| # taz.de -- Klimaproteste in Südkorea: Aufmüpfig, aber sachte | |
| > In Ostasien spielte die Fridays-for-Future-Bewegung bislang keine | |
| > nennenswerte Rolle. In Südkorea ändert sich das gerade. | |
| Bild: Südkoreanische Klimaaktivist*innen wollen ihre Regierung verklagen | |
| Peking taz | Für die 16-jährige Klimaaktivistin Kim Do-hyeon war es nicht | |
| weniger als ein Ritterschlag: Gemeinsam mit ihrer Organisation „Youth 4 | |
| Climate“ hatte die Südkoreanerin derart viel mediale Aufmerksamkeit | |
| erreicht, dass sie der Umweltminister kurz vor der Klimakonferenz in Madrid | |
| höchstpersönlich zu einem Treffen einlud. Dort brachten die Schüler ihr | |
| Anliegen hervor, das Land solle endlich aufhören, in fossile Brennstoffe zu | |
| investieren und von Kohle auf erneuerbare Energien umzustellen. | |
| Die Audienz endete jedoch in einer bitteren Enttäuschung: Der | |
| Umweltminister und sein Mitarbeiterstab gaben unverhohlen zu, dass man mit | |
| den derzeitigen Regierungsmaßnahmen die im Pariser Klimaabkommen | |
| vereinbarte Erderwärmung überschreiten werde. Der Status quo sei eben nun | |
| mal das beste, was man derzeit tun könne. „Für mich war das sehr | |
| enttäuschend“, sagt Kim Do-hyeon: „Sie kennen die Fakten an, aber handeln | |
| dennoch nicht“. | |
| Am Freitag schließlich zogen sie die logische Konsequenz: 29 südkoreanische | |
| Klimaaktivisten im Schulalter haben [1][eine Beschwerde beim | |
| Verfassungsgericht eingereicht]. Sie argumentieren, dass ihr Grundrecht, in | |
| einer sauberen Umwelt zu leben, von dem unzureichenden „Klimawandel-Gesetz“ | |
| der Regierung verletzt werde. Südkorea plant, seine landesweiten Ausstoß | |
| von Treibhausgasen bis 2030 auf 536 Millionen Tonnen zu senken, was ein | |
| Rückgang von rund 25 Prozent darstellen würde. Um die Erderwärmung unter | |
| zwei Grad zu halten, sei dies laut Youth 4 Climate deutlich zu wenig. | |
| Mit der Klage stehen sie nicht alleine: Von Australien über Kolumbien bis | |
| hin zu den Vereinigten Staaten haben Jugendliche bereits ihre Regierungen | |
| wegen Untätigkeit beim Klimaschutz verklagt. In Ostasien, wo die Fridays | |
| for Future Bewegung bislang kaum Fahrt aufgenommen hat, hält eine solche | |
| „Aufmüpfigkeit“ jedoch eine ganz besondere Bedeutung. | |
| ## Schule schwänzen ist in Südkorea ein Tabu | |
| „Viele Gleichaltrige sagen mir, dass ich wirklich großartiges mache, aber | |
| selber handeln wollen sie nicht“, sagt Schülerin Kim. Kein Wunder: Wohl | |
| kein OECD-Land stehen die Schüler in einem derartigen Konkurrenzkampf | |
| zueinander, in der Oberschule büffeln viele täglich weit über zehn Uhr | |
| nachts hinaus. Zudem sei es in der streng konfuzianischen Gesellschaft | |
| nicht vorgesehen, dass Jugendliche Autoritäten in Frage stellen oder | |
| Forderungen an die Regierung stellen, sagt Kim Do-hyeon. Vielleicht das | |
| rebellischste Vergehen von allen: Die Schule zu schwänzen ist im | |
| bildungshungrigen Südkorea ein absolutes Tabu. | |
| Als Kim Do-hyun den [2][ersten freitäglichen Klimastreik] teilnahm, musste | |
| sie zunächst ihrem Klassenlehrer ein Attest vorlegen. „Das Wort Streik habe | |
| ich unbedingt vermeiden wollen, weil es in Korea ein gewisses Stigma | |
| beinhält. Ich habe die Veranstaltung als Klimakampagne deklariert – und | |
| mein Lehrer hat mich am Ende gehen lassen“. | |
| ## Südkorea hat den neunthöchsten Kohleverbrauch | |
| Wenn die 16-jährige Oberschülerin aus Suwon, einer Stadt am Rande der | |
| Metropolregion Seoul, spricht, dann wirkt sie ein wenig wie die | |
| ostasiatische Gegenthese zu Greta Thunberg: zuvorkommend höflich, bedachte | |
| Wortwahl, fernab von Wutreden. Doch inhaltlich sind die beiden Verbündete | |
| im Geiste. | |
| Auch in Südkorea gibt es viel zu beklagen: Im letzten Frühling musste die | |
| Regierung Notfallgesetze einreichen, um die massive Feinstaubbelastung in | |
| den Griff zu bekommen, die in keinem anderen OECD-Land derart hoch ist. | |
| Zudem hat Südkorea bei einer Bevölkerung von 50 Millionen den neunthöchsten | |
| Kohleverbrauch weltweit, der bislang weiter angestiegen ist. | |
| ## Sommer 2018 war der heißeste in der Geschichte | |
| Für die ältere Generation blieb das Thema Umweltschutz nebensächlich, für | |
| die Maxime des Wirtschaftswachstums wurden drastische Opfer in Kauf | |
| genommen. Schließlich lag die Halbinsel nach dem Koreakrieg in Ruinen: eine | |
| bitterarme Agrarnation, die es innerhalb einer Generation zur elftgrößten | |
| Volkswirtschaft der Welt hinauf geschuftet hat. | |
| „Ich hatte schon immer das Gefühl, dass der Klimawandel über meine Zukunft | |
| hängt“, sagt die Schülerin. Ihr Erweckungserlebnis war der Sommer 2018, der | |
| als bisher heißester in die Geschichte des Landes eingehen sollte. „Die | |
| Hitze war so drückend, dass unser gesamter Sportunterricht gestrichen | |
| wurde“, erinnert sie sich. | |
| ## Hohe Temperaturen sind lebensbedrohlich | |
| Zudem habe sie durch ihre Freiwilligenarbeit für unterpriviligierte | |
| Senioren eine ältere Frau getroffen, die zuhause noch nicht einmal einen | |
| Ventilator hatte. „Für mich war das wirklich schockierend“, sagt die | |
| Südkoreanerin. Sie habe realisiert, dass gestiegene Temperaturen für einige | |
| Leute lebensbedrohlich sein können. | |
| Ihre Verfassungsbeschwerde, fügt Kim Do-hyeon an, sei keinesfalls nur ein | |
| symbolischer Akt: „Unsere Anwälte, die uns geholfen haben, bescheinigen uns | |
| gute Gewinnchancen“. Nicht zuletzt stützen sich die Schüler ausschließlich | |
| auf Beweismaterial, das direkt von Regierungsbehörden stammt. | |
| 15 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://youthclimatelawsuit.kr/ | |
| [2] https://www.koreatimes.co.kr/www/nation/2019/09/371_276265.html | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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