# taz.de -- Gefangenentheater in Berlin: „Da-da-da-daaaa!“ | |
> Das Gefangenentheater aufBruch hat in Kooperation mit der Philharmonie | |
> „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven auf die Knastbühne gebracht. | |
Bild: Generalprobe von „Fidelio“ in der Teilanstalt III des Männerknasts T… | |
In dem alten Zellenhaus ist es stockdunkel. „Da-da-da-daaaa!“, schallt es | |
durch den panoptischen Bau. Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie. Im | |
Scheinwerferlicht kommt ein Mann in Schlips und Kragen vom obersten | |
Geschoss die schmale Treppe hinunter. Ein windiger Advokat. Die rechts und | |
links der Treppe stehenden Gefangenen geben ihm ihre letzten Dukaten. | |
Nacheinander lösen sich zwei Insassen aus der Gruppe und beginnen nach der | |
Schicksalssinfonie zu rappen. | |
Das unabhängige Berliner Gefängnistheater aufBruch unter Regie von Peter | |
Atannasow hat hinter Gittern ein neues Stück auf die Bühne gebracht: | |
„Fidelio“, Beethovens einzige Oper, steht auf dem Programm und andere | |
Kompositionen des Meisters anlässlich von dessen 250. Geburtstag. | |
Kompositionen, „die auf besondere Weise die rebellische Weite und die | |
visionäre Kraft seines Werkes offenbaren“, wie es im Begleittext heißt. | |
Zur Generalprobe am Dienstag in der JVA Tegel ist die Presse eingeladen. | |
Alle kommenden 12 Aufführungen in den nächsten Wochen sind bereits | |
ausverkauft. 5.000 Menschen stehen bei aufBruch im Verteiler, binnen | |
eineinhalb Stunden seien alle Tickets weg gewesen, sagt die | |
Produktionsleiterin Sibylle Arndt. 75 Plätze für die Öffentlichkeit plus | |
acht für Gefangene gibt es pro Vorstellung. Kulturaufführungen inklusive | |
Proben bedeuten für die JVA Tegel einen hohen zusätzlichen Personalaufwand. | |
Alle von auswärts Kommenden werden am Eingang kontrolliert, nichts darf mit | |
reingenommen werden. | |
AufBruch feiert dieses Jahr sein 22. Jubiläum. Wie schon frühere | |
Aufführungen findet auch „Fidelio“ in dem seit fünf Jahren leerstehenden | |
früheren Langstraferhaus, TA III genannt, statt. Das frühere Zuchthaus | |
wurde 1898 gebaut. Ein Stück über Kerker und Gefangenschaft, gespielt von | |
Gefangenen vor echter Kulisse, schon das allein ist den Abend wert. | |
Im Geiste der Französischen Revolution komponiert, verhandelt Beethovens | |
Oper die Überwindung von Willkür und Tyrannei durch eine todesmutige Frau: | |
Leonore. Ihr gelingt es, als Mann verkleidet und unter dem Decknamen | |
Fidelio, ihren eingekerkerten Mann Florestan aus den Fängen des | |
Gewaltherrschers Don Pizarro zu befreien. | |
Eigentlich sei Fidelio eine Befreiungsoper, sagt Hans Dieter Schütt, | |
Dramaturg von aufBruch, vor der Aufführung. In Tegel würden keine | |
willkürlichen, sondern regulär verhängte Strafen verbüßt. „Aber auch hier | |
steht die Treue und die Kraft der Liebe über allem.“ Viele Beziehungen der | |
Inhaftierten gingen während der Haft in die Brüche. Oft habe man während | |
der Proben über das Thema Treue gesprochen. | |
Wieder ist es der Dirigent Simon Rössler von den Berliner Philharmonikern, | |
der für aufBruch die Aufführung musikalisch konzipiert hat. Studentinnen | |
und Studenten der Karajan-Akademie und Studierende der Hochschule für Musik | |
„Hanns Eisler“ sorgen für die musikalische Begleitung. Bestehend aus einem | |
Streichquartett, einer Klarinette und einem Klavier ist das Orchester | |
klein, aber fein. | |
Das Schauspielerensemble, 17 Männer, allesamt Insassen der JVA Tegel, geben | |
ihr Bestes. Es wird gespielt, gesprochen, gerappt und gesungen. Bei dem | |
Gefangenen, der den Gewaltherrscher Pizzaro darstellt, hört es sich an, als | |
sei er immer Opernsänger gewesen. Einige sind schon lange bei aufBruch | |
dabei. Wer in Tegel einsitzt, verbüßt in der Regel eine lange | |
Freiheitsstrafe. Ein kleiner, beleibter Mann mit grauen Haaren sticht | |
heraus. Viele Schauspieler haben wohl einen Migrationshintergrund, die | |
Haare sind oft kurzgeschoren. | |
Immer wieder wechselt das Publikum während der zweistündigen Aufführung die | |
Trakte. Durch dunkle Flure und über Treppen, die Galerien darüber sind | |
angestrahlt, geht es vom D-Flügel über den sogenannten Stern – die Zentrale | |
– in den B- und A-Flügel und zurück in den Stern. Mal findet das Geschehen | |
im Erdgeschoss direkt vor den Zuschauern statt, dann wieder über ihren | |
Köpfen, sodass sie nach oben blicken müssen. | |
Es gibt an diesem Abend viele Gänsehautmomente. | |
Im Seitenflügel A, der den Nazis bis 1943 als | |
Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis diente, wird als Zwischenspiel „Die | |
Geiseln“ des jüdischen Schriftstellers und Kommunisten Rudolf Leonhardt | |
aufgeführt. Zehn unschuldig zum Tode Verurteilte, jeder steht vor einer | |
alten Zellentür, haben zehn Minuten Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Oben | |
auf der Galerie wachen zwei Männer in langen SS-Mänteln. Ein türkisches | |
Liebeslied wird von zwei der zum Tode Verurteilten angestimmt. | |
Eine Reflexion über Beziehungen, Liebe und Treue bildet das Ende. | |
Nebeneinander hinter Gittern stehend spricht jeder zu sich. Mehr und mehr | |
wird das Gesagte zu einer Verteidigungsrede für ihre Frauen. „Denke nicht | |
immer nur an dich. Höre ihr zu, wenn sie dich besucht, und ermuntere sie, | |
ihren eigenen Interessen zu folgen.“ | |
19 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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