# taz.de -- Korruption in der Slowakei: Wildwest im Osten | |
> Die SlowakInnen haben genug von dem mordenden Klüngel aus Politik, | |
> Wirtschaft und Politik. Die neue Matovič-Regierung verspricht Anstand. | |
Bild: Der Sieger der Nationalratswahlen in der Slowakei, Igor Matovic, am Wahla… | |
Die Rasanz, mit der die slowakische Polizei am frühen Mittwochmorgen zur | |
Tat schritt, hatte einen Hauch von jakobinischem Eifer: Bei wohl | |
orchestrierten Hausdurchsuchungen wurden zwölf hohe Justizbeamte | |
einschließlich einer Staatssekretärin festgenommen. Noch ist die | |
designierte Regierungskoalition um [1][Igor Matovič], Überraschungssieger | |
der Nationalratswahlen Ende Februar, nicht im Amt. Die morgendlichen | |
Razzien bei den Richtern werden in der Slowakei als erster Vorbote ihres | |
Wirkens gesehen. | |
Matovič gewann die Wahlen, weil seine Wähler ihm glauben, dass er es ernst | |
meint, wenn er verspricht, dass er die korrupten Strukturen aus Politik, | |
Wirtschaft, Justiz und organisiertem Verbrechen, die sich wie ein Netz um | |
den Staat gesponnen haben, zerschlagen wird. Sie wollen es ihm glauben, | |
denn irgendjemand muss ja das Land aus dem Morast führen, der in den | |
vergangenen 25 Jahren immer tiefer geworden ist. Da wird selbst die | |
Polizei, die maskiert und bewaffnet Vertreter der dritten Gewalt in | |
Handschellen abführt, zum Hoffnungsträger einer „anständigen“ Slowakei. | |
„Anständig“ ist das Zauberwort, mit dem die Slowaken das Land beschreiben, | |
in dem sie in Zukunft gerne leben möchten. Was an der Slowakei unanständig | |
ist, hatte der Mord an [2][Ján Kuciak] brutal offengelegt. Innerhalb der | |
mafiösen Strukturen des Landes wird seit jeher vor sich hin gemordet, mal | |
mehr, mal weniger öffentlich. Aber Kuciak war ein junger Journalist und | |
seine Verlobte Martina Kušnírová nur zur falschen Zeit am falschen Ort. In | |
dem Moment, als man ihre Leichen fand, wurde den Slowaken schlagartig klar, | |
dass es jede und jeden treffen könnte. Dass der mafiöse Klüngel aus | |
Politik, Wirtschaft und Justiz nach Belieben über Leben und Tod richten | |
kann. Da reichen schon ein paar Chat-Nachrichten und 50.000 Euro. Zwei | |
Jahre später ist klar: Die Schüsse waren der Startschuss für eine neue | |
Etappe in der Landesgeschichte. | |
Bislang gleicht diese einer Endlos-Fernsehserie um Macht und Geld. Die | |
erste Folge nennen wir einfach „Mečiar“, nach dem ersten | |
Ministerpräsidenten der unabhängigen Slowakei, von 1993 bis 1998 im Amt. | |
Sie nahm ihren spektakulären Auftakt am 29. April 1996 an der Kreuzung | |
einer Ausfallstraße am westlichen Stadtrand von Bratislava, als dort um | |
22.15 Uhr ein BMW in die Luft flog. Sein Fahrer, der 25-jährige Richard | |
Remiáš, war sofort tot. Der Ex-Polizist musste sterben, weil er zu viel | |
über die Rolle des slowakischen Nachrichtendienstes SIS bei der Entführung | |
des Sohnes des damals amtierenden Präsidenten drei Jahre zuvor wusste. | |
Die erste Staffel dieser Serie endete im Frühjahr 2018 genauso brutal, wie | |
sie 22 Jahre zuvor begonnen hatte: mit dem jungen Journalisten Ján Kuciak | |
und seiner Freundin Martina Kušnírová werden die mafiösen Strukturen | |
offengelegt, die sich im Lauf der 15 Jahre langen, dreiteiligen Folge | |
„Fico“ wie ein Netz um den Staat gelegt hatten. | |
## Geld und Morde | |
Die Zeit zwischen den Auftragsmorden birgt alles, was so eine Serie bietet: | |
Geld und Macht, Glanz und Schönheit, Intrige und Verrat, [3][Betrug und | |
Korruption], Bandenkriege, mehr Entführungen, mehr Auftragsmorde. Und | |
zwischendurch wird mal ein Ex-Minister erschossen. Oder ein ehemaliger | |
Verfassungsrichter. Es ist ein wilder Osten, verborgen hinter der | |
westlichen Fassade des mitteleuropäischen Wirtschaftstigers. | |
Wenn die Slowakei eine Fernsehserie wäre, könnte man die erste Staffel | |
„Wilder Osten West“ nennen: Dallas an der Donau, nur sind es nicht | |
Ölbarone, sondern Finanzfürsten, die morgens mit dem Hubschrauber von ihrem | |
Anwesen in den Weißen Karpaten zur Arbeit in den eigenen Bürotürmen gleich | |
neben der Altstadt von Bratislava fliegen. Ein House of Cards, in dem sich | |
das Spiel weniger um Politik als um Profit dreht. Aber immer um Macht. Die | |
Hauptrolle müsste dabei einfach den Werdegang des Marián Kočner darstellen. | |
Der war immer dabei in den letzten 25 Jahren, mal im Vordergrund, wie im | |
Streit um den Fernsehsender Markíza oder als Bürgermeisterkandidat in | |
Bratislava 2006, mal im Hintergrund. Als Auftraggeber ließ Kočner erst | |
beschatten, und irgendwann, als er jeden kannte und viele in der Tasche | |
hatte, fühlte er sich unverwundbar und ließ zwei junge Menschen erschießen. | |
Damit hat Kočner eine Grenze überschritten und eine Entwicklung in Gang | |
gesetzt, die in den Nationalratswahlen einen vorläufigen Höhepunkt fand. | |
Wahlsieger Igor Matovič ist seit zehn Jahren in der Politik und gilt als | |
Entertainer und Enfant terrible zugleich. Und vor allem als eins: | |
unberechenbar. Der 46-Jährige ist die slowakische Version des unpolitischen | |
Politik-Quereinsteigers, dessen Erfolg beim Wähler wächst, je mehr die | |
Legitimität der traditionellen Parteipolitik schwindet. Matovič gibt sich | |
streng konservativ, weil zwei Drittel der Slowaken sich als konservativ | |
bezeichnen. Mit seinen Happenings hat er sich das Image eines neuzeitlichen | |
Janošík gegeben. Der slowakische Nationalheld nahm den Reichen, gab den | |
Armen und trotzte der Obrigkeit: Drei Tage soll Janošík an dem Haken, an | |
dem er der Legende nach an der Rippe aufgehängt wurde, noch frech Pfeife | |
geraucht haben. | |
Nicht ausgeschlossen, dass Igor Matovič anfangen würde, Pfeife zu rauchen, | |
um sein Image als moderner Janošík zu unterfüttern. Er ist ein | |
Marketingprodukt, das gezielt die derzeitige Nachfrage in der Slowakei | |
erfüllt, ein neues, anständiges Kapitel in der Geschichte des Landes zu | |
eröffnen. Wie das dann aussieht, muss sich erst zeigen. Die designierte | |
Regierung setzt auch auf neoliberale Pragmatiker wie Richard Sulík und ein | |
zivilgesellschaftliches Element, das die kleine „Für die Menschen“-Partei | |
mit in die Koalition bringt. Mit dem Populisten Boris Kollar sitzt | |
allerdings auch ein Vertreter der alten Strukturen mit am Tisch. Ob die | |
Slowakei unter der Matovič-Regierung “anständig“ wird oder ob sie sich | |
unanständig neu definiert – Fortsetzung folgt. | |
12 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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