# taz.de -- Gewalt gegen Muslime in Neu-Delhi: Viele Tote bei Übergriffen | |
> In Indiens Hauptstadt eskaliert die Gewalt bei Protesten. | |
> Hindunationalistische Demonstranten attackieren Muslime, die Polizei | |
> greift erst spät ein. | |
Bild: Muslimische Frauen in Delhi beobachten sorgenvoll die Ereignisse auf der … | |
MUMBAI taz | Mit Metall- und Holzstangen bewaffnet Männer streifen durch | |
die Straßen. Sie schlagen auf Menschen und Gebäude ein. Es sind enthemmte | |
Szenen voller Gewalt, die in indischen Medien und auf | |
Social-Media-Plattformen kursieren. Sie zeigen, wie die Situation seit | |
Sonntagabend zwischen hindunationalistischen Demonstranten für und meist | |
muslimischen Demonstranten gegen das [1][umstrittene neue | |
Staatsbürgerschaftsgesetz CAA] in der Hauptstadt eskaliert ist. Dabei | |
wurden muslimische Viertel angegriffen, Moscheen in Brand gesetzt und | |
JournalistInnen bedroht. | |
Mindestens 25 Todesopfer forderten die Ausschreitungen im Nordosten der | |
Hauptstadt, wo viele Muslime leben. 200 Menschen wurden verletzt, wie die | |
[2][Times of India] berichtete. | |
Die Rede ist von den schlimmsten Ausschreitungen in Delhi seit Jahrzehnten. | |
Schulen wurden geschlossen, über Teile der Stadt wurde der Ausnahmezustand | |
verhängt. Menschen flohen aus ihren Vierteln aus Furcht vor Gewalt. | |
Auch am dritten Tag in Folge schien die Lage noch nicht voll unter | |
Kontrolle zu sein. Am Mittwoch wurde die Zahl der Toten mehrfach nach oben | |
korrigiert. | |
## Provokationen heizen Gewalt an | |
Ausgelöst wurden die Auseinandersetzungen mutmaßlich durch Provokationen | |
des Politikers Kapil Mishra von der regierenden hindunationalistischen | |
Volkspartei (BJP). Er hatte am Sonntag nach Angaben der Zeitung [3][Indian | |
Express] Muslimen, die aus Protest gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz eine | |
Straße in der Nähe der U-Bahn-Station Jaffrabad im Nordosten Delhis | |
blockierten, mit gewaltsamer Räumung gedroht. | |
Bei den seit Dezember anhaltenden Protesten kam es bereits unmittelbar vor | |
dem Besuch von US-Präsident Donald Trump zur Gewalt. | |
Nachdem sich [4][Trump mit Indiens Premierminister Narendra Modi am Montag | |
im neuen Cricket-Stadion von Ahmedabad] feiern ließ, [5][wechselten die | |
Berichte der Nachrichtensender plötzlich zu den Gewaltszenen in Delhis | |
Nordosten.] | |
Die Proteste gegen das Einbürgerungsgesetz CAA waren erneut in Gewalt | |
umgeschlagen. Hinter Rauchwolken waren flüchtende Menschen zu sehen. Ein | |
Mann schoss auf einen Polizisten. | |
## Delhis Regierungschef weitgehend machtlos | |
Der Regierungschef der Hauptstadt Delhi, Arvind Kejriwal von der | |
oppositionellen Partei AAP, brauchte etwas Zeit, um die richtigen Worte zu | |
finden. Am Dienstag äußerte er seine Besorgnis und rief zu Frieden auf. | |
Viele fanden sein Handeln angesichts des Ausmaßes der Gewalt zu zögerlich. | |
Doch beklagt wurden auch Versäumnisse bei Delhis Polizei. Die untersteht | |
aber nicht Kejriwal, sondern dem Innenminister der Zentralregierung, dem | |
BJP-Politiker Amit Shah. | |
Sonia Gandhi, die Vorsitzende der oppositionellen Kongresspartei, fordert | |
Shahs Rücktritt. Vonseiten des Obersten Gerichts hieß es am Mittwoch zu den | |
Ausschreitungen, das Problem sei die mangelnde Professionalität der Polizei | |
und deren fehlende Unabhängigkeit: „Hätte die Polizei in Übereinstimmung | |
mit dem Gesetz gehandelt, wären viele der Probleme nicht aufgetreten.“ | |
Inzwischen wurden fünf Polizeioffiziere versetzt. | |
## Déjà vu-Erlebnis | |
Die Partei NCP, eine Abspaltung der Kongresspartei, verglich die | |
Ausschreitungen in Delhi mit jenen vor 18 Jahren in Gujarat unter dem | |
damals dortigen Provinz-Ministerpräsidenten Modi. 2002 starben bei den | |
antimuslimischen Pogromen über 1.000 Menschen, 200 gelten als vermisst. | |
Damals griff die Polizei nicht oder erst sehr spät ein. NCP-Sprecher Nawab | |
Malik beschuldigte auch jetzt die Polizei in Delhi beim Ausbruch der Gewalt | |
zugesehen zu haben. | |
Premierminister Modi meldete sich erst nach Trumps Abreise per Twitter zu | |
Wort: „Frieden und Harmonie stehen im Mittelpunkt unseres Ethos. Ich | |
appelliere an meine Schwestern und Brüder in Delhi, jederzeit Frieden und | |
Brüderlichkeit zu wahren.“ | |
Manche sehen die Gewalt als demonstrativen Machtakt vor allem extremer | |
Hindus, der zeigen soll, das selbst bei hohem Besuch religiös motivierte | |
Ausschreitungen möglich sind. Oder wurde Modi gar selbst von der Eskalation | |
überrascht? | |
Weil der perfekt inszenierte zweitägige Staatsbesuch so aufwändig | |
organisiert worden war, verwundert es, dass dieser so sehr von der Gewalt | |
überschattet werden konnte. [6][Trump bekam seine Show in Indien], doch | |
Modi wurde die Show gestohlen. Verloren hat der gesellschaftliche | |
Zusammenhalt. Hardliner beider Seiten dürften sich gestärkt fühlen. | |
Anm. d. Red.: In einer frühen Version dieses Textes hieß es, dass Muslime | |
Hindus angegriffen hätten. Tatsächlich handelte es sich um | |
hindunationalistische Attacken auf Muslime. Hindunationalismus ist eine | |
Hassideologie, die dem europäischen Rechtsextremismus bzw. dem Islamismus | |
strukturell ähnlich ist. | |
26 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Staatsbuergerschaftsgesetz/!5647272 | |
[2] https://timesofindia.indiatimes.com/city/delhi/delhi-violence-live-news-upd… | |
[3] https://indianexpress.com/article/cities/delhi/kapil-mishra-delhi-police-ca… | |
[4] /US-Praesident-in-Indien-gefeiert/!5665785 | |
[5] /Proteste-gegen-Einbuergerungsgesetz/!5666715 | |
[6] /Der-US-Praesident-in-Indien/!5665708 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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