# taz.de -- Von ICE-Auslegware und Kleinkindabteil: Schaffnerin kennt kein Erba… | |
> Achtung, diese Kolumne ist während der Zugfahrt von Bochum nach Berlin | |
> entstanden. Es geht um kleine Kinder und größere Sorgen. | |
Bild: Öko-Strom kann die Bahn im Fernverkehr, Kleinkinderabteile eher nicht so… | |
Guten Morgen aus dem Zug nach Hause! Es ist Donnerstagmorgen, 8.30 Uhr. | |
Nächster Halt ist Bielefeld. Ich habe gestern Abend in Bochum vorgelesen. | |
Vor sieben Zuschauern. Es war sehr nett. | |
Ich wusste das vorher. Ich war da vor fünf Jahren schon Mal. Am gleichen | |
Ort, bei derselben Veranstalterin. Sie hatte damals schon keine Werbung | |
gemacht, aber mit großer Leidenschaft Tischaufsteller gebastelt. Ich | |
glaube, damals hatten wir vier Zuhörer. Das ist eine Steigerung um 75 | |
Prozent! Wenn das so weitergeht, lese ich dort schon in 40 Jahren vor | |
vollem Haus. | |
Es gibt zwei Ibis-Hotels am Hauptbahnhof Bochum, ein hässliches am | |
Vorderausgang neben McDonald’s und ein schäbiges am Hinterausgang, an den | |
Obdachlosen vorbei, bei den Mülltonnen links. Ratet, wo ich untergebracht | |
war! Zumindest war es nicht weit zum Bahnhof. Und das Frühstück war okay. | |
Erwähnte ich, dass ich seit zwei Wochen erkältet bin? Mein Reizhusten lässt | |
den gesamten Großraumwagen erzittern. Der junge Vater mit dem Zweijährigen | |
neben mir traut sich kaum noch, sich hinzusetzen. Feigling! Er hat doch | |
selber ein Kind in der Kita. | |
## Platz in der Gepäckablage | |
9.30 Uhr, Hannover: Die Hälfte der Mitreisenden wird durch andere ersetzt. | |
Der Platz neben mir ist jetzt endgültig frei, obwohl der Zug proppenvoll | |
ist. Ich muss echt beängstigend aussehen. | |
Die Bahn hofft ja auf fünf Millionen neue Kunden, haben sie neulich in den | |
Nachrichten erzählt. Und wo sollen die sitzen? In der Gepäckablage? Obwohl, | |
wenn ich jetzt so hochgucke: Platz ist da auch nicht. | |
Vor vier Wochen waren wir mal wieder mit der Krabbelgruppe auf Rädern | |
unterwegs, im Kleinkindabteil. Das war lustig! Da war eine Mutter mit drei | |
Kindern und Bruder, also dem Onkel der Kinder (sechs, zwei und ein Jahr/e | |
alt), total entzückend. In nur 100 Minuten bis Hamburg war die hässliche | |
ICE-Auslegware von einer fluffigen Schicht Croissantkrümel bedeckt, jeder | |
Erwachsene hatte ein fremdes Kind auf dem Schoß und alle Kleinkinder den | |
herrlichsten Stuhlgang. | |
„Stört es jemanden, wenn ich hier auf dem Boden wickele?“, fragte die | |
Mutter zu Beginn der Fahrt und schaute in die Runde. Alle winkten ab und | |
schüttelten die Köpfe, nur der Onkel hob zaghaft die Rechte und meinte: | |
„Ähh!“ Die Mutter, Paul und ich lachten schadenfroh. „Haha, Lusche, du | |
zählst nicht! Krieg du mal selber Kinder!!“ | |
## „Ditt Kleinkindabteil“ | |
Die Rückfahrt war leider nicht annähernd so lustig. Die Schaffnerin eine | |
echte Berliner Schnauze, inklusive Haaren auf den Zähnen. | |
„Ist es okay, wenn ich mich mit dem Kinderwagen hier in die Ecke setze?“, | |
fragte ich müde. „Mein Kind schläft gerade ein.“ Wir hatten ein | |
Familienwochenende in Flensburg und zweieinhalb Stunden Regionalzug hinter | |
uns. Das Kleinkindabteil befindet sich im ICE zwischen Speisewagen und | |
erster Klasse. Ich hatte mich auf einen der Klappsitze bei den | |
Rollstuhlstellplätzen gekauert, das langsam wegdämmernde Kind im | |
Kinderwagen an meiner Seite. | |
Die Schaffnerin kannte kein Erbarmen. „Da kann ja jeder kommen. Wofür ham | |
wir denn ditt Kleinkindabteil?“ Sie hatte offensichtlich keine Kinder. | |
Sonst hätte sie nämlich gewusst, dass Kinder zu mehreren in diesen Abteilen | |
ungefähr so gut schlafen, als würde man sie auf ein Karussell setzen. Zum | |
Spielen ist das toll, zum Croissant auf den Boden krümeln auch. Schlafen | |
kann man vergessen. | |
Die andere Mutter im Abteil sah uns mitfühlend an und erzählte, sie hätte | |
neulich einen Strafzettel bekommen, weil sie in einer Nebenstraße in | |
Neukölln in der zweiten Reihe parkte, um ihr Kind zu stillen. | |
„Sie wissen doch, wann Ihr Kind Hunger hat“, meinte der Beamte. | |
Falschparken ist ja das einzige Vergehen im Straßenverkehr, dass überhaupt | |
geahndet wird. | |
11 Uhr. Gleich sind wir am Hauptbahnhof. Zu Hause. | |
Eigentlich fahre ich ja voll gerne Zug. Man kommt mal raus aus dem eigenen | |
Dunstkreis, lernt andere Leute kennen und (sofern man ohne Kind unterwegs | |
ist) kommt man endlich mal wieder so richtig zum Arbeiten. | |
20 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
## TAGS | |
Kolumne Immer bereit | |
Bahnreisende | |
Kindererziehung | |
Wohnen | |
Kolumne Immer bereit | |
Kolumne Immer bereit | |
Buch | |
Kolumne Immer bereit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Für jeden Fuß ein Deckel | |
Nichts ist schlimmer als empfindliche Bodenbeläge und ihre Besitzer. | |
Letztere zwingen Partygäste nämlich, die Schuhe auszuziehen. | |
Kraftprobe mit dem Kind: Die heikle Lätzchen-Frage | |
Was tun, wenn der Nachwuchs anfängt, einen eigenen Willen entwickelt? Ein | |
kleiner Ratgeber über verschiedene Art der Erziehung. | |
Kolumne Immer bereit: Sie! Bürger, das ist Ihre Pflicht! | |
Die Angst kann die treibende Erzählkraft sein. Aber deswegen muss man nicht | |
alles machen, was so ein Volkspoliztist will. | |
Kolume Immer bereit: Buch + Baby = Schuldgefühle | |
Bücher schreiben ist nicht wie Urlaub. Schon gar nicht, wenn ein Baby lockt | |
und der Vater gern wieder arbeiten will. | |
Kolumne Immer bereit: Schwarzfahrer im Regionalexpress | |
Ein Kulturkampf im Regionalexpress zwischen spanischen Hedonisten und einer | |
deutschen Schaffnerin. Wer hat wohl gewonnen? |