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# taz.de -- Türkischer Sender TRT auf deutsch: Die dreckige Wäsche der Anderen
> Der türkische Staatssender TRT hat jetzt einen Ableger in deutscher
> Sprache. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich sein politischer
> Zweck.
Bild: Die TRT-Senderzentrale in Istanbul. Jetzt wird auch auf deutsch publiziert
Wenn ein Staat ernsthafte weltpolitische Ambitionen hat, dann braucht er
einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der auch international informiert.
Deshalb gibt es die Deutsche Welle, die Voice of America – und offen
propagandistische Formate wie RT Deutsch (Russia Today). Gemein haben alle
eines: sie sind um globale Deutungshoheit bemüht. Unterschiede gibt es
jedoch bei der Seriosität, und wie sehr der Sender abhängig ist von der
politischen Macht im eigenen Land.
Die türkische steuerfinanzierte Rundfunkanstalt TRT sendet seit 2015 auf
TRT World in englischer Sprache. Seit Mitte Januar gibt es nun die
deutschsprachige Nachrichtenseite TRT Deutsch, zunächst noch in einer
Betaversion. Seine deutschen Redaktionsräume soll TRT laut Impressum in der
Bundespressekonferenz haben, im selben Haus also, in dem sich die berühmte
hellblaue Wand befindet, vor der deutsche Regierungsmitglieder regelmäßig
Journalistenfragen beantworten.
Chefredakteur von TRT Deutsch ist Kaan Elbir, ein Mann, der aus Lindau am
Bodensee stammt, und der bisher Beiträge für die Daily Sabah publiziert
hat, die internationale Ausgabe der türkischen Tageszeitung Sabah. Die
Sabah gehört der regierungsnahen Turkuvaz Medya Grubu, bis 2013 gehörte die
Zeitung dem türkischen Konzern Çalık Holding, wo der Schwiegersohn von
Präsident Erdoğan einst die Geschäfte führte.
Als bekannt wurde, dass TRT nun auf Deutsch publiziert, zogen deutsche
Medien Vergleiche mit dem russischen Propagandasender RT Deutsch. Ist das
fair?
## Flirt mit dem Verschwörersprech
„Es ist vollbracht“, kündigt TRT Deutsch zum Start seiner Website an. Dabei
arbeitet die Redaktion noch von Istanbul aus. Die Anfrage nach einem
Redaktionsbesuch bleibt deshalb erfolglos, in den Berliner Räumen gebe es
noch bis März Bauarbeiten, schreibt Elbir. Auch ein Treffen an einem
anderen Ort in Berlin sei nicht möglich. Es bleibt beim Mailwechsel.
„Wir orientieren uns in keiner Weise an RT Deutsch – weder inhaltlich noch
in der Ausrichtung“, schreibt Elbir. Was dann? In einer Mitteilung heißt
es, TRT wolle sich „in der deutschsprachigen Medienlandschaft als
anspruchsvolle und vertrauenswürdige Informationsquelle etablieren.“ Man
wolle „aktuelle Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven“ durchleuchten
und „alternative Themen auf den Tisch“ bringen, „die in den
Mainstream-Medien kaum Beachtung finden“. Der Sender positioniere sich
dabei „ganz klar gegen Rechtsradikalismus und Islamophobie sowie gegen
jegliche Form von Diskriminierung und setze sich für eine plurale,
freiheitlich-demokratische Gesellschaft ein“.
Diese phrasenhafte Absichtserklärung stimmt bedenklich, auch aufgrund
bestimmter Reizwörter: „Mainstream-Medien“, „alternative Themen“, das …
längst Sprech der Verschwörerblase im Netz, die auch von RT Deutsch
gefüttert wird. Chefredakteur Elbir versucht zu konkretisieren. Mit
„alternativen Themen“ meine man „Ereignisse und Helden des Alltags, die in
der Medienwelt nicht ausreichend Beachtung finden“.
Als Beispiel nennt er einen Beitrag von TRT World über einen syrischen
Falafelverkäufer in Istanbul, der Essen an Bedürftige verteile. Und die
„Mainstream-Medien“? – „Da möchte ich keine speziellen Namen nennen, a…
es betrifft vor allem die großen Medienkonzerne, die eng mit der Wirtschaft
und der Politik verknüpft sind.“
## „Globales Gewissen“
Das ist interessant, denn TRT selbst ist abhängig von der Gunst des
türkischen Staatspräsidenten. Nach dem Verfassungsreferendum im Jahr 2017
wechselte die Türkei von einem parlamentarischen in ein Präsidialsystem.
Zugleich wurde eine neue Kommunikationsbehörde geschaffen, direkt
angegliedert ans Präsidentenamt. Die Rundfunkanstalt TRT ist wiederum an
diese Behörde angeschlossen. Präsident Erdoğan unterzeichnet die Berufungen
der Vorstände des Senders. Der gegenwärtige Vorstandschef und Intendant,
Ibrahim Eren, ist ein Schulfreund von Präsidentensohn Bilal Erdoğan.
Eine gewisse politische Befangenheit offenbarte TRT kurz vor den
Präsidentschaftswahlen 2018. Da veröffentlichte İlhan Taşçı, Mitglied der
Medienaufsichtsbehörde RTÜK, die Sendezeiten, die TRT den Kandidaten in den
vier Wochen vor der Wahl eingeräumt hatte. Der amtierende Präsident Erdoğan
kam auf über 181 Stunden, der aussichtsreichste Oppositionskandidat
Muharrem Ince von der kemalistischen CHP bloß auf 15 Stunden und 40
Minuten, Selahattin Demirtaş, Kandidat der prokurdischen HDP, auf 32
Minuten.
Auf trtdeutsch.com dominieren derweil Berichte über internationale und
deutsche Politik, viele davon sind dpa-Berichte. Wenn die Türkeipolitik
Thema ist, berichtet TRT Deutsch dagegen aus eigenen Quellen – und
regierungsloyal. Etwa über die [1][Syrien-Aktivitäten der türkischen Armee]
oder über die Rolle der Türkei beim EU-[2][Flüchtlingsdeal].
TRT nennt seine Auslandsableger „Stimme des globalen Gewissens“. Beim Lesen
wird klar, dass TRT Deutsch in Debatten intervenieren möchte, die
hierzulande gerne über migrantische Deutsche, jedoch zu selten mit ihnen
geführt werden. Während der russische Kanal RT Deutsch gerne über linke
Proteste berichtet und etwa genau hinschaut, wenn bei G20 Flaschen fliegen,
tritt bei TRT Deutsch an diese Stelle die Positionierung „gegen
Rechtsradikalismus und Islamophobie sowie gegen jegliche Form von
Diskriminierung“.
## AKP-nahe Autoren
In der Rubrik Meinung findet man Texte [3][über Rechtspopulismus in
Österreich], geschrieben von Martha Bißmann, einer ehemaligen
Parlamentsabgeordneten der Liste Pilz, die nun bei den Wiener
Gemeinderatswahlen für die sogenannte Liste Söz kandidiert – eine Partei,
die von Hakan Gördü, dem ehemaligen Vize-Chef der AKP-Organisation UETD
gegründet wurde.
Man findet dort auch eine [4][Analyse der Kopftuchdebatte in Deutschland],
verfasst von Farid Hafez, einem österreichischen Politikwissenschaftler,
der für den AKP-nahen Thinktank [5][Seta den sogenannten
Islamophobie-Report] herausgibt. Hafez gilt als Promoter des Begriffs
„Islamophobie“ – eines Begriffs, über den liberale Muslime sagen, dass er
berechtigte Kritik am politischen Islam diskreditiere. Zuletzt schrieben
Prominente wie [6][Anwältin Seyran Ateş und Psychologe Ahmad Mansour] einen
offenen Protestbrief an die EU-Kommission, weil diese Hafez’ Report
mitfinanziert.
Und dann gibt es da noch ein Essay über [7][“People of Color in
Deutschland“.] Die Autorin bezieht sich darin auf die postkolonialen
Ansätze des Kulturtheoretikers Stuart Hall. Im Teaser formuliert sie die
Leitfrage: „Akzeptieren wir hybride Identitäten oder degradieren wir andere
Lebensweisen?“ Eine Gegenfrage, auf die Türkei bezogen, könnte lauten:
Akzeptieren die türkische Regierung und Mehrheitsgesellschaft Kurden?
Armenier? Solche Debattentexte sucht man bisher vergeblich.
Antidiskriminierung spielt für TRT offenbar dann eine Rolle, wenn sie der
türkischen Machtpolitik dient. Auch dem russischen RT geht es ja nicht um
eine radikale Kritik am globalen Wirtschaftssystem, wenn es über
Straßenschlachten in Paris berichtet. Sondern darum, gesellschaftliche
Konflikte überall dort zu verstärken, wo das den eigenen Interessen
entspricht.
Präsident Erdoğan klagt bei Deutschland-Besuchen gern über Rassismus gegen
Muslime. 2018, bei der Eröffnung der Ditib-Moschee in Köln, sagte er: „Die
Gegnerschaft gegen den Islam, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind
Krankheiten, die nicht nur unsere Gegenwart, sondern auch unsere Zukunft
bedrohen.“ Es kommt daher recht bekannt vor, wenn TRT-Chefredakteur Elbir
erklärt: „Islamfeindlichkeit verstehen wir als neuartige Ausformung des
Rassismus“. Das ist dann eben der „Antirassismus“ der AKP.
8 Feb 2020
## LINKS
[1] https://www.trtdeutsch.com/news-welt/nato-verbundete-verurteilen-regimeangr…
[2] https://www.trtdeutsch.com/politik-inland/merkel-uber-fluchtlingskrise-was-…
[3] https://www.trtdeutsch.com/meinung/osterreichs-neue-regierung-rechtspopulis…
[4] https://www.trtdeutsch.com/meinung/unsichtbarmachung-von-musliminnen-christ…
[5] https://www.islamophobiaeurope.com/wp-content/uploads/2019/09/EIR_2018.pdf
[6] https://www.derstandard.de/story/2000112147114/eu-geld-fuer-islamophobie-re…
[7] https://www.trtdeutsch.com/meinung/people-of-color-in-deutschland-das-bild-…
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Pressefreiheit in der Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Rundfunk
Schwerpunkt Protest in der Türkei
Lost in Trans*lation
Libyen
Lesestück Recherche und Reportage
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