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# taz.de -- Corona und ausbeuterische Landwirtschaft: Weg vom Fleischmarkt
> Ausbeutung, Landraub und Vertreibung fördern in den Entwicklungs- und
> Schwellenländern den Verzehr von Flughunden und anderem infiziertem
> Wildfleisch.
Bild: Flughunde auf einem Markt in Indonesien
Seit Wochen hält das Coronavirus Sars-CoV-2 die Welt in Atem. Auf den
Spuren der globalisierten Produktion von Waren und Dienstleistungen
verbreitete es sich in Windeseile über den gesamten Erdball. Das medial
aufmerksam, teilweise reißerisch begleitete Geschehen weckt Erinnerungen an
große Epidemien vergangener Jahrhunderte, die in Zeiten der modernen
Medizin als überwunden gelten. Seuchen schüren [1][Ängste] und sind
bedrohlich. Restriktive Maßnahmen, mit denen die Politik die rasche
Ausbreitung des Virus bremsen will, stoßen auf Akzeptanz, weil sie
Sicherheit suggerieren. Wenn es nur noch um Gefahrenabwehr geht, ist es
allerdings schon zu spät. Hier gilt eine uralte Weisheit der Medizin:
Vorbeugen ist besser als heilen.
Die Nachrichten über das Virus und die von ihm ausgelöste Krankheit
Covid-19 überschlagen sich. Manches stimmt, anderes ist trivial, etliches
gehört in den [2][Bereich der Fake News], und vieles sind Halbwahrheiten,
mit denen Medien ihren Absatz steigern wollen. Unnötige Furcht erzeugt
beispielsweise die Aussage, eine Ansteckungsgefahr bestehe bei Corona
bereits vor dem Auftreten von Beschwerden, das trifft nämlich auf viele
Infektionen zu. Statistiken rapide steigender Zahlen von Infizierten und
Todesopfern verbreiten Angst – obwohl allein der Straßenverkehr weitaus
mehr Menschen umbringt. Und angesichts Zehntausender Toter aufgrund von
Zigarettenrauchen und Alkoholkonsum erscheint die aktuelle Corona-Panik
irrational.
Auch ist bisher unklar, bei welchen Patient*innen aus welchen Gründen und
unter welchen Bedingungen eine Corona-Infektion tödlich endet. Schon bei
den dramatischen Ebola-Ausbrüchen ab 2013 nahm niemand Notiz davon, dass in
den drei betroffenen westafrikanischen Ländern jeden Tag mehr Menschen an
Tuberkulose starben als an Ebola. Auch weiß man nicht, warum das Virus für
Männer gefährlicher ist als für Frauen. Keiner fragt, ob die Opfer denn
tatsächlich an oder nicht eher mit dem Virus sterben, denn kaum jemand
[3][testet] überhaupt auf etwas anderes als Covid-19. Es ist die Stunde der
Virolog*innen, die zu Höchstform auflaufen und sich in dramatischen
Seuchenszenarien überbieten.
Die politische und wissenschaftliche Debatte über die Corona-Pandemie
ausschließlich auf die biomedizinische und -technologische Perspektive zu
verengen und damit in unverantwortlicher Weise zu verkürzen, stört in der
akuten Krisenstimmung kaum jemanden.
## Anhaltende Weigerung der Entscheidungsträger
Viel besorgniserregender als der aktuelle Corona-Ausbruch ist aber die
anhaltende Weigerung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher
Entscheidungsträger, zwischen den Epidemien und Pandemien mit derselben
Konsequenz gegen deren Ursachen vorzugehen, mit der sie in der akuten
Ausbruchssituation das gesellschaftliche und zivile Leben der Menschen
einschränken.
Anfangs sparte die westliche Welt nicht mit Schelte für die chinesische
Regierung und ihr konsequentes Durchgreifen in der Ausbruchsregion. Wenige
Wochen später ziehen fast alle Länder nach, schließen ihre Grenzen und
greifen massiv in das gesellschaftliche Leben und die bürgerlichen
Freiheiten ein.
Nicht nur in China, auch anderswo besteht die Gefahr, dass unter dem
Vorwand der Seuchenkontrolle eingeführte Überwachungsmaßnahmen auch nach
dem Abklingen der akuten Bedrohung in Kraft bleiben.
Dabei ist hinlänglich bekannt, dass schon [4][die Ebola-Ausbrüche] in
Westafrika auch eine Folge der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen waren:
Die intensive Befischung der Meere treibt die küstennah lebende Bevölkerung
im westlichen Afrika zur Sicherung ihrer Proteinversorgung immer tiefer in
Regenwälder, wo sie mit dem Ebola-Erreger in Kontakt kommen. Gleichzeitig
bieten vor allem die riesigen Palmölplantagen den Ebola übertragenden
Flughunden ideale Lebensbedingungen.
Noch ist die Entstehung der Coronavirus-Pandemie nicht vollständig geklärt.
Der Blick auf den Fleischmarkt in Wuhan, der tote und lebendige exotische
Tiere bietet, weist allerdings darauf hin, dass auch der aktuelle
Seuchenausbruch mit auf das Konto der globalen Ernährungswirtschaft geht.
Das Bestreben des weltweit agierenden Agrobusiness, mit
betriebswirtschaftlich optimierten Monokulturen den internationalen
Lebensmittelmarkt zu beherrschen, führt in den Entwicklungs- und
Schwellenländern zu Landraub und Vertreibung – und fördert so den Verzehr
von Flughunden und anderem infiziertem Wildfleisch.
## Die Macht der kapitalorientierten Landwirtschaft
Wie in vielen anderen Teilen der Welt verdrängen die industrielle
Schweine-, Rinder- und Geflügelmast Holzfäller und Wildtierjäger*innen
immer tiefer in die Urwälder. Dadurch kommen sie auch mit bisher
unbekannten virulenten, teilweise hoch infektiösen Krankheitserregern wie
Sars-CoV-2 in Kontakt, die auf Tier und Mensch übergreifen können.
Verantwortungsvolle Gesundheits- und Sicherheitspolitik darf sich nicht auf
Quarantäne- und Notfallmaßnahmen beschränken, sondern muss diesen
Zusammenhängen Rechnung tragen. Offenbar ist es einfacher, die
Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken, als die kapitalorientierte
Landwirtschaft und ihr rücksichtsloses Gewinnstreben in die Schranken zu
weisen. Dabei wäre dies ohnehin nötig, um die massive Umweltbelastung durch
Ackerbau, Viehzucht und Transport zu verringern und die Menschen vor ihren
vielfach gesundheitsschädlichen Produkten zu schützen.
Globale Seuchen bieten der Weltgesellschaft die Chance, sich mit dem
[5][eigenen kollektiven Verhalten] und den etablierten Vorstellungen
auseinanderzusetzen. „Die Welt danach wird eine andere sein“, versprach
Bundespräsident Walter Steinmeier für die Zeit nach der Coronapandemie.
Möge er recht haben und die aktuelle Panik genügend Druck zum Umdenken auf
allen – auch agrarökonomischen – Ebenen erzeugen.
23 Mar 2020
## LINKS
[1] /Psychiater-ueber-Angst-und-Corona/!5668918
[2] /Corona-und-Fake-News/!5668688
[3] /Berechnungen-zu-Covid19/!5672262
[4] /Virusbekaempfung-in-Afrika/!5659600
[5] /Berichterstattung-ueber-Coronavirus/!5660035
## AUTOREN
Jens Holst
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