkilRaYVJxh-P/view
[6] https://www.scientificamerican.com/article/my-year-on-mars/
[7] /Streitschrift-von-Paartherapeut/!5154086/
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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