# taz.de -- Die Wahrheit: Für jeden Fuß ein Deckel | |
> Nichts ist schlimmer als empfindliche Bodenbeläge und ihre Besitzer. | |
> Letztere zwingen Partygäste nämlich, die Schuhe auszuziehen. | |
Bild: Es gibt unendlich viele Lätzchenmodelle für die Kleinen, keine Frage! | |
Letzte Woche hab ich mir beim Kochen einen Topfdeckel auf den Fuß geworfen. | |
Ja, war blöd gewesen. Bin dann auch zwei Minuten auf einem Bein durch die | |
Küche gehopst vor Schmerz. Zum Glück war der Deckel nicht heiß, und ich | |
hatte Straßenschuhe an. | |
Ich hasse das ja, wenn Leute einen zwingen, in der Wohnung die Schuhe | |
auszuziehen. Biste auf ’ne Party eingeladen, hast dich aufgebrezelt, | |
Stunden im Bad und vor dem Kleiderschrank verbracht – und das Erste, was | |
dir der Gastgeber entgegenpfeffert, ist: „Kannst du bitte deine Schuhe | |
ausziehen? Wir haben die Dielen gerade frisch geölt und der Boden ist so | |
empfindlich.“ | |
Empfindlicher Fußboden, wenn ich das schon höre. „Form follows function, my | |
friend!“, möchte ich rufen, „Wasser ist nass, der Herd ist heiß und auf | |
Fußboden wird herumgetrampelt.“ Ich war mal in einer Ferienwohnung, wo die | |
Fußbodenfliesen im Badezimmer aus irgendeinem Edelgranit waren, der nicht | |
nass werden durfte. Ich wiederhole: Nicht nass werden durfte! Froh sei, wer | |
eine Gehbehinderung hat. „Sorry“, sage ich auf solchen Partys, „Ich kann | |
ohne Schuhe nicht laufen. Du, ich hau einfach wieder ab.“ Jetzt kann man | |
einwenden, es sei doch nett, wenn Leute einen zu sich nach Hause einladen | |
und auch dazu, sich dort wie zu Hause zu fühlen. | |
Ich will mich aber nicht überall zu Hause fühlen. Zu Hause bin ich dort, wo | |
ich beim Pullern die Klotür offenlasse. Und das wollen die Gastgeber sicher | |
nicht. Wenn ich eine Party in meiner Wohnung gebe, deklariere ich privaten | |
Raum zeitweise in öffentlichen um. Und in der Öffentlichkeit gelten andere | |
Regeln: Nicht popeln, Hand aus der Hose, Tür zu uff Klo! | |
Allerdings bin ich mit einem Fußbodenfetischisten verheiratet. Wenn Paul | |
sich entspannen will, nimmt er den Staubsauger zur Hand. Wenn das nicht | |
reicht, wischt er noch mal feucht drüber. Manchmal bin ich fast | |
eifersüchtig auf unseren Fußboden. | |
Als wir ganz frisch zusammen waren, saß ich mal in seiner WG-Küche in | |
Neukölln. „Komm mal her, ich will dich küssen“, sagte ich. Paul lächelte… | |
den Topf, in dem er rührte, hielt inne, stellte die Gasflamme kleiner, nahm | |
den Löffel aus der Soße und legte ihn auf ein bereitgestelltes Brettchen. | |
Dann riss er ein Stück Küchenpapier von der Rolle ab, drehte sich zu mir | |
und wischte sich die Hände ab. | |
Als ich schon die Hände nach ihm ausstreckte, glitt sein Blick auf den | |
Küchenboden, wo er kleben blieb wie ein breitgelatschter Klecks Marmelade. | |
Dann bückte er sich und wischte mit dem zerknüllten Papier etwas weg. | |
Trotzdem lässt Paul mich in der Wohnung die Straßenschuhe anbehalten. Aus | |
Liebe. Und weil es die einzigen sind, in denen ich gut laufen kann. | |
„Und warum haben Sie sich nun den Fuß zerschmettert?“, fragte mich mein | |
Arzt am nächsten Tag. „Damit der Deckel nicht kaputtgeht“, erklärte ich. | |
„War doch ’n Glasdeckel. Außerdem haben wir Terrazzo in der Küche. Hundert | |
Jahre alt …“ Mein Fuß war zum Glück nur verstaucht. | |
18 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
## TAGS | |
Wohnen | |
Schuhe | |
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