# taz.de -- Wildschweinjagd in Brandenburg: Hegen, pflegen, abknallen | |
> Mit längeren Jagdzeiten kämpft Brandenburg gegen die Afrikanische | |
> Schweinepest. Es geht auch um die wachsende Zahl der Wildschweine im | |
> Land. | |
Bild: Halali am Ende einer Treibjagd in der Schorfheide, Brandenburg 2020 | |
Der Waldboden ist mit Reif bedeckt. Unter jedem Schritt knirscht das Laub. | |
„Hier waren sie heute schon“, sagt Dietrich Mehl und deutet auf die Spuren | |
von Paarhufern. Wildschweine – Schwarzwild, wie der Jäger sagt – haben die | |
Erde nach Bucheckern und Eicheln durchwühlt. Das Gewehr geschultert, Hund | |
Betty an der Leine, stapft der Oberförster auf einen Hochsitz zu. | |
Um neun Uhr beginnt an diesem Morgen in der nördlichen Schorfheide die | |
Treibjagd. Alle Jäger müssen dann auf den Hochsitzen sein. Der 53-jährige | |
Mehl, orangefarbenes Basecap, orange Jacke, Stulpen über den Stiefeln, ist | |
ein großer, sportlicher Typ. Auf dem schmalen Brett, das auf dem Hochsitz | |
als Bank dient, zieht er sein Gewehr aus der Hülle, befestigt den | |
Schalldämpfer an der Mündung und schiebt das Magazin mit den goldfarbenen | |
Patronen, Kaliber.308, in den Schacht. Die entriegelte Waffe legt er auf | |
die Brüstung und lässt den Blick schweifen. | |
Keine fünf Minuten vergehen, da kommt ein Wildschwein aus dem Gebüsch. Ein | |
circa einjähriger Keiler, wegen des Übergangs zum Erwachsenenalter | |
Überläufer genannt, trappelt arglos seines Weges. Die ausgefransten, spitz | |
zulaufenden Ohren geben ihm ein vorwitziges Aussehen. Ein scharfes Zischen, | |
das klingt wie Peitschenschlag – mehr ist nicht zu hören, als Mehl den | |
Abzug seines Gewehrs betätigt. Der Schuss geht ins Schwarze. Tödlich | |
getroffen fällt der kleine Keiler um. | |
Wildschweine dürfen das ganze Jahr bejagt werden. Aber sogenannte | |
Bewegungsjagden mit Treibern und Hunden sind nach dem 15. Januar verboten. | |
Rehe sowie Rot- und Damwild haben dann Schonzeit und Treibjagden bringen | |
Unruhe in den Wald. Diese Regelung hatte das nunmehr von einem Grünen | |
geführte brandenburgische Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und | |
Klimaschutz dieses Jahr außer Kraft gesetzt. Der Grund: Die Afrikanische | |
Schweinepest naht. | |
Seit 2014 breitet sich die Afrikanische Schweinepest (ASP) in Osteuropa | |
aus. Für Menschen stellt die Virusinfektion keine Gefahr dar. Aber für | |
Haus- und Wildschweine ist der Erreger tödlich. Noch ist in Deutschland | |
kein Fall bekannt geworden, doch kurz vor der Oder auf polnischer Seite | |
wurde bereits ein verendetes Tier gefunden. Mit verschiedenen Maßnahmen | |
versucht Brandenburg nun, einem Ausbreiten der Seuche zu begegnen. Ein 120 | |
Kilometer langer mobiler Schutzzaun soll wandernde Wildschweine aufhalten. | |
Und: Die Genehmigung für Treibjagden wurde bis zum 31. Januar verlängert. | |
Jedes lebende Wildschwein weniger verringere die Gefahr, dass die Seuche | |
eingeschleppt werde, sagt Carsten Leßner, Leiter der Obersten Forst- und | |
Jagdbehörde im Umweltministerium. | |
Weil Hunde bei Treibjaden nicht zwischen dem Wild unterscheiden können, | |
durften Rehe, Rothirsche, Damhirsche und Mufflonwild trotz Schonzeit mit | |
bejagt werden, sofern die Abschusspläne noch nicht erfüllt sind. Nicht | |
allen in der Jägerschaft gefällt das. Doch dazu später mehr. | |
Die Wildbestände in Brandenburg haben sich in den vergangenen Jahren | |
explosionsartig vermehrt. Selbst der Naturschutzbund Nabu spricht von einer | |
massiven Überpopulation. Das gilt nicht nur für Rehe und Rotwild, die in | |
den Wäldern großen Schaden anrichten, sondern auch für Wildschweine. | |
Landwirte klagen über erhebliche Ernteeinbußen durch die Rotten. Auch in | |
den Berliner Wohlstandsvororten Kleinmachnow und Stahnsdorf, wo sich die | |
Schwarzkittel auch gerne herumtreiben, reißen die Beschwerden nicht ab. | |
Über 90.000 Wildschweine sind 2019 in Brandenburg erlegt worden. „Das war | |
die höchste Strecke der letzten Jahre“, sagt Referatsleiter Leßner. | |
Jagdstrecke, das ist das Wild, das geschossen wird. Die tatsächliche | |
Population in Brandenburg schätzt Leßner drei bis fünf Mal so hoch. Das | |
wären 270.000 bis 450.000 Wildschweine. | |
In der Schorfheide ist gerade die Sonne aufgegangen. Auf dem Streckenplatz | |
der Revierförsterei Reiersdorf sammeln sich 34 Jäger und acht Treiber um | |
das Lagerfeuer und warten auf ihre Einweisung. Viele tragen Jacken oder | |
Westen in Signalfarben, orangefarbene Basecaps oder haben ein grelles Band | |
um die Hüte gewunden. Auch die Hunde, die das Wild mit den Treibern | |
aufscheuchen sollen, haben leuchtende und bissfeste Schutzwesten an. | |
Revierleiter Hans-Otto Vöcks, ganz in Grün mit Jägerhut, instruiert die | |
Treiber. „Ingrid, deine Gruppe fängt von Osten an“, wendet er sich an die | |
einzige Frau in der Runde. „Wir kommen von Westen.“ In der Mitte würden die | |
Tiere dann zusammengedrückt. | |
Selbstverständlich sei nur bleifreie Munition zu verwenden, ermahnt Voecks | |
die Jäger, die auf den Hochsitzen postiert werden. Und: „Achtet auf die | |
Treiber und eure Schussbahn.“ Nie nach oben schießen, immer nach unten, | |
sodass der bewachsene Boden als Kugelfang diene. Alles Wild ist bei dieser | |
Treibjagd freigegeben, nur Füchse nicht und Bachen, die bereits „gefrischt“ | |
haben. | |
Sieben bis neun Frischlinge wirft eine Sau. Laut Bundesjagdgesetz ist die | |
Bejagung von Bachen verboten, solange diese ihre Jungen säugen. Erst wenn | |
die Frischlinge das gestreifte Fell gegen dunkle Borsten getauscht haben, | |
endet für das Muttertier die Schonzeit. | |
Mehl ist als Chef von 13 Revierförstern und zwei Revierförsterinnen bei der | |
Treibjagd dabei. Der 53-Jährige ist einer von insgesamt 14 Oberförstern, | |
die den Brandenburger Landeswald bewirtschaften. Insgesamt 1,1 Millionen | |
Hektar Wald hat Brandenburg, etwa 25 Prozent sind Landeseigentum. Die Mehl | |
unterstehende Oberförsterei Reiersdorf in der nördlichen Schorfheide | |
umfasst 25.000 Hektar Jagdfläche. | |
Auf dem Hochsitz wird nur geflüstert. In der Ferne hört man das Ho! Ho! Ho! | |
der Treiber. Ab und zu knallt es, auch die anderen Jäger sind aktiv. Was | |
empfindet Mehl, wenn er ein Tier tötet? Man gewöhne sich daran, aber kalt | |
lasse ihn das nicht, wispert der Oberförster. Von klein an sei er damit | |
vertraut. Mehl ist in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen, hat in Dresden | |
Forstwirtschaft studiert. Auch sein Vater und sein Großvater seien Jäger | |
und Förster gewesen, erzählt er: „Sehr gute Schützen, besser als ich.“ D… | |
Wichtigste bei einer Jagd sei, dem Tier so wenig Leid und Schmerz wie | |
möglich zufügen. Am besten sei ein Kammer- oder Blattschuss. Das Tier müsse | |
sofort tödlich getroffen liegenbleiben. Er übe das regelmäßig in | |
Schießständen. | |
## Trockenheit und Wild machen dem Wald zu schaffen | |
Die Trockenheit der letzten Jahre infolge des Klimawandels macht dem | |
Brandenburger Wald ebenso so zu schaffen wie die Wildpopulation. Milde | |
Winter ohne Eis und Schnee und ein großes energiereiches Nahrungsangebot | |
auf den Feldern durch intensive Landwirtschaft haben dazu geführt, dass | |
sich das Schalenwild stark vermehrt. Rehe und Damwild fressen die Knospen, | |
sodass der Wald sich nicht so verjüngen kann, wie er müsste. | |
Grob vereinfacht unterteilt sich die Jägerschaft in zwei Gruppen. Auf der | |
einen Seite die Traditionalisten, die das Brauchtum von der grünen | |
Lodenjacke über die Sprache bis zu den Zeremonien hochhalten. Dazu gehören | |
Trophäenjäger, die einen kapitalen Hirsch vor der Flinte haben wollen, | |
denen der Zustand des Waldes ansonsten aber egal ist. | |
Auf der anderen Seite sind die Jäger, die gleichzeitig oftmals Förster | |
sind. Ihnen ist Hege und Pflege des Waldes ein Anliegen und sie sorgen | |
deshalb mit einer nachhaltigen Bejagung dafür, dass sich der Wald erneuern | |
kann. | |
Die Mehrheit der Jägerschaft, die Traditionalisten, sind im Deutschen | |
Jagdverband organisiert. Für die Verlängerung der Treibjagden hat der | |
Verband das Umweltministerium heftig kritisiert. Von einem „hinterlistigen | |
Schachzug, der auf dem Rücken der Wildtiere ausgetragen“ werde, war die | |
Rede. Es sei immer der gleiche Konflikt, weist Referatsleiter Leßner die | |
Kritik zurück: „Die Förster sagen, es gibt zu viel Wild. Die | |
trophäeninteressierten Jäger sagen, es gibt zu wenig.“ | |
Auch andere Bundesländer hätten in ihren Wäldern ein großes Wildproblem, | |
erzählt Mehl auf dem Hochsitz. Nachgeladen ruht das Gewehr wieder auf der | |
Brüstung. Aber Brandenburg sei das Schlusslicht. „Jedes zweite | |
Verjüngungsbäumchen ist hier verbissen.“ Mehl ist Mitglied im Ökologischen | |
Jagdverband (ÖJV). Dessen Selbstverständnis beschreibt der | |
Landesvorsitzende Matthias Graf von Schwerin so: „Wir machen eine | |
zeitgemäße Jagd, die an Naturschutzgesichtspunkten orientiert ist, und | |
stellen uns der öffentlichen Diskussion.“ Mit dem Naturschutzbund Nabu und | |
dem BUND ziehe der ÖJV an einem Strang. | |
Schräg hinter dem Hochsitz bewegt sich etwas. Ein Überläufer kommt zwischen | |
den Bäumen hervorgespurtet. Dietrich Mehl springt auf und zieht durch. | |
Tödlich getroffen bricht das Wildschwein zusammen. Jetzt liegen unten schon | |
zwei tote Sauen. Der Oberförster wird ihnen später mit dem Jagdmesser die | |
Bauchdecke „aufbrechen“, ihre Innereien herausholen und für den Wolf ins | |
Unterholz werfen. | |
Der Schuss ist kaum verhallt, als eine Rotte die Anhöhe passiert. Die Tiere | |
sind auf der Flucht vor den Treibern. 10, 15 Überläufer, auch mindestens | |
eine Bache ist darunter. „Sie kriegen hier heute Action“, flüstert Mehl. Er | |
wirkt selbst ein bisschen überrascht. Aber diesmal bleibt seine | |
Repetierbüchse stumm. „Zu gefährlich“, sagt Mehl. Er wäre nicht sicher, … | |
die Kugel landet, falls er das Ziel verfehlt. | |
## Hoffen auf den grünen Umweltminister | |
Seit November hat Brandenburg eine rot-schwarz-grüne Landesregierung. Die | |
Novellierung des Jagd- und Waldgesetzes ist Teil der | |
Koalitionsvereinbarung. In den letzten Jahren hätten die politisch | |
Verantwortlichen viel geredet, sagt Christiane Schröder, Vorsitzende des | |
Nabu Brandenburg. „Aber kaum etwas ist umgesetzt worden.“ Auf dem neuen, | |
grünen Umwelt- und Landwirtschaftsminister Axel Vogel ruhe nun große | |
Hoffnung, dass er den Waldumbau weg von reinem Kiefernwald hin zu | |
Mischwäldern einhergehend mit einer nachhaltigeren Bejagung forciert. | |
Wildschweine fressen keine Knospen, durchwühlen die Erde aber nach Samen | |
von Eichen und Buchen, reißen Pflanzen heraus, um an die nährstoffreichen | |
Wurzeln zu kommen. Der Schaden, den sie in der Landwirtschaft anrichteten, | |
sei noch ungleich größer, sagt Leßner. | |
Die Jäger hat der Referatsleiter nun aufgefordert, mehr Bachen zu schießen | |
als bisher. Das erfordere ein Umdenken, denn: „Die Jagdethik besagt, man | |
schießt immer das Schwächste und Kleinste.“ Wildschweine haben eine | |
ausgeprägte Sozialstruktur. Ausgewachsene Keiler sind Einzelgänger. Die | |
Rotte wird von einer erfahrenen Bache geführt. Auch wenn die Frischlinge | |
längst Überläufer sind, wird die Leitbache oftmals verschont, weil sie für | |
das Überleben der Gruppe wichtig ist – so die landläufige Meinung in der | |
Jägerschaft. | |
Diese Philosophie, findet Referatsleiter Leßner, müsse sich ändern. „Die | |
alten Leitbachen sind die Erfahrungsträgerinnen. Sie führen den Nachwuchs | |
dahin, wo es lecker ist. Sie wissen, wo der böse Jäger auf dem Hochsitz | |
ist.“ Die Intelligenz der Rotte müsse weggeschossen werden, formuliert es | |
Leßner drastisch. | |
Wildschweine gehen immer dahin, wo sie gute Nahrung finden. Auch in den | |
Villenvororten der Hauptstadt ist das so. In Kleinmachnow und Stahnsdorf | |
ziehen manchmal ganze Rotten durch die Viertel. Um drei Uhr morgens sei er | |
von Grunzgeräuschen und Getrappel aufgewacht, erzählt ein Biologe aus | |
Kleinmachnow. 50 Wildschweine seien an seinem Haus vorbeigelaufen. „Das war | |
ein beeindruckendes Naturerlebnis.“ | |
Andrea Rennebarth, Fachbereichsleiterin der Hauptverwaltung Stahnsdorf, | |
vermag solchen Erlebnissen nicht viel abzugewinnen. Für die meisten | |
Anwohner seien die Wildschweine ein Riesenärgernis. Gärten und kommunale | |
Grünlagen würden durchwühlt. Die Schäden seien immens. Selbst tagsüber | |
zeigten sich die Schweine. Manchmal griffen sie Hunde an oder verursachten | |
Auffahrunfälle. | |
## Jagd mit Pfeil und Bogen? | |
Weil eine Bejagung mit scharfer Munition innerorts zu gefährlich wäre, hat | |
der zuständige Jagdpächter letztes Jahr eine andere Methode vorgeschlagen: | |
die Pfeil- und Bogenjagd. Rennebarth zufolge geht es dabei um moderne | |
Hightech-Bögen mit hoher Durchschlagskraft. Allerdings müsse der Schütze | |
auf mindestens 25 Meter an das Tier heran. | |
Der Bürgermeister von Stahnsdorf befürworte die Bogenjagd ausdrücklich, | |
erzählt die Fachbereichsleiterin. Pfeile, die ihr Ziel verfehlten, seien | |
für die Umgebung nicht so gefährlich wie herumschwirrende Kugeln. Die | |
Bogenjagd ist in Deutschland verboten, das Landesgesetz von Brandenburg | |
lässt aber eine Ausnahmegenehmigung zu. | |
Die Diskussion über das Vorhaben der Kommune war von einem beispiellosen | |
Medienrummel begleitet. Die Tierschützer reagierten aufgebracht. Die Tiere | |
seien durch den Pfeil nicht sicher tot. Von einer Rückkehr ins Mittelalter | |
war die Rede. Die Umsetzung des Projekts scheiterte im Juni 2019 daran, | |
dass bis zum Ende der Ausschreibungsfrist kein Institut die | |
wissenschaftliche Begleitung übernehmen wollte. Evaluiert werden sollte, ob | |
die Bevölkerung die Bogenjagd akzeptiert und wie sicher die Methode ist. | |
„Es darf nicht sein, dass ein Wildschwein mit Pfeil im Bauch in | |
Kleinmachnow rumrennt und noch Menschen verletzt“, sagt Referatsleiter | |
Leßner. Unter dem grünen Minister werde man jetzt aber einen neuen Versuch | |
starten, kündigte Rennebarth an. Nach dem Motto: „Neuer Minister, neues | |
Glück“. | |
Bei einer Kunstausstellung im früheren Landarbeiterhaus in Kleinmachnow | |
durften die Besucher schon mal üben. Kleine Bälle und Pfeile aus Kunststoff | |
standen bereit, um eine Wildschweinrotte aus Blech zu beschießen. | |
## Fangen in Lebendfallen | |
Am 13. Februar werde es ein Treffen zwischen Umweltminister Vogel und den | |
Bürgermeistern von Kleinmachnow und Stahnsdorf geben, bestätigt | |
Referatsleiter Leßner. Pfeil und Bogen könnten aber nur eine zusätzliche | |
Jagdvariante sein. „Das Problem löst man damit nicht.“ Lebendfallen seien | |
erfolgversprechender. In Stahnsdorf sind bereits mehrere Wildschweine in | |
einer Lebendfalle gefangen und getötet worden. Kleinmachnow sucht laut | |
Leßner noch nach einem Platz, wo die Falle aufgestellt werden kann. | |
18.000 Hektar umfasst der Berliner Wald, fast alles ist Staatsforst. Derk | |
Ehlert, Wildtierbeauftragter des Berliner Senats, schätzt den | |
Wildschweinbestand auf einige Tausend Tiere. Im waldnahen Zehlendorf oder | |
in Gatow seien gelegentlich Rotten zu sehen. Bei allen Klagen, mahnt | |
Ehlert, sollte man aber nicht vergessen, dass Wildschweine auch eine | |
ökologische Aufgabe erfüllten: „Wenn sie den Boden auflockern, kommt das | |
Regenwasser besser an die Wurzeln.“ | |
Statt „Überpopulation“ benutzt Ehlert lieber den Begriff „gesundes | |
Wachstum“. Die Jäger allein könnten das Problem nicht lösen. Die kalten | |
Winter, in denen Frischlinge auch mal erfrieren, fehlten. Auch die | |
Allgemeine Schweinepest habe früher in regelmäßigen Abständen in Ställen | |
und freier Wildbahn gewütet. Aber nun seien die Hausschweine alle geimpft | |
und die Pest ausgerottet. | |
Ist die Afrikanische Schweinepest also auch eine Chance? So möchte Ehlert | |
sich nicht verstanden wissen. Die Afrikanische Schweinepest habe ganz | |
andere Verbreitungswege als die allgemeine Seuche. Zurzeit erfolge das fast | |
ausschließlich über infizierte Lebensmittel, etwa an Rastplätzen | |
weggeworfene infizierte Wurststullen, die die Wildschweine fressen. Einmal | |
infiziert, stecke ein Schwein dann andere an. | |
Auf dem Hochsitz kriecht die Kälte langsam in die Knochen. Raben krächzen, | |
ab und zu ein Knall in der Ferne, sonst ist es still. Plötzlich rennt ein | |
Überläufer am Hochsitz vorbei. Er blutet am Hinterteil. Ein Jäger hat das | |
Tier „krankgeschossen“, wie es in der Fachsprache heißt. Mehl gibt ihm den | |
Gnadenschuss. Kurz zucken die Läufe in der Luft, dann ist das Tier tot. | |
Nach jeder Jagd werde eine Nachsuche mit Hunden gemacht, um | |
krankgeschossene Tiere aufzuspüren, erklärt Mehl. | |
Auch ein Reh hat Mehl inzwischen erlegt, eine schlanke Ricke mit | |
graubraunem Winterfell. In den dunklen aufgerissenen Augen spiegeln sich | |
die Bäume. | |
Zwei Stunden sind vergangen. Die Uhr zeigt elf, die Treibjagd ist vorbei. | |
Mit einem Jagdmesser und bloßen Händen bricht Mehl den Bauch der Sau auf. | |
Nach der Jagd ist das Vorschrift, damit das Fleisch nicht schlecht wird. | |
Ein Wildhändler wird die erlegten Tiere abholen. Aus dem Leib quellen | |
endlose Darmschlingen, der Magen und andere Innereien. Mehl sucht nach | |
etwas. „Direkt ins Herz“, sagt er sachlich, als er das blutige Organ in den | |
Händen hält. Der Schuss hat den Lebensmuskel zerfetzt. Auch das Reh hat er | |
ins Herz getroffen. | |
15 tote Schweine und drei Rehe sind das Ergebnis der Treibjagd. Am | |
Streckenplatz sind die Tiere aufgereiht. Vier davon hat Mehl geschossen, so | |
viele wie kein anderer. Den linken Arm in die Seite gestützt, blasen vier | |
Jäger auf ihren Hörnern zum Halali. Dann überreicht Revierleiter Vöcks | |
jedem erfolgreichen Schützen einen Fichtenzweig. So will es der Brauch. Auf | |
dem Hochsitz hatte Mehl verraten, dass er der Tradition wenig abgewinnen | |
kann. Dass das Tier sofort stirbt, sei das Entscheidende. | |
Mehl macht ein paar Schritte zur Seite. Vöcks geht ihm mit den sogenannten | |
Fichtenbruch hinterher, besteht darauf, dass er ihn nimmt. Die anderen | |
Jäger heften sich den Zweig an den Hut. Mehl versenkt seinen in der | |
Jackentasche. Nur die grünen Spitzen gucken heraus. | |
Jagdneid sei ein großes Thema, auch das hatte Mehl auf dem Hochsitz | |
verraten. Tausend Männerfreundschaften seien schon daran zerbrochen, dass | |
einer einen größeren Rehbock geschossen habe als der andere. Mit diesen | |
Kollegen hier sei das aber zum Glück nicht so. | |
Als einige der Jäger zur Nachsuche losgehen, ist der Oberförster schon nach | |
Potsdam aufgebrochen. Beim NABU soll er einen Vortrag über ökologischen | |
Waldumbau halten. | |
10 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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