| # taz.de -- Rassismus in Bus und Bahn: Die Stille nach dem Standardsatz | |
| > Immer wieder werden Reisende von Mitarbeiter:innen des ÖPNV rassistisch | |
| > beleidigt. Unternehmen setzen auf die Erzählung vom Einzelfall. | |
| Bild: Behandlung zweiter Klasse bekommen vor allem nichtweiße Kund:innen der D… | |
| Er wollte eigentlich nur von A nach B kommen. Benjamin Vorhölter, 34 Jahre | |
| alt und Redakteur beim Reservistenverband der Bundeswehr, sitzt Mitte | |
| Januar in der Regionalbahn RB26 auf dem Weg zum Kölner Hauptbahnhof, als er | |
| einen Streit zwischen einer Gruppe junger Schwarzer Männer und einer | |
| Zugbegleiterin mitbekommt. Die Fahrgäste haben kein Ticket, zwischen Bonn | |
| und Köln werden sie gebeten, den Zug zu verlassen. | |
| Als sich die Zugtüren hinter den Männern schließen, hört er die | |
| Zugbegleiterin rassistisch schimpfen. An den exakten Wortlaut kann sich | |
| Vorhölter nicht erinnern – in seinem Beschwerdebrief an die private | |
| Mittelrheinbahn vom 12. Januar, den er auch an die taz weiterleitet, | |
| zitiert er die Zugbegleiterin sinngemäß: „Für die bräuchte man eine | |
| Kalaschnikow“ und „Für solche muss eine Panzerfaust her“. | |
| Vorhölter sagt, er habe auch schon im Zug seinen Unmut geäußert, was die | |
| Schaffnerin aber überhört habe. „Ich möchte nicht noch einmal in einem Zug | |
| mitfahren [1][und das Gefühl haben, erst überlegen zu müssen, ob man jetzt | |
| einschreitet oder nicht]“, schreibt er. Er fordert, dass der Vorfall | |
| aufgeklärt wird und dass das Unternehmen Maßnahmen zur Sensibilisierung | |
| einleitet. | |
| Was Vorhölter als Zeuge zur Beschwerde gebracht hat, beklagen Betroffene | |
| auch regelmäßig in den sozialen Medien. Das Spektrum der Beleidigungen von | |
| BIPoCs seitens Bahnangestellter reicht dabei von subtilen Kommentaren bis | |
| zu offenen Beschimpfungen. Hin und wieder schafft es ein Vorfall auch in | |
| die Medien, wenn bekannte Persönlichkeiten damit an die Öffentlichkeit | |
| gehen. So im vergangenen Dezember, als ARD-Moderatorin Shary Reeves auf | |
| Twitter und später auch gegenüber der Presse berichtete, wie eine | |
| Schaffnerin im ICE von Frankfurt nach Köln sie im Gang darauf hingewiesen | |
| habe, dass sich Reeves in der ersten Klasse befinde – und dass dahinter | |
| auch keine zweite Klasse mehr komme. | |
| ## Nur nicht „Rassismus“ sagen | |
| Das Presseteam der Deutschen Bahn reagierte schnell: Unter dem Tweet von | |
| Reeves stand fünf Minuten später: „Die Wortwahl ist vielleicht etwas | |
| unglücklich, die Kollegin im Zug hat es bestimmt nicht so gemeint.“ Reeves | |
| insistierte: Die Kollegin habe es genau so gemeint. „Ungenügender Umgang | |
| ihrerseits“ schrieb sie. „Leider künftig mein schlechtestes Beispiel in | |
| ‚coming up‘ Talkshows“. Die Bahn steuerte nach, es folgte der Standardsat… | |
| der regelmäßig unter Onlinebeschwerden zu finden ist: „Kulturelle | |
| Vielfalt, Offenheit, Toleranz und Respekt sind Grundwerte der Deutschen | |
| Bahn. Diskriminierende Äußerungen widersprechen diesen Unternehmenswerten.“ | |
| Benjamin Vorhölter hingegen erhält von der Transregio, Betreiber der | |
| Mittelrheinbahn, erst mit einiger Verzögerung eine Antwort. Sie nähmen den | |
| Vorfall ernst, versichert ein Sprecher. Es werde aber dauern, bis man den | |
| Fall intern aufklären und gegebenenfalls arbeitsrechtliche Konsequenzen | |
| einleiten könne. Den Begriff Rassismus meiden beide Unternehmen. Von der | |
| taz darauf angesprochen, folgt Standardsatz Nummer zwei: „Die DB ist ein | |
| Spiegel der Gesellschaft.“ Mit 200.000 Beschäftigten aus über 150 Nationen | |
| sei der Betrieb so bunt wie die 7,3 Millionen Reisenden, die täglich mit | |
| der DB unterwegs seien. | |
| ## Schulungen zu teuer? | |
| Will heißen: Rassismus kann überall vorkommen. Ein bisschen klingt aber | |
| auch durch: So divers, wie das Unternehmen ist, kann es kein Problem mit | |
| Rassismus geben. Das Schulungsangebot, schreibt die DB, belaufe sich auf 48 | |
| Stunden Deeskalationstraining im Jahr, in denen Mitarbeiter:innen lernten, | |
| Situationen richtig einzuschätzen und zu entschärfen. „Das ist | |
| Risikomanagement“, sagt Anne-Gela Oppermann, Vorstandsmitglied des | |
| Beratungsvereins „Eine Welt der Vielfalt“ und Diversity-Trainerin. | |
| Seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten | |
| sei, vermieden die Unternehmen – ob innerhalb des Betriebs oder im | |
| Kundenkontakt – Schlagwörter wie Rassismus, um Klagen zu verhindern. Das | |
| gilt nicht nur für den Personentransport: Das Gesetz ist die einzige | |
| bindende Grundlage für den Umgang mit Diskriminierung in der | |
| Privatwirtschaft. Gegen jede weitere Form staatlicher Regulierung wehrten | |
| sich die Verantwortlichen, sagt Oppermann. | |
| „ ‚Skeptisch‘ ist das falsche Wort“, kommentiert sie den Blick der Konz… | |
| auf das Thema Diversity. „Aber bei der Frage nach den Ressourcen, die man | |
| in die Hand nehmen will, steht Vielfalt eben nicht ganz oben auf der | |
| Agenda.“ Persönliche Schulungen sind ihrer Ansicht nach zwar immer noch das | |
| beste Mittel, einen kulturellen Wandel herbeizuführen – aber auch teuer und | |
| ein Eingriff in die Unternehmensstruktur. | |
| „Eine Welt der Vielfalt“ oder auch der Verein Phoenix erhalten daher nur | |
| selten Anfragen von Unternehmen. Viel häufiger betreuen sie gemeinnützige | |
| Organisationen oder Verwaltungsbehörden, da die Gesetzgebung im | |
| öffentlichen Dienst um einiges strenger ist als in der Privatwirtschaft. | |
| Statt einer gesetzlichen Verpflichtung hat sich – ebenfalls 2006 – eine | |
| Liste von Unternehmen mit der sogenannten „Charta der Vielfalt“ eigene | |
| Standards gesetzt, eine staatlich geförderte Initiative unter | |
| Schirmherrschaft Angela Merkels. | |
| Auch die Deutsche Bahn hat diese Charta unterzeichnet – und beruft sich | |
| darauf, wenn sie nach Maßnahmen gegen Rassismus gefragt wird. Bloß: Niemand | |
| prüft, ob die Unternehmen ihre Standards auch einhalten, auch nicht der | |
| Verein selbst, der hinter der Charta steht. Auf Anfrage schickt die DB eine | |
| Liste von Angeboten gegen Diskriminierung: Qualifizierungsprogramme für | |
| Geflüchtete, ein Imagefilm für Toleranz zusammen mit dem Fußballverein | |
| Hertha BSC, ein „DB Award“ für Mitarbeiter:innen, die sich gesellschaftlich | |
| engagieren. | |
| „Man ist sich des Problems schon bewusst“, sagt Eberhard Podzuweit von der | |
| EVA-Akademie, Bildungs- und Beratungsgesellschaft der Verkehrsgewerkschaft | |
| EVG. Nur die richtigen Mittel seien noch nicht gefunden. Podzuweit | |
| organisiert jedes Jahr mehrere Gedenkstättenfahrten in ehemalige | |
| Konzentrationslager für Bahn-Auszubildende und weiß aus Erfahrung: [2][Bis | |
| solche Maßnahmen politischer Bildung durchgesetzt werden, braucht es Zeit] | |
| und engagierte Leute auf den richtigen Posten. | |
| Die Nachfrage nach den freiwilligen Fahrten ist groß, die zur Verfügung | |
| stehenden Plätze reichen bei Weitem nicht aus. Vertreter:innen der Bahn und | |
| der EVG zeigen sich problembewusst. Was genau aber dieses Problem umfasst, | |
| wen es betrifft und vor allem wie man es benennen soll, das bleibt unklar. | |
| Nur in einem Punkt herrscht Einigkeit: Es handelt sich um Einzelfälle. | |
| „99,9 Prozent der Kollegen haben eine gesunde, also menschenwürdige | |
| Einstellung zu dem Thema“, sagt Marco Rafolt von der EVG. „Und die | |
| restlichen 0,1 Prozent bringen uns dann negative Schlagzeilen.“ Um diese | |
| Ausnahmen müsse sich die DB besser kümmern. Rafolt war selbst lange | |
| Zugbegleiter, heute ist er Fachkoordinator für Bildung und Digitalisierung | |
| und sitzt außerdem im Aufsichtsrat der DB-Sicherheit. | |
| Für die Haltung der Deutschen Bahn findet der Gewerkschafter fast nur | |
| positive Worte. „Der Konzern positioniert sich klar“, sagt er. Bei | |
| Vorfällen werden die entsprechenden Mitarbeiter:innen schnell „zur Seite | |
| genommen“. Schulungen zu interkulturellem Verständnis täten der Bahn | |
| dennoch gut, räumt er ein. Dabei geht es ihm aber weniger um die | |
| Auseinandersetzung mit rassistischem Gedankengut als um Unsicherheiten im | |
| Umgang mit fremden Kulturen. Und das betreffe Zugbegleiter:innen ebenso wie | |
| beispielsweise Geflüchtete, die als Reisende mit den Verhaltensregeln in | |
| deutschen Bahnen überfordert seien. „Da braucht es mehr Austausch“, fasst | |
| es Rafolt zusammen. | |
| ## Ein anderes Verständnis | |
| Was bei den Gesprächen deutlich wird: „Risikomanagement“ hat nicht nur | |
| etwas mit AGG-Klagen zu tun. Wo der Begriff Rassismus vermieden werden | |
| kann, ersetzen ihn – mal mehr, mal weniger bewusst – Themen wie | |
| interkulturelles Verständnis, Migration und Staatsangehörigkeit. Das wird | |
| auch im Kontakt mit der Deutschen Bahn deutlich: So bezieht sich | |
| beispielsweise eine Sprecherin des Unternehmens immer wieder auf | |
| „Nichtdeutsche“, die von rassistischen Beleidigungen betroffen seien. Dabei | |
| ging es in dem Gespräch um Übergriffe auf Menschen aufgrund ihrer | |
| Hautfarbe. | |
| „Das rechtliche Verständnis von Rassismus ist ein anderes als das, was | |
| viele BIPoCs als Alltagsrassismus erleben“, sagt Diversity-Trainerin | |
| Oppermann. Da passt es in das Bild, wenn das DB-Pressteam von | |
| Missverständnissen spricht, bei denen Aussage gegen Aussage stünde. Und es | |
| erklärt, warum es selten zu einer Aufklärung im Einzelfall kommt. | |
| „Mit der rechtlichen Ahndung nähern wir uns dem Thema nur von einem Ende“, | |
| sagt Oppermann. Womit sich der Kreis zur Sensibilisierungsarbeit schließt, | |
| um Fahrgästen künftig rassistische Kommentare und Beleidigungen zu | |
| ersparen. Für die Bahn als „Spiegel der Gesellschaft“ dürfte das erst rec… | |
| gelten. | |
| 9 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /ICE-Fahren-im-Ruheabteil/!5644335 | |
| [2] https://www.derwesten.de/panorama/deutsche-bahn-entsetzen-ueber-durchsage-i… | |
| ## AUTOREN | |
| Helena Weise | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ÖPNV | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Kolumne Chinatown | |
| antimuslimischer Rassismus | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Rechtsextremismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kritik an Werbebroschüre: Gut gemeint, aber klischeehaft | |
| Die Koordinationsstelle Sprache des Landes Bremen muss sich nach der | |
| Herausgabe einer Werbebroschüre mit Rassismusvorwürfen auseinandersetzen. | |
| Streiten in Gemeinschaften: Wir, die Anderen | |
| Sich innerhalb der Community zu streiten, ist schwierig – und braucht Mut. | |
| Denn dieser Rückzugsort ist sehr wichtig. | |
| Antimuslimischer Rassismus: Der ganz normale Hass | |
| Die Verachtung von Muslim:innen ist alltäglich. Nicht erst in Hanau hatte | |
| sie mörderische Konsequenzen. Es liegt an uns allen, daran etwas zu ändern. | |
| Polizeiforscher über rechte Polizisten: „Es fehlt eine Fehlerkultur“ | |
| Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke spricht über das Mindset von | |
| deutschen Polizeibeamten. Er fordert mehr politische Bildung in der | |
| Polizei. | |
| Integrationsgipfel im Kanzleramt: Gegen rechts als „Chefinnensache“ | |
| Der Kampf gegen rechts dominiert auch den Integrationsgipfel. | |
| Migrantenverbände wollen Antirassismus im Grundgesetz verankern. |