| # taz.de -- Die Wahrheit: Der Fluch der guten Tat | |
| > Ist die geraubte 100-Kilo-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum von | |
| > einer gesetzlosen Omi in Umlauf gebracht worden? | |
| Bild: Die Sore vorher gründlich auszubaldowern, gehört zum Coup | |
| Die Strolche wurden verknackt. Die Erleichterung des Berliner Bürgertums | |
| war riesig. Und so füllten die Artikel über die Verurteilung der Täter | |
| prompt halbe Seiten in den Leitmedien der Hauptstadt. Ausführlich kam dort | |
| die vorsitzende Richterin zu Wort, sprach von „Dreistigkeit besonderer | |
| Güte.“ Was war passiert? Hatten die Nazis dem Neuköllner Buchhändler zum | |
| dritten Mal das Auto abgefackelt, waren Irre mit zweihundert Sachen über | |
| den Ku’damm gefahren, waren mal wieder Rasierklingen in Buddelkästen | |
| vergraben worden? | |
| Aber dann ging es doch nur um den Diebstahl der kanadischen Riesenmünze vor | |
| drei Jahren aus dem Bode-Museum. Ein Lausbubenstreich. Niemand war zu | |
| Schaden gekommen. Nur der prätentiöse Protztaler war endlich da, wo er | |
| hingehört: weg. Hundert Kilo schwer und aus reinem Gold – sinnloser, | |
| spleeniger, angeberischer geht es nicht mehr. Als ob sich Dagobert Duck und | |
| Klaas Klever gegenseitig überbieten, wer den Größten hat. Gut einen halben | |
| Meter Durchmesser maß der Taler. So ein Heiermann hoch zehn schreit | |
| geradezu danach, gemopst zu werden. | |
| Im Grunde nahmen die Strolche doch niemandem was weg. Denn wem gehörte das | |
| Ding schon? Sicher bloß wieder irgendeinem reichen Teufel, der eh schon | |
| seinen Geldspeicher wie Christo mit Riesenscheinen einwickeln kann. Wer | |
| braucht dazu noch derart großes Kleingeld? Da fehlt doch jede Demut, das | |
| ist schlicht unanständig. Der Tinnef wäre garantiert das erste, was auch | |
| ein Robin Hood geklaut hätte. Anschließend hätte er ihn einer armen Omi | |
| gegeben, damit sie sich davon beim Bäcker mal eine frische Schrippe holen | |
| kann. | |
| Natürlich müsste Robin dann mitkommen, weil die Omi den schweren Klunker im | |
| Leben nicht schleppen kann. Außerdem passt er nicht in ihre Omibörse mit | |
| dem altmodischen Clipverschluss. | |
| ## Schrippe vom Vortag | |
| „Tach, Frau Omi“, sagt die Bäckereifachverkäuferin mit routinierter | |
| Herzlichkeit. „Was darf es denn heute sein? Wie üblich: ’ne Schrippe vom | |
| Vortag?“ | |
| „Tach“, sagt die Omi und möchte bei der Frau am liebsten gleich schon eine | |
| Kampfbestellung aufgeben. Weil die aber so komisch guckt, auf Robin Hood | |
| und die Schubkarre und die Goldmünze darin mit der Fresse von Queen | |
| Elizabeth sowie dem Nennwert von einer Millionen Dollar darauf, sieht sich | |
| die Omi dann doch bemüßigt, zu erklären: „Das ist mein Zivi. Der Robin. Der | |
| hat heute mein Geld.“ | |
| Nun erst sieht sie sich um. „Ach, ich glaube, ich nehme mal so ’nen | |
| Kornzwilling.“ Die Omi zwinkert schelmisch und fühlt sich auf einmal | |
| irgendwie jung. „Heute lass ich es mal so richtig krachen.“ | |
| „Sind Sie sicher?“ Die Angestellte kennt die Omi. Sie kommt jeden zweiten | |
| Tag hierher. Nichts auf der Kante. Ostrente. „Der kostet neunundachtzig | |
| Cent?“ Das ist schon mehr eine Frage, in zweifelndem Ton gestellt. | |
| „Moment. Das ist noch nicht alles.“ Die Omi überhört die Herablassung. Sie | |
| lässt sich nicht beirren und studiert weiter ausgiebig die Auslagen. | |
| Endlich mal. Zeit hatte sie schon immer. Jetzt hat sie obendrein noch Geld. | |
| Die werden sich wundern. Sie könnte den ganzen Laden leer kaufen. „Und dann | |
| hätte ich gerne noch ein Käsekrüstchen, ein Dinkel-Rübli und ein …“, sie | |
| kneift die Augen verträumt zusammen, „… einen Filou und zwei | |
| Vollkorn-Sportler. Robin?“ | |
| „Yes, Ma’am“, sagt Robin und kippt die Schubkarre in einer | |
| Gewaltanstrengung vornüber. Mit lautem Krach fällt die Münze auf den | |
| Kachelfußboden, wobei sie mehrere Fliesen zerschlägt. „Where can I put | |
| this?“ | |
| „O Gott, was soll ich denn damit?“ Die Verkäuferin hält sich die Ohren zu, | |
| ihre Augen sind aufgerissen wie nach einem Fliegerangriff. | |
| ## Bezahlen mit Erdnüssen | |
| Die Omi seufzt. Aber das kommt jetzt nicht unerwartet. Sie hat es fast | |
| schon geahnt. Das Personal der „Bäckerei Klitschke“ hatte die Weisheit noch | |
| nie mit Löffeln gefressen. Geduldig erklärt sie: „Das ist eine Sondermünze | |
| aus Gold: eine Million kanadische Dollar. Das ist wie mit den | |
| Zehn-Euro-Gedenkmünzen aus Silber. Mit denen kann man ja auch ganz normal | |
| bezahlen.“ Die Omi merkt, wie sie nun doch langsam ein bisschen stinkig | |
| wird. Haben die noch niemals Geld gesehen? Mit was bezahlen die Kunden hier | |
| denn sonst? Mit Erdnüssen ja wohl kaum! | |
| „Ja, aber das sind ja keine Euro.“ Die Verkäuferin wehrt ab. „Das ist | |
| Fremdwährung. Devisen. Valuta. Das kann ich nicht annehmen.“ | |
| Sie wirkt ehrlich irritiert. Die Omi spürt trotzdem genau, dass das doch | |
| wieder nur so eine unverschämte Ausrede ist, weil die Besitzer dieser | |
| Bäckereifiliale wie üblich am Morgen nicht für genügend Wechselgeld gesorgt | |
| haben. Und der Kunde darf das jetzt ausbaden. Sie kennt ihre Pappenheimer. | |
| Es ist immer dasselbe. | |
| So durchsichtig ist das Ganze, dass sogar Robin Hood erahnt, worum es geht, | |
| obwohl er kein Deutsch kann. Die Bäcker sind überall gleich. Ob in | |
| Lichtenberg oder in Nottingham. Dort wollten sie ihn sogar mal hängen, nur | |
| weil er „Thingy“ gesagt hat zu einem Brötchen, das eigentlich „Rusty | |
| Crusty“ hieß. Mit Ach und Krach hat er es so gerade noch vor den Häschern | |
| des Sheriffs in den sicheren Sherwood Forest zurück geschafft. | |
| Und jetzt gibt es hier auch schon wieder nichts als Ärger. Fast wünschte er | |
| sich, er wäre nicht in das Museum eingestiegen. Er wollte doch nur ein | |
| Zeichen setzen und gleichzeitig ein gutes Werk tun. Zum Glück bahnt sich | |
| aber eine Lösung an. Mit fünfhunderttausend Stück Pflaumenkuchen in der | |
| Schubkarre verlassen die Omi und Robin Hood die Bäckerei. | |
| 26 Feb 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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