# taz.de -- Türkei startet Syrien-Offensive: „Operation Frühlingsschild“ | |
> Das türkische Militär drängt die syrische Armee in Idlib zurück. Russland | |
> greift nicht dagegen ein. Ein Gipfeltreffen in Moskau ist geplant. | |
Bild: Das war der Auslöser: Trauer um die 36 getöteten türkischen Soldaten v… | |
BERLIN taz | Die türkische Armee hat am Sonntag eine lang angekündigte | |
Offensive gegen die syrischen Regierungstruppen in der Provinz Idlib | |
gestartet. Die „Operation Frühlingsschild“ soll die syrische Armee in Idlib | |
auf Stellungen zurückdrängen, die südlich der türkischen Beobachtungsposten | |
liegen. Durch den Vormarsch der syrischen Regierungsarmee gegen die | |
Rebellen in Idlib in den vergangenen Wochen waren sechs der zwölf | |
Beobachtungsposten hinter die syrischen Linien geraten. | |
Ziel der Operation, sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar | |
am Sonntag in einer Fernsehansprache, sei es, „die Massaker des Regimes zu | |
beenden und eine Flüchtlingswelle zu verhindern“. Laut Akar zerstörte die | |
türkische Armee Dutzende syrische Panzer, Hubschrauber und Haubitzen. | |
Außerdem habe sie 2212 syrische Soldaten „neutralisiert“. | |
Offizielle syrische Stellen bestätigten Verluste und vermeldeten den | |
Abschuss zweier syrischer Kampfflugzeuge. Bereits am Samstag hatte die | |
türkische Armee nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für | |
Menschenrechte in London mehr als 70 syrische Soldaten getötet und etliche | |
Militäreinrichtungen zerstört. Nach türkischen Angaben gehört dazu auch | |
eine Chemiewaffenfabrik bei Aleppo, was die syrische Regierung allerdings | |
vehement bestreitet. | |
Am Samstagabend hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erstmals | |
seit dem verheerenden Luftangriff von Donnerstagnacht, bei dem [1][36 | |
türkische Soldaten getötet] worden waren, öffentlich Stellung genommen. | |
Drohnen und Artillerie hätten Stellungen um die strategisch wichtige Stadt | |
Sarakib an der Autobahn, die Damaskus mit Aleppo verbindet, angegriffen, | |
nach [2][Sarakib von Rebellen erobert] worden war. Außerdem seien syrische | |
Truppen bei Maarat al-Numan bombardiert worden. Erdogan behauptete, dabei | |
seien 300 Militärfahrzeuge zerstört worden, darunter 90 Panzer. | |
Auch wenn diese Angaben übertrieben sein sollten, wie so häufig, ist der | |
türkischen Armee offenbar ein erfolgreicher Gegenangriff gelungen. Möglich | |
wurde das, weil die russische Luftwaffe nicht eingriff. Auch die russische | |
S-300-Luftabwehr in Syrien wurde nicht aktiviert, was den Einsatz der | |
türkischen Kampfbomber und Drohnen über Idlib ermöglichte. Nach dem Angriff | |
von Donnerstagnacht hatte der russische Präsident Wladimir Putin verfügt, | |
dass die russischen Truppen in Idlib sich neutral verhalten sollten. | |
## Atempause für die Flüchtlinge | |
Die russische Zurückhaltung und die türkischen Angriffe verschaffen den | |
Zivilisten und Flüchtlingen in Idlib erst einmal eine kurze Atempause. Von | |
den rund 3 Millionen Einwohnern der Provinz sind nach UN-Angaben [3][mehr | |
als 1 Million auf der Flucht]. Die meisten von ihnen haben sich in | |
Notunterkünften oder mit Zelten entlang der türkischen Grenze eingefunden. | |
Die Situation ist katastrophal, Hilfstransporte der UNO kamen in den | |
letzten Wochen nur noch vereinzelt über die Grenze. | |
Parallel zu den Kämpfen gab es in den letzten Tagen intensive Gespräche | |
zwischen russischen und türkischen Delegationen über einen erneuten | |
umfassenden Waffenstillstand in Idlib. Am Samstagnachmittag verkündeten | |
Vertreter der Außen- und Verteidigungsministerien beider Länder, sie hätten | |
sich auf eine Deeskalation in Idlib verständigt. Dabei seien sich beide | |
Seiten einig gewesen, dass der Kampf gegen „Terroristen“ weitergehen soll. | |
Damit sind vor allem die islamistischen Milizen der [4][Hayat Tahrir | |
al-Sham (HTS)] gemeint, die sich früher als Vertreter von al-Qaida in | |
Syrien ausgaben und heute den größten Teil des Rebellengebietes in Idlib | |
kontrolliert. Die Türkei hat die Islamisten in den letzten Wochen massiv | |
aufgerüstet, etwa mit tragbaren Luftabwehrraketen. Seit langem beklagt | |
Moskau, dass die Türkei ihre Verpflichtung zur Entwaffnung sogenannter | |
terroristischer Gruppen gemäß dem Waffenstillstandsabkommen zur Bildung | |
einer Deeskalationszone in Idlib nie eingehalten hat. Gleichzeitig haben | |
sich aber auch die Assad-Truppen nie an den Waffenstillstand gehalten. | |
Das dürfte nun auch das Hauptthema bei dem für Donnerstag oder Freitag | |
dieser Woche angekündigten Treffen zwischen den Präsidenten Russlands und | |
der Türkei sein. Erdogan fliegt mit westlicher Rückendeckung nach Moskau. | |
Die Nato hatte auf einer Sondersitzung am Freitag ihre Solidarität mit der | |
Türkei betont und die USA machten auf einer Sondersitzung des | |
UN-Sicherheitsrates Freitagnacht klar, dass sie notfalls die Türkei bei | |
ihrer „Selbstverteidigung“ in Syrien auch militärisch unterstützen werde. | |
1 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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