# taz.de -- Kolume Immer bereit: Buch + Baby = Schuldgefühle | |
> Bücher schreiben ist nicht wie Urlaub. Schon gar nicht, wenn ein Baby | |
> lockt und der Vater gern wieder arbeiten will. | |
Bild: Bald geht's entspannt auf den Spielplatz, nur schnell erst das Buch ferti… | |
Paul und ich sitzen nebeneinander auf dem Sofa. „Mein Rücken!“, stöhne ic… | |
„Soll ich dich hochheben?“, fragt er. Wir haben so eine Hebeltechnik, mit | |
der er mir Blockaden in der Brustwirbelsäule lösen kann, indem ich meine | |
Hände im Nacken verschränke und er mich von hinten an den Ellenbogen | |
hochhebt, bis es knackt. Hilft eigentlich immer. In den vergangenen Monaten | |
musste Paul mich jeden Abend aushebeln, weil ich von morgens bis abends am | |
Schreibtisch saß, zuletzt bis zu vierzehn Stunden täglich. Wie zehn | |
Langstreckenflüge hintereinander. Ohne Thrombose! Ich hätte Stewardess | |
werden sollen. | |
Ich hatte eine Deadline für ein Buch, also ein Datum, zu welchem ich fertig | |
sein und das Manuskript abgeben sollte. Die lag laut Verlagsvertrag, glaube | |
ich, im November. 2018. Und dann bekam ich ein Kind. Nach | |
Vertragsabschluss. Und damit änderte sich alles. Immer müde, voll mit | |
Hormonen bis zur Halskrause und zu keinem Gedanken mehr fähig abseits von | |
„Hat es heute schon gekackt, ist es warm genug angezogen, lebt es noch?“ | |
„Es ist nicht schlimm, nach dem Termin abzugeben“, trösteten mich Kollegen. | |
„Ihr habt ja keine Ahnung“, stöhnte ich. Denn ohne Kitaplatz musste sich ja | |
jemand um das Kleinkind kümmern, was da heranwuchs, und das war nicht ich, | |
leider, denn mit Kind an der Wange schreibt man keine Texte, geschweige | |
denn Bücher, da schafft man es höchstens gggdzsgrzergzs … zu verhindern, | |
dass das Kinndkajsdas den ganzen Text löscht, wenn es mit seinen süßen | |
Wurstfingerchen auf der Tastatur herumhackthhhdNNFJK. Und ohne Kitaplatz | |
hieß das wohl oder übel, dass Paul Urlaub nehmen musste, damit ich das Buch | |
fertig schreiben konnte. Nachdem er schon das ganze Jahr Elternzeit | |
genommen hatte. Obwohl er sich mittlerweile fast zu Tode langweilte und auf | |
nichts so sehr freute, wie auf das gartenschlauchtüllengroße Büro, von dem | |
aus er auf Arbeit die Computer eines Haufens verwirrter | |
Geisteswissenschaftler betreut. Paartherapeuten nennen so etwas | |
Belastungsprobe einer Beziehung. | |
Eine Freundin aus meiner Sportgruppe erzählte mir mal, sie habe sich immer | |
vorgestellt, Bücherschreiben sei so eine idyllische Tätigkeit, | |
zurückgezogen in einem Haus am See, zwischendurch lange Spaziergänge und | |
abends ein gutes Glas Rotwein am Kamin. Es gibt Leute, die denken, Bücher | |
schreiben sei Urlaub. | |
„Das ist gut, wenn du heulst“, sagte Paul irgendwann im Frühjahr dieses | |
Jahr zu mir, als ich vor Verzweiflung schon drei Sofakissen mit Rotze | |
durchtränkt hatte. „Wenn du heulst, bist du richtig drin im Stoff.“ Er | |
kennt sich aus. Er hat schon einen Roman und eine Magisterarbeit mit mir | |
durchgestanden. Und ich heulte ja nicht nur aus Zweifeln und | |
Versagensangst, sondern vor allem aus Schuldgefühlen. Das war neu. Egal, | |
was ich tat; ich fühlte mich schuldig. Dem Kind, dem Mann, dem Buch und mir | |
selbst gegenüber. Die ganze Zeit. „Ja, das ist normal“, lachten die Mütter | |
aus der Sportgruppe. „Das bleibt jetzt so für den Rest deines Lebens.“ | |
Und jetzt ist es geschafft. Das Manuskript ist weg. Paul kann wieder | |
arbeiten und ich darf endlich den ganzen Tag mit dem Kind spielen und den | |
Haushalt machen. Vorgestern habe ich Fenster geputzt. Einfach weil sie | |
dreckig waren. Und nicht OBWOHL ich eigentlich irgendwas anderes hätte | |
machen müssen. | |
Nun koche ich Essen und stapele Bauklötze und gucke dem Kind beim Rutschen | |
zu, bis mir fast die Harnblase platzt. Ich trinke Kaffee in Kindercafés, | |
verabrede mich auf Spielplätzen und kutschiere den ganzen Tag das Gör auf | |
dem Fahrrad durch die Gegend. Ich mache endlich alles, was ich immer | |
wollte. Ich bin so glücklich. Und müde. Und mir tut der Rücken weh. | |
„Soll ich dich noch mal hochheben?“, fragt Paul. Ich schüttele den Kopf. | |
„Nee“, sage ich, „dann müsste ich ja aufstehen und meine Füße schmerzen | |
noch viel mehr.“ Und darüber bin ich so froh, dass ich fast anfange zu | |
heulen. | |
17 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
## TAGS | |
Buch | |
Mütter | |
Bücher | |
Kolumne Immer bereit | |
Babys | |
Kolumne Immer bereit | |
Jean-Paul Sartre | |
Gleichberechtigung | |
Kolumne Immer bereit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Von ICE-Auslegware und Kleinkindabteil: Schaffnerin kennt kein Erbarmen | |
Achtung, diese Kolumne ist während der Zugfahrt von Bochum nach Berlin | |
entstanden. Es geht um kleine Kinder und größere Sorgen. | |
Simone de Beauvoir und Feminismus: Fürsorge als Teil eines guten Lebens | |
Vor etwa 70 Jahren erschien „Das andere Geschlecht“ der Philosophin Simone | |
de Beauvoir – mit weitreichenden Folgen. Heute ist ein Weiterdenken nötig. | |
Kolumne Nach Geburt: Mama macht das schon | |
Noch immer arbeiten Frauen mehr im Haushalt als Männer – auch bei unserem | |
Autor. Damit muss jetzt Schluss sein, auch, wenn es nervt. | |
Kolumne Immer bereit: Das ist das Mütterwissen | |
Babies sind wie kleine Taschenspiegel, die der Narzisst jederzeit im | |
Kinderwagen vor sich herschieben kann. |