# taz.de -- Berliner Grüne: Hopp oder Pop? | |
> Im Herbst entscheiden die Grünen darüber, mit wem sie 2021 in die Wahlen | |
> zum Abgeordnetenhaus gehen. Wer wird's? | |
Bild: Ramona Pop und Antje Kapek in einer Abgeordnetenhaussitzung im November 2… | |
Berlin taz | Es wird so langsam ernst: In einem zentralen Antrag für ihren | |
nächsten Parteitag Ende März bereiten die Grünen eine große politische | |
Veränderung in Berlin vor. Im Herbst, so steht es in dem jetzt verbreiteten | |
Papier, „wollen wir Grünen in einer Landesmitgliederversammlung darüber | |
entscheiden, in welcher Formation und mit welchem Spitzenpersonal wir in | |
die Wahl gehen“. Einfacher gesagt: Am 28. November soll klar sein, ob | |
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop oder Fraktionschefin Antje Kapek 2021 mit | |
gewisser Wahrscheinlichkeit erste grüne Regierende Bürgermeisterin des | |
Landes und erste Frau in diesem Amt überhaupt wird. | |
Bei den so oft Teilhabe und Partizipation betonenden Grünen darf das | |
natürlich nicht so einfach im Text stehen. Dabei ist die Formulierung, | |
wonach zu klären ist, „in welcher Formation“ man antrete, genauso eine | |
Mogelpackung wie das gegenwärtige mantrahafte CDU-Gerede vom „Team“, das | |
angeblich die Christdemokraten führen soll. Bei den Grünen legt der Begriff | |
„Formation“ ähnlich irreführend nahe, es gebe Varianten zu einer | |
Spitzenkandidatur – was nicht so ist. | |
Die Grünen haben zwar die Doppelspitze in die deutsche Politik eingebracht, | |
und die SPD hat dieses Modell jüngst übernommen. Doch die Verfassung von | |
Berlin sieht so etwas samt alternativer Formationen nicht vor: „Der Senat | |
besteht aus dem Regierenden Bürgermeister und bis zu zehn Senatoren“, steht | |
da in Artikel 55. Nur eine Person an der Spitze also, und die Möglichkeit, | |
dass eine Frau den Posten übernimmt, kennt das Gesetz rein sprachlich gar | |
nicht. Zwei gleichberechtigte Regierungschefs gab es zwar schon mal dort, | |
wo es auch einen Senat gab – aber das war im antiken Rom mit zwei Konsuln | |
an der Spitze des Staates. | |
Die Gesetzeslage samt Vorgaben für Kandidaturen stürzt die Grünen | |
regelmäßig in ein Dilemma: Ausgerechnet die Partei der Doppelspitzen muss | |
sich alle paar Jahre zu Abgeordnetenhaus- oder Bundestagswahlen für eine | |
alleinige Nummer 1 entscheiden, die ganz oben auf der offiziellen | |
Kandidatenliste steht. Das war nicht allzu relevant und durchaus mit viel | |
Team-Rhetorik zu übermalen, solange die Grünen nichts mit der Führung der | |
Regierung zu tun hatten. Und darum setzten die Grünen bei der vergangenen | |
Wahl sogar auf eine doppelte Doppelspitze, mit den jeweils zwei | |
Führungskräften aus Partei und Fraktion. | |
## In den Umfragen kommen sie auf 25 Prozent | |
Doch dieses Mal ist das anders. Die Grünen führen die Umfragen in Berlin | |
für die Abgeordnetenhauswahl, die für den Herbst 2021 vorgesehen ist, mit | |
großem Vorsprung an. In der jüngsten Umfrage kommen sie auf 25 Prozent – | |
die Linkspartei als nächststärkste erreicht bloß 17, die CDU 16, die SPD | |
gar nur 15 Prozent. Seit Oktober 2018 liegen die Grünen in Berlin vorn, | |
fast eineinhalb Jahre schon – und es ist kein Grund erkennbar, warum sich | |
das ändern sollte: Mehr Autofahrer oder über die ausbleibende | |
Mobilitätswende enttäuschte Radfahrer als bislang kann die Partei kaum noch | |
vergrätzen. Und auch Franziska Giffey als letzte Rettung der SPD verändert | |
bislang die Umfragewerte nicht. | |
Die Führung in den Umfragen währt bereits jetzt deutlich länger als vor der | |
Abgeordnetenhauswahl 2011, als die Grünen eine Zeitlang auch Hoffnungen | |
hegen konnten: Da wurden sie aber erst ein Jahr vor der Wahl stärkste | |
Partei, konnten sich aber nur viel kürzer vorne halten und lagen sieben | |
Monate später wieder dauerhaft hinter der SPD, am Wahlabend dann sogar auch | |
noch hinter der CDU. Es lässt sich also durchaus mit einer gewissen | |
Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass den Grünen 2021 in Berlin gelingt, | |
was ihre Parteifreunde in Baden-Württemberg schon 2011 schafften: die | |
Regierungszentrale zu übernehmen. | |
In Berlin braucht es dafür im Grunde kein großes Casting, keine | |
Kandidatenschau – weil die führenden und bekanntesten Grünen-Frauen seit | |
Jahren unter genauer Beobachtung der (interessierten) Öffentlichkeit ihren | |
Job machen, nämlich Fraktionschefin Kapek und Senatorin Pop, bis 2016 | |
ebenfalls lange Vorsitzende der Abgeordnetenhausfraktion. Völlig absurd | |
wäre es, wenn die so sehr auf Frauenförderung setzenden Grünen ausgerechnet | |
beim Spitzenjob ihren seit vielen Jahren bewährten weiblichen | |
Führungskräften einen Mann vorzögen. | |
## Auf dem Wölkchen mit Krönchen | |
Schon im Mai des vergangenen Jahres fragte die taz Pop, ob es ihr nicht | |
schmeichele, dass sie als Regierungschefin gehandelt wurde. Pops Antwort | |
damals: „Wer mich kennt, der weiß, dass ich weder auf rosa Wölkchen sitze | |
noch mir irgendwelche Krönchen aufsetze.“ Das braucht Pop auch gar nicht, | |
weil es im Herbst an der Partei ist, ein solches Krönchen aufzusetzen – ihr | |
oder Kapek. | |
Wer von den beiden gerade vorne liegt, lässt sich schwer ausmachen. Es gibt | |
aber Indizien. Kapek, zu Hause im – wie der gesamte Landesverband – links | |
dominierten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, war in den vergangenen Monaten | |
weit weniger in der Kritik als Pop. Und obwohl auch andere Führungskräfte | |
aus Partei und Fraktion Pops Wunsch stützen, die bisherige Auto-Messe IAA | |
als Mobilitätsplattform nach Berlin zu holen: Es war die | |
Wirtschaftssenatorin, die beim Grünen-Parteitag im Dezember als große | |
Verliererin aus einer Abstimmung dazu herausging und danach | |
verständlicherweise um ihre Fassung rang. Auch Pops pragmatische | |
Herangehensweise in Sachen Tesla-Ansiedlung vergangene Woche – „man muss | |
nicht immer gegen alles sein“ – brachte ihr Kritik ein. | |
Pop hat als Senatorin zwar formell mehr Regierungserfahrung. Aber zum einen | |
ist ihre Wirtschaftsverwaltung eines der kleinsten Senatsressorts, zum | |
anderen kann Fraktionschefin Kapek, wenn auch ohne Stimmrecht, in jeder | |
Senatssitzung mit am Tisch sitzen. Es ist auch nicht so, dass da nun | |
holzschnittartig eine Reala und über linke Kreise anschlussfähige Frau | |
einer linken Ideologin gegenüberstünde. Vor einem Monat etwa saß Kapek mit | |
CDU-Chef Kai Wegner in einem Gesprächssalon der Christdemokraten zusammen. | |
## Treffen an Bio-Wurstbuden | |
Man diskutierte, man war sich zwar nicht einer Meinung, aber per „Du“, und | |
Teilnehmern zufolge mündete das Treffen im kleinen Kreis an einer | |
Bio-Currywurstbude. Auch mit CDU-Fraktionschef Burkard Dregger, der sich | |
nach dem Thüringen-Eklat mit einer sehr misslichen Äußerung selbst in eine | |
rechte Ecke bugsierte, stand Kapek während der Parlamentssitzung am | |
Donnerstag eine Zeitlang plaudernd zusammen. | |
Ja, bis zur Abgeordnetenhauswahl sind es noch eineinhalb Jahre. Und | |
natürlich wissen die Grünen noch genau, dass 2011 ihr Vorsprung noch | |
schneller dahinschmolz als die Polkappen. Aber die Ausgangsvoraussetzungen | |
sind andere als damals, der Vorsprung dieses Mal längst über eine momentane | |
Welle wie etwa den immer langsamer werdenden „Schulz-Zug“ bei der SPD 2017 | |
hinaus. Es dürfte Zeit sein, die Landesverfassung upzudaten, und in Artikel | |
55 ein „… oder der Regierenden Bürgermeisterin“ einzufügen. Ob die Kapek | |
oder Pop heißt, braucht ja nicht im Gesetz zu stehen. | |
24 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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