# taz.de -- Streiten in Gemeinschaften: Wir, die Anderen | |
> Sich innerhalb der Community zu streiten, ist schwierig – und braucht | |
> Mut. Denn dieser Rückzugsort ist sehr wichtig. | |
Bild: Wie schön, wenn wir einander ein Safe Space sind, aber auch ein Think Ta… | |
Ich hasse Streit. Ich hasse ihn, wenn er sich anbahnt, ich hasse den Moment | |
der Entladung und ich hasse die emotionalen Nachwehen. | |
Zu Hause haben wir Konflikte nie ausdiskutiert. Wir sind verletzt | |
auseinander gegangen, haben uns auf- und wieder abgeregt und dann über so | |
Alltägliches gesprochen wie die Wochenangebote von Aldi. Die Choreografie | |
war nie zufriedenstellend, aber alles andere wäre zu anstrengend. Zu Hause | |
will man nicht wachsen müssen, sondern einfach akzeptiert sein. | |
Das Problem ist, dass man sich natürlich nicht bloß wegen Nichtigkeiten | |
streitet. Manchmal geht es um Existenzielles, um die Grundfesten dessen, | |
woran man glaubt. Solche Streits sind leichter zu ertragen, wenn man sie | |
mit einem unbekannten, feindlich gesinnten Gegenüber austrägt. Ich kann | |
besser ein sexistisches Arschloch am Tresen anpöbeln als einen alten | |
Freund. Streit tut weh, wenn wir ihn mit Menschen führen, die uns wichtig | |
sind. Also nicht nur Verwandtschaft, sondern auch andere Gemeinschaften. | |
Wir, zum Beispiel. Wer, wir? Na wir, die Anderen, die Geanderten. Es | |
braucht Mut, sich innerhalb einer Community zu streiten, die aus | |
grausamsten Anlässen dauernd zu einem Ort für Verständnis und Rückzug wird. | |
Wir geben einander offene Arme und ernstgemeinte Solidarität anstelle von | |
Relativierung und Untätigkeit. | |
## Weiter als der Mainstream | |
Wir geben einander das Netz, das uns Staat und Gesellschaft vorenthalten. | |
Aber genau deshalb gehe ich in diesem „Wir“ auch auf Zehenspitzen, obwohl | |
ich eigentlich mit dem ganzen Fuß auftreten will, meinetwegen auch mal in | |
ein Fettnäpfchen. Ich fürchte mich, eine fragile Zugehörigkeit zu | |
verspielen. Weil ich uns brauche. | |
Dabei kennen wir uns kaum, da ist viel Projektion: Wir sind die, die nicht | |
bei null anfangen. Wir sind woke, weiter als der Mainstream. Wir müssen | |
unsere Existenz voreinander nicht rechtfertigen. [1][Wir müssen einander | |
nicht erklären, woher wir wirklich kommen.] Wir haben Nation als Konzept | |
überwunden. Wir debattieren weder über das N-Wort, noch über gendergerechte | |
Sprache. Wir sind fehlbar, aber wir reflektieren unsere Privilegien. Wir | |
können uns von unserer Wut erzählen, wenn Rassisten wieder Menschen | |
ermorden und die Welt einfach weitermacht. Wir sind gemeinsam, aber nicht | |
gleich. Wir sind schon immer zu groß für ein Wort aus drei Buchstaben. | |
Weil wir alle so viel mehr sind als dieses gemeinsame wir, ist nicht alles | |
davon für uns alle gleichermaßen wahr. Das ist okay, wenn es um | |
Nichtigkeiten geht, aber es tut weh, wenn es an Grundfesten rüttelt, wie | |
immer. Wie geht das, im Diversen divers sein? Vielleicht geht es nur mit | |
Wachstumsschmerz. [2][Wie schön, wenn wir streiten und daran wachsen.] Wenn | |
wir einander ein Safe Space sind, aber auch ein Think Tank oder ein | |
Boxring. Streit macht zu viel kaputt, wenn wir ihn dort führen, wo wir | |
ausruhen und heilen müssen. | |
Das können wir uns nicht leisten. Also hilft nur mehr Platz. Und wenn uns | |
dieser Platz nicht gegeben wird, müssen wir ihn uns eben nehmen. | |
8 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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