# taz.de -- Flüchtlinge in der Corona-Krise: Die Welt wird zur Festung | |
> Geflüchtete sind besonders hart betroffen. Hilfsorganisationen warnen vor | |
> „Massensterben“. Aus Deutschland wird weniger abgeschoben. | |
Bild: Wer darf noch nach Deutschland? Das entscheidet die Polizei „nach Ermes… | |
BERLIN taz | Die Corona-Krise wird immer mehr auch zur Krise für den | |
internationalen Flüchtlingsschutz. Weltweit warnen [1][Hilfsorganisationen] | |
vor einem [2][Massensterben], wenn sich das Virus in Flüchtlingslagern und | |
Internierungseinrichtungen ausbreitet. Gleichzeitig wird es für Flüchtlinge | |
immer schwieriger, an sichere Orte zu gelangen. Deutschland etwa hat seine | |
humanitären Programme zur Flüchtlingsaufnahme ausgesetzt, hieß es aus dem | |
Bundesinnenministerium am Mittwoch. | |
Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR und die UN-Migrationsorganisation IOM hatten | |
bereits am Dienstag ihre Umsiedlungs- und Evakuierungsprogramme weltweit | |
bis auf weiteres eingestellt. Grund sei, dass viele Staaten die | |
Einreisemöglichkeiten drastisch reduziert hätten und immer mehr Flüge | |
gestrichen würden, heißt es in einer Erklärung der beiden Organisationen. | |
Das betrifft zum einen das sogenannte Resettlement-Programm, bei dem | |
ausgewählte, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Staaten [3][wie | |
Syrien], Kongo oder Myanmar in westliche Aufnahmestaaten wie die USA, | |
Kanada, Großbritannien oder Deutschland gebracht werden. | |
Im letzten Jahr betraf das im Schnitt weltweit pro Monat etwa 5.000 | |
Menschen. Ab jetzt bis Mai waren allerdings nur 2.000 Menschen für eine | |
solche Umsiedlung vorgesehen. Sie müssen nun warten. | |
## Programme gestoppt | |
Darüber hinaus gibt es zwei [4][Sonderprogramme] für [5][Flüchtlinge in den | |
libyschen Lagern]. Sie wurden ebenfalls gestoppt. Die IOM evakuiert seit | |
2017 Migranten aus Libyen in ihre Herkunftsländer wie etwa Nigeria oder | |
Senegal. Das betraf seit Anfang des Jahres rund 1.300 Menschen. | |
Manche Flüchtlinge, für die eine Rückkehr in ihr Herkunftsland unmöglich | |
ist, fliegt der UNHCR vorübergehend in die afrikanischen Staaten Ruanda und | |
Niger aus. Das betraf seit Beginn des Jahres 289 Menschen, zuletzt kamen | |
vor einer Woche 128 Flüchtlinge nach Niger. Weil beide Mechanismen | |
eingestellt sind, müssen mehr Menschen als sonst in den libyschen Lagern | |
bleiben. | |
Wer versucht, in diesen Tagen das Land Richtung Europa zu verlassen, den | |
fängt meist die libysche Küstenwache ein: Allein am vergangenen Wochenende | |
holte diese nach UNHCR-Angaben 406 Menschen vom Mittelmeer zurück. | |
## Keine Möglichkeiten | |
Auch Deutschland hat seine humanitären Programme zur Flüchtlingsaufnahme | |
ausgesetzt. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte am Mittwoch | |
einen entsprechenden Bericht der Funke-Mediengruppe. Das Bundesamt für | |
Migration und Flüchtlinge sei angewiesen worden, die Verfahren auszusetzen. | |
Davon betroffen sind unter anderem die Aufnahmen nach dem | |
EU-Türkei-Abkommen. Die EU hat sich verpflichtet, für jeden irregulär | |
eingereisten Syrer, der in die Türkei zurückgeschickt wird, einen anderen | |
Bürgerkriegsflüchtling aufzunehmen. Auf diesem Weg waren seit Beginn des | |
Jahres 986 Menschen aus der Türkei in die EU gebracht worden. | |
Ausgesetzt ist aber auch die Beteiligung am Resettlement-Verfahren des | |
UNHCR. Hierfür hatte die Bundesregierung für dieses Jahr insgesamt 5.500 | |
Plätze zugesagt. „Wir haben die faktischen Möglichkeiten dafür im Moment | |
nicht“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. De facto seien die | |
Programme schon seit Freitag zum Erliegen gekommen. | |
Nicht ausgesetzt sind die Bemühungen, minderjährige Flüchtlinge von den | |
griechischen Inseln auf EU-Länder zu verteilen. Deutschland hatte kürzlich | |
erklärt, einen Teil eines Kontingents von 1.500 Minderjährigen aufnehmen zu | |
wollen. Auf den Ägäis-Inseln halten sich aber Schätzungen zufolge deutlich | |
über 5.000 unbegleitete Minderjährige auf. | |
Die EU-Kommission lehnte es am Mittwoch ab, angesichts der absolut | |
katastrophalen [6][Menschenrechtslage in den griechischen Camps] ein | |
Vertragsverletzungsverfahren gegen Athen einzuleiten. Man sei sich der | |
„schwierigen Situation“ auf den Inseln bewusst und versuche sie zu | |
verbessern, erklärte eine Sprecherin am Mittwoch auf Anfrage in Brüssel. | |
## Starker Rückgang | |
Auch Flüchtlinge, die auf eigene Faust unterwegs sind, dürften durch die | |
Corona-Krise zunehmend Schwierigkeiten bekommen. Am Dienstag hatte die EU | |
die Einreise von Nicht-EU-Bürgern weitgehend verboten. | |
Schon zuvor war die Zahl der Ankünfte stark zurückgegangen. Die | |
EU-Grenzschutzagentur Frontex registrierte im Februar EU-weit insgesamt | |
6.200 irreguläre Grenzübertritte. Damit werden Einreisen von Menschen ohne | |
Papiere bezeichnet, oft stellen diese dann einen Asylantrag. Gegenüber | |
Januar war dies ein Rückgang um 42 Prozent. | |
Grundsätzlich haben Ankommende auch ohne Pass und Visum einen Anspruch, für | |
einen Asylantrag ins Land gelassen zu werden. Doch dieser dürfte sich jetzt | |
nur noch schwer einlösen lassen, da fast alle EU-Staaten sich abschotten. | |
In Deutschland betrifft das Einreiseverbot für Drittstaatler vor allem die | |
Flug- und Seehäfen, aber auch an den Landesgrenzen wird wegen der Pandemie | |
verstärkt kontrolliert. Ins Land gelassen werden hier nur noch | |
Nicht-EU-Bürger, wenn sie einen „dringenden Einreisegrund“ nachweisen | |
können. | |
## Polizei entscheidet | |
Konkret genannt hat das Bundesinnenministerium (BMI) dabei nur ärztliche | |
Behandlungen, familiäre Todesfälle und berufsbedingte Gründe. Letztlich | |
liege die Entscheidung, welche Reise als „zwingend notwendig“ anzusehen | |
sei, im „pflichtgemäßen Ermessen des Beamten vor Ort“, heißt es vom BMI. | |
Sprich: Die Polizei entscheidet, ob jemand zur Asylantragstellung ins Land | |
gelassen wird. | |
Umgekehrt wird [7][wegen der Corona-Krise allerdings auch weniger | |
abgeschoben]. Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, aber ihr | |
Asylverfahren laut der Dublin-Verordnung in Italien durchführen müssten, | |
werden vorerst nicht dorthin überstellt. | |
Einen generellen Abschiebestopp in Staaten mit besonders schwerem | |
[8][Corona-Ausbruch wie Iran], China oder Südkorea gibt es bislang nicht. | |
Allerdings gelte weiter, dass Abzuschiebende reisefähig sein müssten, heißt | |
es vom BMI. Ob ein an Covid-19 erkrankter abgelehnter Asylbewerber | |
abgeschoben werden kann, entscheidet also ein Amtsarzt. In der Praxis | |
dürfte eine solche Abschiebung aber mit Sicherheit schon wegen des | |
Infektionsschutzes für Polizisten abgeblasen werden. | |
Insgesamt, so das BMI, dürfte in der kommenden Zeit aber weniger | |
abgeschoben werden: Angesichts der „vorrangigen Schutzaufgaben“ der Polizei | |
bei der Bekämpfung des Corona-Virus könne es „zu weiteren Einschränkungen | |
bei Rückführungsmaßnahmen kommen“. | |
19 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.medico.de/corona-solidaritaet-in-zeiten-der-pandemie/ | |
[2] https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/lesbos-samos-corona | |
[3] /Hilfsarbeiterin-ueber-Corona-in-Syrien/!5671464 | |
[4] /Fluechtlingslager-in-Niger/!5587976/ | |
[5] /Corona-in-Libyen/!5672136 | |
[6] /Fluechtlingslager-Moria-auf-Lesbos/!5664220 | |
[7] /Gefluechtete-in-Europa/!5667913 | |
[8] /Coronavirus-im-Iran/!5672336 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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