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# taz.de -- Tourismus in Spanien: Keine klaren Horizonte
> Die spanische Tourismusbranche leidet unter den Folgen des Coronavirus.
> Es herrscht Ausgangssperre im ganzen Land und damit Reiseverbot.
Bild: Barcelona: Der Strand ist menschenleer
Es ist eines der Bilder der Covid-19-Krise in Spanien. Am Abend des 16.
März brannte auf dem Rathausplatz in Valencia die riesige Büste einer Frau
mit Atemschutzmaske. Der Rest des Körpers der „Falla“ – die Figuren, die
kurz vor Frühlingsbeginn überall in der Mittelmeerstadt aufgebaut und
schließlich in einem rauschenden Volksfest verbrannt werden – ging weniger
Meter entfernt ebenfalls in Flammen auf. Ohne Publikum, ohne Feuerwerk,
drei Tage zu früh. „Das ist das würdigste Ende“, das sie für ihr Werk
hätten finden können, erklärten die Künstler.
Das Fest „Las Fallas“, das Valencia normalerweise zu San José am 19. März
in ein Meer aus Flammen und Feuerwerk verwandelt, Hunderttausende Besucher
in die Stadt bringt und zig Millionen Euro in die Kassen der Hotels,
Kneipen und Geschäfte spült, war aus Angst vor dem Coronavirus auf Mitte
Juli verschoben worden. Während die anderen Künstler ihre Figuren abbauten
und einlagerten, wollten die Schöpfer der Frau mit Maske mit dem Titel „Aço
també passará“ – „Das geht auch vorüber“ – nicht warten. Sie über…
Werk bei Nacht und Nebel den Flammen. Das Bild ging durch die Presse.
Mit der Absage der Fallas wurde allen klar: Die Krankheit verläuft rasant.
Mittlerweile herrscht Ausgangssperre im ganzen Land und damit Reiseverbot
für Einheimische. Die Grenzen für Nichtspanier sind geschlossen. Tausende
Touristen, die Jahr für Jahr mit ihren Wohnmobilen auf den Campingplätzen
an der Mittelmeerküste überwintern, wurden aufgefordert, die Zelte
abzubrechen, bevor die Plätze schließen mussten; so auch Hotels und
Pensionen.
Christophorus Heufken sitzt in seinem Büro und klärt die letzten Details,
bevor auch er zusperrt. Seit 20 Jahren betreibt er das Acht-Zimmer-Hotel
Sant Salvador in Artà im Osten der Baleareninsel Mallorca. „Meine acht
Mitarbeiter sind bereits vorübergehend arbeitslos gemeldet“, sagt er. Die
meisten arbeiten seit über zehn Jahren bei ihm. „Die ständigen Ausgaben für
das Hotel, wie Wartungsverträge, Grundgebühr für Strom und Wasser etc.
laufen weiter, auch wenn wir geschlossen haben“, sagt er und rechnet, wie
er über die Runden kommt.
## Stornierungswelle bis zum Sommer
„Gäste habe ich schon seit Wochen keine mehr“, berichtet der Hotelier, der
einst aus dem Ruhrgebiet kam. „Normalerweise füllt sich das Haus im März,
dieses Jahr kam niemand“, erklärt er. Und die langfristigeren Buchungen für
Ostern, das Frühjahr und den Frühsommer wurden alle storniert. Das Sant
Salvador lebt zu 90 Prozent von internationalen Urlaubern, der Rest sind
Festlandspanier. Doch weder die einen noch die anderen reisen jetzt.
Die Ausgangssperre und damit die staatlich verordnete Schließung aller
Hotels wurde nach den ersten zwei Wochen erst einmal bis zum 11. April
verlängert. „Ich hoffe, dass im Mai alles vorbei ist“, versucht sich
Heufken selbst Mut zuzusprechen. „Doch dann werde ich das Hotel erst mal zu
lassen“, überlegt er laut. Der Unternehmer will sich auf sein neues Projekt
konzentrieren, das durch den Ausnahmezustand ebenfalls brachliegt: Ein
kleines Restaurant mit Live-Musik in einem historischen Gebäude. Das müsste
sich doch auch ohne Touristen mit den Inselbewohner füllen lässt.
Bleibt die Frage, ob die Menschen nach der Krise noch Geld haben, um es für
Abendessen und Musik auszugehen. Denn auf den Balearen macht der Tourismus
– wie auch auf den Kanaren oder den Regionen entlang des Mittelmeers – rund
35 Prozent des regionalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Insgesamt
arbeiten auf den Inseln in der Hochsaison um die 190.000 Menschen in der
Branche. Hinzukommen die indirekten Arbeitsplätze.
Letztendlich lebt jeder irgendwie vom Geld, das die Urlauber auf den Inseln
lassen. Acht von zehn Unternehmen auf den Balearen werden wohl Mitarbeiter
entlassen oder sie, wie Heufken, vorübergehend zum Arbeitsamt schicken
müssen. „Vor dem Ausnahmezustand dachte ich, das war's“ sagt der Hotelier.
Mittlerweile hat er wieder etwas Mut gefasst. Denn die Regierung in Madrid
hat ein Hilfsprogramm aufgelegt.
## Tourismus wichtigste Industrie
200 Milliarden Euro will der sozialistische Ministerpräsidenten Pedro
Sánchez für wirtschaftliche und soziale Hilfsprogramm mobilisieren. Von
Zuschüssen über Bürgschaften ist alles dabei. Die Herausforderung ist groß.
Wenn der erneute Normalzustand sechs Monate auf sich warten lässt, dann
könnten – so die Schätzungen der Unternehmerverbände – allein in der
Tourismusbranche 62 Milliarden der 158 Milliarden Euro, die sie 2020 zum
BIP beitragen sollte, verloren gehen.
Das Geschäft mit Urlaubern und Reisenden stellt über 12 Prozent des
spanischen BIP und knapp 13 Prozent der Arbeitsplätze. Mindestens ein halbe
Million Menschen werden wohl allein im Tourismus in der laufenden Saison
ihren Job verlieren. Die Wachstumsrate von 1,6 Prozent, mit der der
Internationale Währungsfonds für 2020 in Spanien rechnete, ist Geschichte.
Fehlende Urlauber und Ausfälle im heimischen Konsum werden sich stark
bemerkbar machen.
„So eine Krise haben wir noch nie erlebt“, erklärt José Luis Zoreda de la
Rosa, der stellvertretende Vorsitzende von Exceltur, einem Verband, der 28
Großunternehmen aus der Tourismusbranche umfasst, gegenüber dem spanischen
Rundfunk RTVE. Insgesamt gibt es in Spanien 14.600 Hotels und rund 800
Campingplätze. Hinzu kommen Tausende Unternemen aller Art, die ihre
Dienstleistungen den Urlaubern anbieten. 200 Milliarden Euro für die
gesamte spanische Wirtschaft und zur Milderung von persönlichen Notlagen
bei einer Bevölkerung von 47 Millionen klingt da plötzlich gar nicht mehr
so viel.
In anderen schwierigen Situationen, so etwa während der Eurokrise, sei die
Tourismusbranche der Rettungsring der spanischen Wirtschaft gewesen, meint
Zoreda de la Rosa, „aber jetzt ist es die anfälligste Branche“. Es gebe
„keinen klaren Horizont. Niemand kann sagen, wie lange es letztendlich
dauern wird.“ Ihm bleibt nur eine Hoffnung, dass, sobald das Virus besiegt
ist, eine schnelle Erholung einsetzt, wie das etwa nach der Vogelgrippe der
Fall war. Um dabei nachzuhelfen, bereiten Hotels und Reiseveranstalter
Werbekampagnen und Sonderangebote vor.
## Die Kurse fallen
Die Coronakrise trifft Spanien nach sieben fetten Jahren. Dank der
politischen Instabilität auf der Südseite des Mittelmeeres stiegen die
Besucherzahlen in Spanien Jahr für Jahr. Mit 82,7 Millionen ausländischen
Besuchern war Spanien im vergangenen Jahr weltweit die Nummer 2 nach
Frankreich.
Wie tief das Reiseland jetzt fallen wird, darüber will das Ministerium für
Handel und Tourismus in Madrid nicht spekulieren. „Wir haben keine Daten.
Die Zukunft wird davon abhängen, wie lange die Pandemie und der
Ausnahmezustand dauern“, heißt es aus der Pressestelle. Auch bei den großen
Hotelketten und Reiseveranstaltern halten sich die Presse- und
Marketingabteilungen bedeckt. Die Unternehmen sind an der Börse notiert.
Die Kurse fallen. Pessimistische Prognosen helfen da nicht. Und Optimismus
könnte schnell von der Realität eingeholt werden. Auch das wäre nicht gut
für die Aktien.
Reiseveranstalter TUI, der Mitte März alle Flüge nach Spanien einstellte,
begnügt sich mit einem Kommuniqué. „Wir möchten Ihnen in diesem schweren
Augenblick für die gute Zusammenarbeit danken“, heißt es darin an die
örtlichen Hotels. „Aufgrund der gegenwärtigen globalen Unsicherheit ist es
viel zu früh, Prognosen abzugeben. Auf jeden Fall sind wir optimistisch und
hoffen, bald wieder zur Normalität zurückzukehren und unsere Kunden in
naher Zukunft wieder willkommen zu heißen“, erklärt Sara Ramis, Corporate
Marketing Director der Barceló Hotel Group, mit 16.553 Betten verteilt auf
64 Hotels, die zweitgrößte Kette des Landes.
Am Härtesten wird es für die Selbstständigen. Eine von ihnen ist die
Bremerin Almuth Intemann, die seit 2003 Bildungs- und Kulturreisen in
Spanien für deutsches Publikum führt. „Meine letzten Gäste reisten an jenem
Samstag, dem 14. März ab, als die Ausgangssperre verhängt wurde. Zum Glück
hat sie einen Minivertrag mit einem der Anbieter, der ihr jetzt etwas
Kurzarbeitergeld beschert. „Ich werde wohl mein Erspartes anbrechen
müssen“, sagt sie. Bis Mitte Mai wurden von ihren Auftraggebern alle Reisen
nach Barcelona und Madrid storniert. „Ich habe noch eine Gruppe in der
zweiten Maihälfte nach Kastilien, aber die wird wohl auch nicht
stattfinden. Mit etwas Glück können wir das alljährliche Kulturwandern in
den Pyrenäen ab Juni aufrechterhalten“, fügt sie hinzu. Mit einer
umfangreichen Erholung der Lage rechnet sie nicht vor Herbst. „Und dann
auch nur, wenn die Menschen nach Monaten des Stillstands Geld haben.
Tourismus sei ein Luxusgut, gibt Intemann zu bedenken.
## „Für uns ist das Jahr gelaufen“
Kulturreisen und Wanderungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass immer
mehr Touristen in Spanien nicht nur Strand und Sonne suchen. Über 17.000
casas rurales – ländliche Unterkünfte, meist in historischen Landhäusern
und Bauernhöfen – sind in den letzten Jahrzehnten entstanden. Das schaffte
Arbeitsplätze auch in Restaurants, Kneipen und im lokalen Kunsthandwerk. So
manche junge Familie blieb auf dem Dorf, anstatt, wie noch in der
Elterngeneration üblich, auf Suche nach Arbeit in die Städte abzuwandern.
Lorenzo Vega bewirtschaftet im Unesco-Geopark Las Villuercas, Ibores, Jara
in Extremedura ein solches Landhaus. „Für uns ist das Jahr gelaufen“,
bedauert er. Denn die Hauptsaison für Reisen ins Landesinnere ist das
Frühjahr und dort vor allem die Osterwoche. „Im Sommer ist es hier zu heiß,
um etwa zu wandern oder Rad zu fahren. Im Herbst und vor allem im Winter
ist das Wetter schlecht“, erklärt Vega. Sein Haus ist so abgelegen, dass er
mit Frau und Kindern sogar ab und an trotz Ausgangssperre einen Spaziergang
im Wald unternehmen kann. Etwas, was in den Städten und Dörfern Spaniens
seit dem 14. März (und mindestens noch bis Mitte April) undenkbar ist.
28 Mar 2020
## AUTOREN
Reiner Wandler
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