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# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Sie! Bürger, das ist Ihre Pflicht!
> Die Angst kann die treibende Erzählkraft sein. Aber deswegen muss man
> nicht alles machen, was so ein Volkspoliztist will.
Bild: Heute haben Vopos auch Kameras, geben diese Rolle aber nur noch als Films…
Habt ihr diesen genialen Polizeiruf vom vergangenen Wochenende gesehen? Mit
Verena Altenberger als neuer Ermittlerin, die Matthias Brandt in München
ablöst, und Dennis Doms als verwahrlosten Polou, der in der ersten Szene
des Films eine Katze ertränkt? Großartig! Ein amerikanisches Standardwerk
für Drehbuchautoren trägt den Titel „Save the Cat!“, zu Deutsch „Rette …
Katze!“. Es besagt, dass der Held eines Films durch die erste Handlung
definiert wird, bei der er zu sehen ist. Tut er als Erstes etwas
Barmherziges, wissen wir, dass er ein guter Typ ist, auch wenn er direkt
danach eine Bank ausraubt. Ertränkt er aber eine Katze, macht er uns Angst.
Und die Angst ist die treibende Erzählkraft dieses Films.
Ich finde das irre spannend, habe ich doch damals meine Magisterprüfung
über Kriminalfilme gemacht, genauer: über das Telefon im skandinavischen
Kriminalfilm, denn das Fortschreiten der Handlung im Krimi hat vor allem
mit der Akkumulation von Informationen zu tun, die gelesen und
interpretiert werden müssen. Und meist geschieht das via Telefon.
Mir fällt ein, wie mein Vater mir neulich erzählte, wie er nachts mal nach
Hause kam, vor der Wende, da wohnten wir noch in der Hufelandstraße. An der
Kreuzung Esmarchstraße kniete ein Volkspolizist auf dem Rücken eines jungen
Mannes, den er offenbar gerade festgesetzt hatte.
## Und der Vopo rief…
„Sie, Bürger!“, rief der Vopo zu meinem Vater hinüber.
Er blieb stehen. „Wer, ich?“
„Ja, Sie!“, rief der Volkspolizist. „Gehen Sie mal da rüber zu dem
Münzfernsprecher und wählen die 110. Die sollen Verstärkung schicken.“
Der arme Mann hatte offensichtlich nicht nur kein Telefon dabei, sondern
nicht mal ein funktionierendes Funkgerät. Und das nächste Telefon war quer
über die Kreuzung rüber.
Mein Vater überlegte nicht lang. „Tschuljung“, rief er dem Polizisten zu,
„muss nach Hause“ und ging einfach weiter.
„Sie! Bürger“, krähte der Polizist mit sich überschlagender Stimme, „k…
Sie sofort zurück! Das ist Ihre Pflicht!“
„Entschuldigung, ich kann Sie gar nicht mehr hören“, flötete mein Vater,
während er seinen Schritt beschleunigte. Mit Festnahmen wollte er nichts zu
tun haben, was wusste er, warum der Junge festgehalten wurde, vielleicht
war es ein potenzieller Republikflüchtling. Und mein Vater war mit dem
Staat selbst nicht ganz grün. Und mit der Exekutive erst recht nicht. Als
Jugendlicher hatte er mal eine Nacht in der Zelle verbracht, weil er und
sein Kumpel sich über die Größe der Pistole eines Polizisten lustig gemacht
hatten.
## Ein schlechtes Gewissen
So was hätte ich mich ja nie getraut, mich über Uniformierte lustig zu
machen. Ich bin so obrigkeitshörig, ich kriege schon ein schlechtes
Gewissen, wenn ich nur einen Briefkasten sehe.
Obwohl. Kennt ihr den Hydrantenwitz? Auf der Polizeischule. Der Ausbilder
brüllt „Stillgestanden!“ Plötzlich stutzt er: „Watt is denn mit Sie, Sie
kleiner Roter da?“ Ein Polizeischüler meldet sich zaghaft: „Aber Herr
Oberst, das ist doch der Hydrant.“ „Is mir ejal!“, brüllt der Ausbilder,
„bei mir müssen auch Akademiker strammstehen!“
Den hat mir mein Vater erzählt, der als Pfarrerssohn in der DDR erst ganz
zum Schluss studieren durfte.
Neulich komme ich nachts von einem Auftritt nach Hause. Die Straße vor
unserer Haustür ist zurzeit autofrei, weil da gebaut wird. Ganz ungewohnt,
mit dem Fahrrad zu fahren, ohne Angst um sein Leben zu haben. Von mir aus
könnte es immer so sein.
Ein Besoffener schlingert über den Bürgersteig und redet leise zu sich
selbst. Vor den hellen Eigentumswohnung-Neubauten an der Ecke mit
Kübelpflanzen auf großzügigen Balkonen bleibt er stehen und richtet sich
auf: „Ihr Scheiß-Zugezogenen!“, brüllt er, die Faust gen Sternenhimmel.
„Ihr könnt mir gar nichts! Ich war früher Volkspolizist, ich hätte euch
alle festgenommen!“
Ja, ja, denke ich, erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt.
22 Sep 2019
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
Kolumne Immer bereit
DDR
Polizeiruf 110
Wohnen
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