# taz.de -- Die Wahrheit: Der Regentanz des Häuptlings | |
> Weil das irische Wahlverfahren kompliziert ist, lassen Ergebnisse lange | |
> auf sich warten. Schließlich mussten alle Kandidaten nummeriert werden. | |
Bild: Sinn-Féin-Chefin Mary Lou McDonald erhebt Anspruch auf das Amt der Premi… | |
Irlands Kleinkinder können aufatmen. Seit Samstag haben sie Ruhe vor | |
fremden Politikern, die sie antatschen, sobald eine Kamera in der Nähe ist. | |
Die Parlamentswahlen sind vorbei. In den Krankenhäusern liegen die | |
Patienten auf Notbetten in den Fluren, auf den Straßen liegen die | |
Obdachlosen im Regen, aber Premierminister Leo Varadkar knuddelt wehrlose | |
Kleinkinder. | |
Seine Parteifreundin Catherine Noone beschrieb ihn als „ein bisschen | |
autistisch“ und erntete einen Sturm der Entrüstung, denn die Autisten des | |
Landes wollten nicht mit Varadkar in einen Topf geworfen werden. | |
Zu Beginn der Wahlkampagne veröffentlichte der Taoiseach, also „Häuptling�… | |
wie Varadkars offizieller Titel lautet, ein Video, in dem er angeblich | |
häufig gestellte Fragen beantwortete, zum Beispiel: „Was macht Leo?“ Er | |
antwortete: „Oh, ich bin der Häuptling und hoffe, es auch in ein paar | |
Wochen noch zu sein.“ Hoffentlich nicht. | |
Diesmal wurde am Samstag gewählt, das ist unüblich. Varadkar wollte | |
sicherstellen, dass auch Dubliner Studenten, die bei ihren Eltern auf dem | |
Land registriert sind, wählen konnten. Welch Fehler, denn von denen wählte | |
ihn niemand. Zuvor hatten die Wahlen erst einmal an einem Samstag | |
stattgefunden, und zwar 1918. Das löste damals einen Krieg aus, weil die | |
britische Regierung die Wahl nicht anerkannte. So weit wird es diesmal wohl | |
nicht kommen. | |
Weil Varadkars Fine Gael bei Umfragen zurücklag, hätte ihr eine geringe | |
Wahlbeteiligung genützt. Das Nachrichtenportal Waterford Whispers hatte | |
angeblich heimlich aufgenommene Fotos veröffentlicht, auf denen Varadkar | |
einen schamanischen Regentanz in seinem Garten aufführt. Das funktionierte | |
zwar, weil ein Tief das Land am Wahltag unter Wasser setzte, aber die Leute | |
schwammen trotzdem an die Urnen. | |
Am Ende lagen Fine Gael und zwei andere Parteien bei 22 Prozent. Da die | |
drei aber nicht miteinander koalieren wollen, kann es eine Weile dauern, | |
bis Irland eine Regierung hat – und bis das amtliche Endergebnis feststeht. | |
Die Wähler machen nämlich kein Kreuz auf dem Stimmzettel, sondern | |
nummerieren die Wahlkreiskandidaten in der Reihenfolge ihrer Präferenz. | |
Wenn die Nummer eins ausscheidet, werden die Stimmen auf die Kandidaten | |
zweiter – oder dritter oder zehnter – Wahl übertragen. Und ist man endlich | |
fertig, fordert einer der unterlegenen Kandidaten womöglich eine Neuzählung | |
und das Theater geht von vorne los. | |
Es ist ratsam, die Kandidaten bis zum Ende durchzunummerieren, damit der | |
verhassteste Bewerber auf keinen Fall die Stimme ergattert. Auf meinem | |
Stimmzettel standen 15 Namen. Drei Viertel davon hätte ich am liebsten an | |
die letzte Stelle gesetzt, aber dann wäre der Stimmzettel ungültig gewesen. | |
Was aus meiner Stimme am Ende geworden, werde ich ohnehin nicht erfahren. | |
Aber sie ist auf keinen Fall bei der Häuptlingspartei gelandet. | |
10 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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